News des Tages: Langzeitarbeitslose, Matthias Miersch, SPD, Israel und Libanon

vor 1 Tag 1

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1. Blame Game in der Ampel

Vergangene Woche hatte das Bundeskabinett eine Prämie über 1000 Euro für Langzeitarbeitslose beschlossen, die mindestens zwölf Monate lang in einem sozialversicherungspflichtigen Job arbeiten. Die Regelung sollte eigentlich zum 1. Januar 2025 in Kraft treten. Doch die Ampelkoalition wäre nicht die Ampelkoalition, wenn eine solche Initiative über eine Halbwertszeit von einer Woche hinauskäme.

Kaum war die Entscheidung gefallen, begann der Streit – diesmal nicht wie sonst üblich zwischen FDP und Grünen, sondern zwischen SPD und Grünen. Der Text für den Kabinettsbeschluss wurde im von Hubertus Heil (SPD) verantworteten Arbeitsministerium verfasst. Doch der sozialpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Martin Rosemann, spielt nun das Blame Game: »Die Anschubfinanzierung war ein ausdrücklicher Wunsch von Robert Habeck. Als Fachpolitiker der SPD teilen wir die Bedenken, die das Arbeitsministerium immer vorgetragen hat«, sagte er der »Bild« .

Das Wirtschaftsministerium kontert: Dies sei ein Beschluss der gesamten Bundesregierung im Kontext der gemeinsamen Wachstumsinitiative gewesen, heißt es aus Habecks Haus. Damit solle »die Aufnahme regulärer, dauerhafter Beschäftigungsverhältnisse gestärkt werden«, so das Wirtschaftsministerium.

Doch der frühere Ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske (Grüne) widerspricht. »Die allermeisten Menschen im Bürgergeld nehmen sowieso einen Job an, wenn sie die Chance dazu haben.« Für die FDP ist das Vorhaben ohnehin ein »Unding«, der CDU ist es »schleierhaft«, für die CSU »blanker Hohn«.

Bei all dem Hin und Her wird die eigentliche Frage gar nicht mehr gestellt, warum eine solche Prämie überhaupt beschlossen wurde, wenn sich doch alle einig sind, dass sie Quatsch ist. Doch ist sie das? Mein Kollege Florian Diekmann hat sich das Thema genauer angeschaut. Ihm zufolge ist nicht der Vorschlag das Problem, der ursprünglich vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) stammt, sondern das, was die Bundesregierung daraus gemacht hat.

2. Unerschütterliche SPD

Nach dem überraschenden Rücktritt von SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert sickerte gestern schon durch, wer ihn beerben soll. Heute wurde der bisherige stellvertretende Fraktionsvize im Bundestag offiziell als Kühnerts Nachfolger vorgestellt. Matthias Miersch – so viel scheint schon jetzt klar – lässt sich nicht von aktuellen Umfragewerten, Diskussionen um Kanzlerkandidaten oder Koalitionsoptionen aus dem Konzept bringen. Damit setzt er Kühnerts Linie fort.

Loyalität zum Kanzler? Ja, aber. »Ich werde nicht bequem und ein einfacher Jasager sein.« Eine Kür zu Scholz als Kandidaten? »Überhaupt nicht notwendig«. Machtoptionen für die Zeit nach der nächsten Bundestagswahl? Das erklärte Ziel der SPD sei, wieder zur stärksten Fraktion im Bundestag zu werden. »Und dann sehen wir weiter.« Soll die Hauptstadt-Journaille doch unken, die SPD sei am Ende und kaum in der Lage, innerhalb von knapp einem Jahr das Blatt noch einmal zu wenden – Miersch glaubt offenbar an den Wahlsieg.

Parteichef Lars Klingbeil lobte dessen »Professionalität, die Klarheit, die Erfahrung und auch den Kompass«. Der Parteilinke sei in der Fraktion und in den Ländern breit vernetzt. Mit ihm grenze sich die SPD auch klar von der Union und deren Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) ab.

