News des Tages: Jan Marsalek, Wirecard, Gaza-Stadt, Zum Tod von Robert Redford

vor 14 Stunden 1

1. Der Kopf ragt aus dem Untergrund

Da organisiert man den größten Bilanzbetrug in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, zweigt sich Hunderte Millionen Euro ab – in der Hoffnung, ein Leben in Saus und Braus zu führen, wenn man über alle Berge ist. Und dann muss man mit der U-Bahn in Moskau zur Arbeit fahren und für den russischen Geheimdienst FSB spionieren. Offenbar einer der wenigen Orte auf der Welt, der vor einer Verhaftung schützt. Irgendwie auch trostlos.

Lange gab es Vermutungen, dass Jan Marsalek, früher Chief Operating Officer und für das Asiengeschäft beim damaligen Börsenliebling Wirecard zuständig, in Moskau untergetaucht ist. Nun enthüllen neue Fotos und Daten Jan Marsaleks geheimes Leben in der russischen Hauptstadt. Eine gemeinsame Recherche von SPIEGEL, ZDF, dem österreichischen »Standard«, PBS »Frontline« und der russischen Investigativplattform »The Insider« ergab, dass der Ex-Vorstand eine russische Freundin hat und mehrere Identitäten nutzt. Aktuelle Fotos zeigen die beiden, sie stammen aus dem Videoüberwachungssystem Moskaus, das immer wieder von Datenabflüssen betroffen ist.

Mit einer der Identitäten ist in geleakten russischen Reise- und Behördendatenbanken eine Handynummer verknüpft, die Marsalek den Recherchen zufolge offenbar nutzt. Standortdaten des Telefons zeigen, dass das Handy zwischen Januar und November 2024 regelmäßig in Funkzellen in direkter Umgebung der FSB-Zentrale erfasst wurde. Wie weitere Daten nahelegen, war Marsalek zudem wohl mehrfach in der von Russland besetzten Ukraine, auch im Kriegsgebiet in der Ostukraine. Moskauer Sicherheitskreise bestätigen Aufenthalte Marsaleks an der Front.

Die Staatsanwaltschaft München I ermittelt gegen Marsalek wegen des Verdachts des gewerbsmäßigen Bandenbetrugs, des besonders schweren Falls der Untreue sowie weiterer Vermögens- und Wirtschaftsdelikte. Als Fahndungsfoto nutzt das Bundeskriminalamt ein Bild von 2019. Zumindest gibt es nun aktuellere Bilder. Dass Ermittler ihn damit fassen, bleibt allerdings weiter unwahrscheinlich.

Wie das Rechercheteam Marsalek auf die Spur kam, hören Sie im Podcast »Firewall« mit meinem Kollegen Roman Lehberger.

2. Mit aller Gewalt

Es hatte sich lange angekündigt, in der Nacht wurde es Realität: Nachdem die israelische Armee seit einiger Zeit Gaza-Stadt aus der Luft bombardiert hat, rücken nun auch Bodentruppen vor, um die Stadt vollständig einzunehmen. Noch 40 Kilometer entfernt in Israel sind offenbar Fenster von den Erschütterungen zum Bersten gebracht worden. (Lesen Sie hier mehr dazu.)

Israel geht davon aus, dass sich in Gaza-Stadt bis zu 3000 kampfbereite Mitglieder der islamistischen Terrororganisation Hamas aufhielten. Unter der Stadt befinde sich ein ausgedehntes, unterirdisches Tunnelnetzwerk der Hamas. Israel will verhindern, dass sich die geschwächte Organisation neu formiert.

