News des Tages: Demokratie in Deutschland, Erling Haaland, David Lynch

vor 11 Stunden 1

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1. Bedrohte Demokratie und ein Lichtblick

Was gelebte Demokratie bedeutet, konnte man am Donnerstagabend in der Hamburger Innenstadt beobachten: Knapp 20.000 Menschen gingen gegen einen Auftritt von AfD-Chefin Alice Weidel im Rathaus auf die Straße, machten ihrer Meinung und ihrem Unmut Luft, insgesamt verlief die Demonstration aber friedlich. Demokratie bedeutet eben auch auszuhalten, was nur schwer auszuhalten ist – etwa dass sich eine demokratisch legitimierte, aber in großen Teilen rechtsextreme und damit in großen Teilen verfassungsfeindliche Partei ganz selbstverständlich in einem deutschen Regierungssitz bewegt.

Die Demokratie ist dieser Tage ein bedrohtes Gut. Internationale Krisen befördern weltweit den Aufstieg von Autokraten und Populisten, und auch in Deutschland hadert ein großer Teil der Bürgerinnen und Bürger, wie mein Kollege Christian Teevs in seiner Auswertung des neuen »Deutschland-Monitors« für Sie aufschlüsselt . Demnach gebe es zwar einen breiten Konsens, dass es sich bei der Demokratie um die beste Staatsform handele. Doch knapp 40 Prozent der Gesamtbevölkerung sind der Studie zufolge mit ihrer Funktionsweise unzufrieden – im Osten gar mehr als die Hälfte der Befragten, 53 Prozent.

Die politischen Akteure würden zentrale Aufgaben nicht erfüllen, Wahlversprechen nicht einhalten, nur nach Machterhalt streben, beklagen viele Befragte. Christians Analyse zeigt auf, wo und womit die Menschen besonders unzufrieden sind, welchen Institutionen sie immer noch am meisten vertrauen und welche Werte sie hochhalten.

Der Text schließt, immerhin, mit einem Lichtblick: Auf lokaler Ebene sei das soziale Vertrauen im vergangenen Jahrzehnt gewachsen – im Westen wie im Osten. Carsten Schneider, als Beauftragter der Bundesregierung für Ostdeutschland für den »Deutschland-Monitor« verantwortlich, sieht darin eine Chance: den lokalen Zusammenhalt stärken, ohne auszugrenzen. Man müsse »offen sein für Menschen, die von außerhalb hinzuziehen, ob aus dem In- oder Ausland«.

2. Eine Zahl mit acht Nullen

Intransparente Prozesse, mangelnde Gerechtigkeit, Sorgen vor dem Abstieg – wir schwenken von der Politik zum Profifußball. Während ich auf den morgigen Auswärtssieg meines 1. FC Köln im Zweitligagipfel gegen den Hamburger SV hinfiebere und mich nebenbei frage, ob ich mich über den bevorstehenden Abgang von FC-Torwart Jonas Urbig zum FC Bayern ärgern (Toptalent weg) oder freuen soll (acht Millionen Euro könnten aus dem Geldspeicher in der Säbener Straße ans klamme Geißbockheim transferiert werden), sorgt folgende Nachricht für eine gewisse Ernüchterung: 300 Millionen (mit anderen Worten: eine Drei mit acht Nullen dran!) Euro ist dem englischen Premier-League-Klub Manchester City der Verbleib seines Starstürmers Erling Haaland wert.

Der internationale Fußball als Fantastillionengeschäft. Bis 2034 hat sich der Norweger damit an den von der Abu Dhabi United Group gepamperten Verein gebunden, der Vertrag gilt als einer der lukrativsten der Sportgeschichte. Was bedeutet das nun für die Bundesligen (und meinen sympathischen Karnevalsverein)? Sind also auch in Deutschland künftig Zehnjahresverträge zu erwarten? Rechtlich ist das möglich, aber unrealistisch, schreibt mein Kollege Marco Fuchs und dribbelt sich für Sie durchs deutsche Arbeitsrecht wie Haaland durch den Strafraum.

3. Der Meister des Rätselhaften

Angesichts der Nachrichtenlage dieser Tage könnte man mitunter die Welt nicht mehr verstehen, im Wortsinn. Vermutlich ist es ohnehin anmaßend zu glauben, dem Weltenlauf irgendwie auf die Schliche kommen zu können, alles Zufall, Chaos, großes Rätsel – und hier kommt David Lynch ins Spiel! Wie kaum ein Zweiter wusste der nun verstorbene Regisseur das Unergründliche ins Mystische zu überhöhen, teils absurd, immer ästhetisch, ist ja nur ein Film, denkt man, und dann läuft es einem eiskalt den Rücken runter, wenn plötzlich der »Mystery Man« durch die Szene schwebt.

