Waffenruhe-Abkommen: Wie geht es nach Beginn der Waffenruhe weiter?

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Der Waffenruhe-Deal ist besiegelt. Die ersten Freilassungen von israelischen Geiseln und palästinensichen Häftlingen stehen bevor. Wie laufen die nächsten Schritte ab?

18. Januar 2025, 4:30 Uhr Quelle: ZEIT ONLINE,

Das israelische Kabinett hat das Abkommen mit der Hamas über einen Waffenstillstand im Gazastreifen und die Freilassung von Geiseln gebilligt. Damit ist der Weg frei für eine zunächst sechswöchige Waffenruhe und die Freilassung der ersten Geiseln. Das israelische Sicherheitskabinett hatte das Waffenruheabkommen bereits am Tag zuvor gebilligt. Nach der ersten 42-tägigen Phase soll das Abkommen in zwei weiteren Stufen umgesetzt werden, zu denen Details noch verhandelt werden.

Alle Fragen im Überblick:

Wie hat die israelische Regierung abgestimmt?

"Die Regierung hat den festgelegten Rahmen für die Rückkehr der Geiseln gebilligt. Das Abkommen für die Freilassung der Geiseln wird am Sonntag in Kraft treten", teilte das Büro von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am frühen Samstagmorgen mit. Berichten zufolge sollen in der mehr als sechsstündigen Sitzung 24 Minister für und acht Minister aus dem Lager der rechten Hardliner gegen das Abkommen gestimmt haben. Eigentlich hatte die Regierung schon am Donnerstag abstimmen sollen. Wegen der Differenzen zwischen verschiedenen Ministern verschob sie allerdings das Treffen. Zudem warf sie der Hamas vor, in einigen Punkten von der Vereinbarung abzurücken. Am Freitag teilte das Sicherheitskabinett mit, alle Hindernisse seien beseitigt.

Zu den acht Ministern, die mit den rechtsextremen Ministern und dem Zionisten Bezalel Smotrich gegen das Abkommen stimmten, gehörten der Times of Israel zufolge auch David Amsalem und Amichai Chikli von Netanjahus Likud-Partei. Auch der ultrarechte Otzma Yehudit stimmte gegen das Abkommen und hat demnach gedroht, die Regierung aufgrund des Deals zu verlassen.

Wie wird die Geiselbefreiung ablaufen?

Im ersten Schritt sollen 33 Geiseln der Hamas freigelassen werden, und zwar alle Frauen, Kinder und Männer über 50. Die israelischen Behörden gehen davon aus, dass diese 33 Geiseln am Leben sind, eine Bestätigung der Hamas steht allerdings noch aus. Aus dem Hamas-Umfeld hieß es, als Erstes sollten drei israelische Frauen freigelassen werden. Das Rote Kreuz werde die ersten Geiseln voraussichtlich am Sonntagabend gemeinsam mit ägyptischen und katarischen Teams in Empfang nehmen. Sie würden dann nach Ägypten gebracht und dort der israelischen Seite übergeben, die dann auch ihre medizinische Untersuchung übernehme.

Nachdem die ersten freigelassenen Geiseln nach Israel heimgekehrt seien, werde die "Freilassung der ersten Gruppe palästinensischer Häftlinge, darunter mehrere mit hohen Strafen, erwartet", hieß es weiter.

Einem israelischer Militärbeamten zufolge wurden in Kerem Schalom, Eres und Reim Aufnahmestellen eingerichtet, in denen die freigekommenen Geiseln von Ärzten und Psychiatern betreut würden, bevor sie in israelische Krankenhäuser gebracht würden.

Wie viele palästinensichen Häftlinge kommen frei?

Israelischen Angaben zufolge will das Land alle palästinensischen Frauen und Kinder unter 19 Jahren aus den Gefängnissen entlassen. Am Freitag veröffentlichte das israelische Justizministerium eine Liste mit 95 palästinensischen Gefängnisinsassen, die bereits am Sonntag freikommen sollen. Die Freilassung werde nicht vor Sonntag 15 Uhr MEZ erfolgen. Die Liste umfasst die Namen von 69 Frauen, 16 Männern und zehn Minderjährigen, darunter ein 16-Jähriger. Nur sieben von ihnen wurden vor dem Hamas-Überfall auf Israel am 7. Oktober 2023 inhaftiert.