Die israelische Armee rückte mit drei Divisionen von aktiven und Reservesoldaten und schwerem Gerät vor und intensivierte das Bombardement – obwohl in dem Gebiet noch mehr als eine halbe Million palästinensische Bewohner sind. Sie konnten der Aufforderung der israelischen Armee, zu fliehen, nicht folgen, entweder weil sie kein Geld mehr haben oder fürchten, dass die angebliche »humanitäre Zone« keinen Deut besser ist als ihre aktuelle Situation. »Wir sind alle verängstigt«, zitiert die »New York Times« Montaser Bahja, einen ehemaligen Lehrer, der sich noch in einer Wohnung im Westen von Gaza-Stadt nahe der Küste aufhält. »Der Tod wäre gnädiger als das, was wir gerade durchleben.«

»Je größer die Intensität des Angriffs, desto eher wird die Hamas überwältigt, und desto stärker wird auch der Druck zur Freilassung der Geiseln sein«, erklärte Verteidigungsminister Israel Katz. Die Hamas-Terroristen machten den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu verantwortlich für das Schicksal der israelischen Geiseln, von denen noch immer viele in ihrer Gewalt sind. »Kriegsverbrecher Netanyahu« trage die volle Verantwortung für das Leben »seiner Gefangenen im Gazastreifen«, hieß es in einer Mitteilung bei Telegram. Klassische Täter-Opfer-Umkehr: Wenn jemand für das Überleben der Geiseln verantwortlich ist, dann einzig und allein die Hamas.

3. Der Mann, der keinen Titel braucht

Als erste Meldungen vom Tod Robert Redfords heute von amerikanischen Medien veröffentlicht wurden, entspann sich am Newsdesk eine kurze, aber muntere Diskussion: Wie sollte man die Eilmeldung formulieren, die der SPIEGEL den Leserinnen und Lesern auf die Handys schickt? Sollte man Schauspieler Robert Redford schreiben? Kinolegende? Filmproduzent? Muss man überhaupt eine Bezeichnung wählen für jene, die ihn nicht kennen? Als auch jüngere Kolleginnen sagten, dass natürlich auch die Generation Z weiß, wer dieser Mann ist, war die Diskussion beendet. Der Push hieß schlicht: Robert Redford ist tot (Mehr hier.)

Der Name steht für sich. Kaum ein Mensch hat die Kultur des guten Amerika mehr geprägt als Robert Redford. Er spielte selbst in über 50 Kinofilmen mit – darunter Klassiker wie »Zwei Banditen« (Butch Cassidy and the Sundance Kid), »Der Clou«, »Der große Gatsby«, »Die Unbestechlichen« und »Jenseits von Afrika«. Mit Rollen wie dem »Sundance Kid« wurde er zum internationalen Superstar und Kinoidol. Zudem führte er bei mehreren erfolgreichen Filmen Regie, darunter »Aus der Mitte entspringt ein Fluss«, »Quiz Show« und »Der Pferdeflüsterer«. Als bester Regisseur gewann er 1981 einen Oscar, 2002 erhielt er den Ehrenoscar für sein Lebenswerk.

Mit der Gründung des Sundance Institute und Sundance Film Festival schuf Redford eine zentrale Plattform für das Independent-Kino in den USA und förderte zahlreiche junge Filmemacher wie Quentin Tarantino oder die Coen-Brüder. Redford engagierte sich öffentlichkeitswirksam für die Umwelt, kaufte ein Naturschutzgebiet und gründete das Sundance Resort. Wenn man von Kulturschaffenden forderte, sie mögen gesellschaftspolitisch Stellung beziehen, war Redford stets zur Stelle.

»Wir erleben eine Krise, wie ich sie nie zu meinen Lebzeiten erwartet hatte: eine diktatorische Attacke von Präsident Donald Trump auf alles, wofür dieses Land steht«, sagte Redford 2019 und forderte die Amerikaner zur Abwahl Trumps nach seiner ersten Amtszeit auf. Damals ging das gut. Dass Trump danach Anlauf nimmt, ein zweites Mal Präsident zu werden und es auch schafft, hat wohl auch Redford nicht für möglich gehalten. Er wurde 89 Jahre alt.

Was heute sonst noch wichtig ist

  • Entführung aus Dänemark – Wie Ex-BND-Chef Hanning in das Block-Drama verstrickt sein soll: Der Sorgerechtsstreit um die Block-Kinder zieht immer weitere Kreise: Auch der Ex-Präsident des Bundesnachrichtendienstes und ein ehemaliger Abteilungsleiter im Hamburger LKA sollen in den Fall verwickelt sein. Der Überblick. 