Die heutige Pressekonferenz der SPD leitete die Moderatorin ein mit einem »Viel Spaß«. Das kann man angesichts der Gesamtsituation in der Sozialdemokratie nur erwidern. (Sehen Sie hier die Pressekonferenz in voller Länge.)

3. Wird der Libanon ein zweites Gaza?

Tag und Nacht werden mitunter im Minutentakt neue Einschläge im Libanon gemeldet, berichtet mein Kollege Christoph Reuter , der lange in Beirut gelebt hat: Die Meldungen kommen aus Südbeirut, aus der Bekaa-Ebene im Westen, überall aus dem Südlibanon, aber auch aus dem Schuf-Gebiet der Drusen nahe Beirut, aus dem Norden.

Israels Armee und Luftwaffe erweitert offenbar systematisch das Spektrum ihrer Ziele. Außer schiitischer Gegenden würden seit Tagen auch Palästinenser in ihren Vierteln bombardiert, so Christoph. Ebenso würden Sanitäter und Ärzte des »Islamischen Gesundheitskomitees« gezielt beschossen. Die Organisation gehört zur Hisbollah, betreibt eigene Krankenhäuser, Ambulanzen, ersetzt vielfach das marode staatliche Gesundheitssystem.

Anfangs schien es so, als würde Israel vor allem militärische Ziele im Süden des Libanon ins Visier nehmen. Jetzt sieht alles danach aus, als sei Israel entschlossen, sich mit ebenso großer Härte gegen die Hisbollah zur Wehr zu setzen, wie gegen die Hamas in Gaza. Und dabei auch in Kauf zu nehmen, dass viele Zivilisten sterben und nicht militärische Gebäude zerstört werden. Nach wie vor beschießt allerdings auch die Hisbollah Israel permanent mit Raketen.

Militärisch ist die Terrororganisation den Israelis unterlegen, obwohl sie von Iran mit Geld und Material unterstützt wird. Dessen Außenminister versucht deshalb, ungewöhnliche Allianzen zu schmieden. Seit heute ist er in Saudi-Arabien und anderen Ländern in der Region unterwegs, um mit den arabischen Golfstaaten darüber zu sprechen, wie Israels »Verbrechen« im Gazastreifen und im Libanon gestoppt werden können.

Nur so als Idee: Vielleicht sollten Israels Erzfeinde einfach aufhören, den Staat vernichten zu wollen.

Was heute sonst noch wichtig ist

  • Nobelpreis für Physik geht an Wegbereiter für maschinelles Lernen: Die Schwedische Akademie der Wissenschaften zeichnet John Hopfield und Geoffrey Hinton mit dem Physik-Nobelpreis aus. Mit ihrer Arbeit haben die beiden Forscher die Grundlagen für moderne KI-Technologie gelegt.

  • Scholz warnt vor »kollektiver Übellaunigkeit« in Deutschland: Ist die Lage schlecht, oder haben die Deutschen einfach nur miese Laune? Bundeskanzler Olaf Scholz wünscht sich in Sachen Klimaschutz jedenfalls einen »fröhlichen Pragmatismus«.

  • Krankschreibungen in Deutschland im laufenden Jahr auf Höchststand: Der Krankenstand bei Beschäftigten bewegt sich im laufenden Jahr auf Rekordniveau. Die AOK glaubt allerdings nicht, dass das mit der telefonischen Krankmeldung zusammenhängt.

  • Kanzlei geht gegen Stars aus Sean Combs’ Umfeld vor: Anwalt Tony Buzbee vertritt 120 Menschen mit ihren Vorwürfen gegen Rapper Sean Combs. Nun will er auch weitere Prominente verklagen: »Das wird einen Feuersturm auslösen«.