Mein Kollege Arno Frank erinnert sich in seinem Nachruf an bizarre Begegnungen mit dem Meister, Kettenraucher und Anhänger transzendentaler Meditation, die »gleichzeitig unendlich komisch und beängstigend tiefsinnig« gewesen seien. Als Arno ihm bei einem seiner ersten Interviews beichtete, er könne mit manchen Lynch-Filmen nichts anfangen, nickte der nur und sagte: »Natürlich nicht, es sind ja auch meine Filme«.

Ein Satz zum Einrahmen, für jede Gelegenheit! Und falls Sie also mit diesem Newsletter nichts anfangen können, wissen Sie, woran es liegt.

Was heute sonst noch wichtig ist

Meine Lieblingsglosse heute:

Freitags finden Sie hier immer die Kolumne »So gesehen« meines Kollegen Stefan Kuzmany als Teil der Lage am Abend. Heute schreibt Stefan über die menschliche Ideenmaschine Robert Habeck:

Robert Habeck

Robert Habeck

Foto: Hannibal Hanschke / EPA

Nach seiner Initiative zur Erhebung von Sozialabgaben auf Kapitalerträge plant Robert Habeck weitere Vorstöße. Habecks Vorschlag war auf breite Kritik gestoßen, weil ihm offenbar keine durchgerechneten Modelle zugrunde liegen, auch versäumte es der Noch-Wirtschaftsminister, konkrete Freibeträge für Kleinsparer zu nennen. Dies sei allerdings kein Fehler gewesen, sondern Teil der Wahlkampfstrategie, heißt es jetzt aus der Parteizentrale. Getreu dem Wahlkampfmotto »Ein Mensch. Ein Wort.« soll der grüne Kanzlerkandidat bis zur Bundestagswahl nun in einem täglichen Stakkato »jede Menge Ideen heraushauen, ohne sie detailliert zu erklären«.

Geplant sind in den nächsten Tagen etwa Absichtserklärungen zur Erhöhung der Hundesteuer für den Klimaschutz, zur Verteuerung von Austern und Kaviar im Rahmen einer angestrebten Gesundheitsreform sowie zu erhöhten Gebühren bei der Führerscheinprüfung, wenn der Prüfling anstrebe, später vielleicht einmal ein SUV zu lenken.

All das möge zunächst verwirrend wirken, werde aber letztlich »deutlich auf die Marke Habeck einzahlen«: »Wir wollen Robert als spontanen, kreativen Kopf positionieren, mit dem man sich angstfrei auch über unausgegorene Ideen unterhalten kann und auch mal träumen darf«, heißt es in einem internen Strategiepapier der von den Grünen beauftragten Berliner Werbeagentur Beste Freunde. Zentral sei der Begriff »Mensch«, der untrennbar mit dem Kandidaten verknüpft werden soll.

Tatsächlich, so belegen stichprobenartige Befragungen von Bürgern aller Alters-, Bildungs- und Einkommensgruppen, zeitigt die sogenannte Bussibär-Strategie bereits erste Erfolge. Konfrontiert mit Habecks Vorstößen, reagiere eine zunehmende Anzahl der Befragten ganz wie gewünscht, notierten die grünen Wahlkämpfer erfreut: »Immer mehr Leute sagen dann: ›Mensch, Robert‹.«

Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen

Was heute weniger wichtig ist

Sie hören wohl nie auf: »It Ends with Us« ist ein wenig gelungener Hollywoodbeitrag zum Thema häusliche Gewalt, nicht gut, aber gut gemeint, könnte man sagen und den Streifen getrost auf dem Filmfriedhof verscharren. Doch das wahre Drama spielt sich erst jetzt ab: Hauptdarstellerin Blake Lively wirft Co-Star Justin Baldoni unter anderem sexuelle Belästigung am Set vor, Baldonis Anwälte kündigten daraufhin an, Lively »in Grund und Boden« zu verklagen, und fordern nun 400 Millionen Dollar Entschädigung. Und Livelys Anwälte? Sprechen von einer »uralten Geschichte: Eine Frau meldet sich mit konkreten Beweisen für sexuelle Belästigung zu Wort, und der Täter versucht, den Spieß gegen das Opfer umzudrehen«. Ausgang dieser Geschichte? Ungewiss.

Mini-Hohlspiegel

Aus der »Gelnhäuser Neuen Zeitung«

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Entdecken Sie hier noch mehr Cartoons.

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Chappatte

Kyle MacLachlan als FBI-Agent Cooper (r.) in »Twin Peaks«

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Foto: Everett Collection / IMAGO
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