Nach der Abstimmung der Regierung am Samstag veröffentlichte das israelische Justizministerium der Times of Israel zufolge eine weitere Liste auf Hebräisch mit den Namen von insgesamt 735 palästinensischen Gefangenen und Sicherheitshäftlingen, die in der ersten Phase des Abkommens freikommen sollen. 

Wann werden mehr Hilfsgüter Gaza erreichen?

Laut Weltgesundheitsorganisation WHO ist es wahrscheinlich, dass die Hilfslieferungen in den Gazastreifen mit Beginn der Feuerpause deutlich zunehmen. Etwa 600 Lastwagen täglich könnten die Grenzen passieren. "Die Möglichkeit besteht, insbesondere wenn andere Grenzübergänge geöffnet werden", sagte Rik Peeperkorn, WHO-Beauftragter für die Palästinensergebiete, während einer Pressekonferenz in Genf. Zudem könnten mehr Patienten aus dem Gebiet evakuiert werden. Nach UN-Angaben fuhren Anfang Januar im Schnitt täglich 51 Lkw mit Hilfsgütern in den Gazastreifen.

Wann kann ein Wiederaufbau in Gaza beginnen?

Mehr als zwei Drittel aller Gebäude im Gazastreifen sind beschädigt oder zerstört worden. Die Instandsetzung ist eine gewaltige Aufgabe. In vielen Städten sind es ganze Wohnviertel. Auch wichtige Straßen sowie Wasser- und Strominfrastruktur wurden zerstört, die meisten Krankenhäuser sind nicht mehr in Betrieb. Das gesamte Ausmaß der Schäden wird erst nach Ende der Kämpfe deutlich werden, wenn Inspektoren vollen Zugang zu dem Gebiet erhalten. Der am stärksten zerstörte Teil des Gazastreifens im Norden wurde von israelischen Streitkräften seit Anfang Oktober abgeriegelt und weitgehend evakuiert. 

Bevor Gebäude wieder aufgebaut werden können, müssen die Trümmer geräumt werden. Nach UN-Schätzungen hinterließ der Krieg im Gazastreifen mehr als 50 Millionen Tonnen Schutt. Unter dem Schutt befinden sich große Mengen an Munitionsblindgängern und anderem gefährlichen Material sowie menschliche Überreste. Nach Darstellung des Hamas-Gesundheitsministeriums im Gazastreifen sind noch Tausende Leichen von Menschen unter den Trümmern begraben.

Das Waffenruheabkommen sieht ein drei- bis fünfjähriges Projekt zur Wiederinstandsetzung vor, das beginnen soll, sobald alle Geiseln freigelassen wurden und sich die israelischen Truppen aus dem Gebiet zurückgezogen haben. Doch um an diesen Punkt zu gelangen, müssen sich beide Seiten über eine frühere Phase des Deals einigen, über die noch verhandelt werden muss. 

Welche Rolle könnte die internationale Gemeinschaft spielen?

Die USA und ein Großteil der internationalen Gemeinschaft wünschen sich, dass eine wiederbelebte Palästinensische Autonomiebehörde mit Unterstützung arabischer Staaten das Westjordanland und den Gazastreifen regiert – als Vorstufe zu einem möglichen Staat Palästina. Für die israelische Regierung kommt dies jedoch nicht in Frage, da sie einen eigenen Staat für die Palästinenser ablehnt und ausgeschlossen hat, dass die vom Westen unterstützte Autonomiebehörde eine Rolle im Gazastreifen übernimmt.

Investitionen ausländischer Geber in ein Gebiet ohne Regierung, das in weniger als 20 Jahren fünf Kriege erlebt hat, sind unwahrscheinlich. Die riesigen Zeltlager entlang der Küste könnten zu einem festen Bestandteil des Lebens im Gazastreifen werden. 

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