  • Italien trauert um Sammy Basso: Er erforschte die seltene Erbkrankheit Progerie, unter der er litt, und verströmte Zuversicht. Nun ist der Biologe Sammy Basso im Alter von 28 Jahren gestorben. Seinem besten Freund zufolge hatte er bis zum Schluss Spaß am Leben.

Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen

  • Was bedeutet der Freispruch von Christian B. für den Fall McCann? Christian B. war wegen verschiedener Sexualdelikte angeklagt, nun hat ihn das Landgericht Braunschweig freigesprochen. Die Richterin beklagt Vorverurteilung und »unzuverlässige Zeugen«, in einem Jahr könnte B. freikommen .

  • Rätsel um den Abschuss von Moskaus wohl modernster Drohne: Sie gilt als Prestigeprojekt der russischen Luftwaffe: Die bewaffnete Spionagedrohne mit 20 Metern Spannweite ging unter unklaren Umständen auf ukrainischem Territorium nieder. Was macht die S-70 so wertvoll? 

  • Die heimlichen Präsidentenmacher: Die Kryptoszene wirft so viel Spendengeld in den amerikanischen Wahlkampf wie keine andere Branche. Die Kritiker der Digitalwährung müssen um ihr politisches Überleben kämpfen. Was das für Kamala Harris heißt .

  • Das steckt hinter dem Hype um die Dubai-Schokolade: Wegen eines viralen Clips erobert Schokolade mit Engelshaar und Pistazienfüllung die Welt. Doch das Original gibt es nur in Dubai. Ein cleverer Schachzug der Erfinderin Sarah Hamouda – oder der Herrscherfamilie? 

  • Sonntags, in den lästig feinen Kleidern: Man musste anständig aussehen, auch wenn das Geld knapp war. SPIEGEL-Leser Heiner Hoffmann, damals vier, zeigte die Zunge.

Was heute weniger wichtig ist

One-Billion-Hit-Wonder: Dank ihrer »Eras Tour« hat die Sängerin Taylor Swift, 34, es mit 1,6 Milliarden Dollar Vermögen an die Spitze der »Forbes«-Liste geschafft. Damit ist sie die reichste Musikerin der Welt. Rihanna liegt mit knapp 1,4 Milliarden Dollar knapp hinter ihr. Doch die hat ihr Vermögen auch dank ihrer Kosmetiklinie Fenty Beauty und ihrer Dessousmarke Savage x Fenty gemacht. Swift verdient vor allem mit Songs und Auftritten.

Mini-Hohlspiegel

Aus dem »Weser-Kurier«

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Entdecken Sie hier noch mehr Cartoons.

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Illustration: Klaus Stuttmann

Pianistin Hiromi

Pianistin Hiromi

Foto: Daniel Dittus

Vorgestern war ich bei einem Konzert der japanischen Pianistin Hiromi in der Elbphilharmonie. Es war der erste Auftritt in Europa mit ihrem aktuellen Projekt »Sonicwonderland«. Das Publikum im ausverkauften Haus war begeistert von der technischen Brillanz der Grammy-Preisträgerin, von ihrer Energie, ihrem kraftvollen und facettenreichen Spiel, das in keine Schublade passt. Die »Hexerin aus Hamamatsu« – wie sie der NDR bezeichnete –, spielte auf dem Synthesizer mal Melodien, die an Teletubbies-Computerspiele erinnerten, mal auf dem akustischen Klavier Reminiszenzen an Chopin oder Art Tatum. Begleitet wurde sie von Hadrien Feraud (Bass), Gene Coye (Schlagzeug) und Adam O’Farrill (Trompete). Am Ende gab es Standing Ovations.

Wenn Sie mögen, hören Sie doch mal rein in die Musik dieser aufregenden Künstlerin, die sich nicht um Konventionen schert. (Hier bei YouTube  der Titel »Polaris« und hier mehr zu Hiromi. Und hier  finden Sie die Termine ihrer weiteren Auftritte.)

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