  • Mutmaßlicher Nord-Stream-Saboteur soll nach Deutschland ausgeliefert werden: Ein italienisches Gericht hat die Auslieferung von Serhij K. nach Deutschland verfügt. Der mutmaßliche Drahtzieher der Sprengung der Nord-Stream-Pipeline war im August nahe Rimini festgenommen worden.

  • Milei verspricht höhere Sozialausgaben für Argentinien: Er wollte Argentinien eine ultraliberale Rosskur verpassen, ohne Rücksicht auf Verluste. Nun will Javier Milei doch mehr Geld etwa für Rentner und die Bildung lockermachen.

  • Erste Objekte von gesunkenem »Titanic«-Schwesterschiff geborgen: Mehr als 100 Jahre nach dem Untergang bergen Archäologen erstmals ausgewählte Objekte aus dem Wrack der »Britannic«. Die Funde aus mehr als 120 Meter Tiefe illustrieren das Schicksal des »Titanic«-Schwesterschiffs.

Meine Lieblingsgeschichte heute: Hagen, was ist?

Innenansicht einer Hagener Wohnung

Innenansicht einer Hagener Wohnung

Foto:

Andy Spyra / DER SPIEGEL

Die Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen sind vorbei, in drei Großstädten schaffte es die AfD in die Stichwahl um das Amt des Oberbürgermeisters. Eine davon: Hagen. Mein Kollege Tobias Großekemper hat sich lange vor dem vergangenen Sonntag in der Stadt umgehört, 190.000 Einwohner, zwischen Dortmund und Wuppertal gelegen, sie nennt sich das »Tor zum Sauerland«. Manch einer würde sie vielleicht auch das Tor zur Hölle nennen, so prekär wie dort mancherorts die Lebenssituationen sind. Nach Hagen zogen nach Einführung der Arbeitnehmerfreizügigkeit Tausende Menschen aus Osteuropa. Arme Menschen trafen auf eine arme Stadt. Auf Jobs trafen die wenigsten. Dafür aber auf Sozialstrukturen, die für alle gelten, nicht nur für Deutsche. Mitunter wurden sie missbraucht und werden es bis heute. Ina Scharrenbach von der CDU, die in Nordrhein-Westfalen zuständige Ministerin, nutzt im Gespräch mit Tobias die bemerkenswerte Formulierung von einem »enteierten Staat«. Ein Staat, so muss man sie wohl verstehen, der nicht mehr die Eier hat, Recht und Gesetz durchzusetzen. Ein Staat, der die Kontrolle verloren hat.

Was heute weniger wichtig ist

Usain Bolt zu Gast bei der Leichtathletik-WM in Tokio

Usain Bolt zu Gast bei der Leichtathletik-WM in Tokio

Foto: Kim Kyung-Hoon / REUTERS
Entdecken Sie hier noch mehr Cartoons.

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Thomas Plaßmann

Wohnsiedlung in Leipzig

Wohnsiedlung in Leipzig

Foto: Oliver Helbig / Getty Images

Kürzlich nahm mein Kollege Henning Jauernig in seinem Artikel die Vermieter in Deutschland in Schutz. Die Realität sehe ganz anders aus als das Klischee: Viele private Eigentümer müssten knapp kalkulieren. (Lesen Sie hier den Text. ) Sollten Sie zur Miete wohnen, könnten Sie heute nachrechnen, ob Ihr Vermieter in die Kategorie »arm dran« oder »gut haben« – um nicht zu sagen Guthaben – gehört. Meine Kolleginnen Nina Krug, Antonia Weber und meine Kollegen Frank Kalinowski und Patrick Stotz haben einen Rechner gebaut, mit dem sich herausfinden lässt, ob man abhängig von der Lage zu viel Miete zahlt, zu wenig oder genau richtig. Probieren Sie den Rechner gern mal aus. 

Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend. Herzlich

Ihr Janko Tietz, Leiter Nachrichtenressort

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