Nato-Aufrüstungsprogramm: Pistorius: Die Bundeswehr braucht bis zu 60 000 Soldaten mehr

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Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) rechnet mit einem Bedarf von bis zu 60 000 zusätzlichen Soldaten für die Bundeswehr, um die neuen Nato-Planungsziele zu erfüllen. Er stellt deshalb infrage, ob der geplante neue freiwillige Wehrdienst ausreichen wird.

Sein Ministerium gehe davon aus, „dass wir rund 50 000 bis 60 000 Soldatinnen und Soldaten in den stehenden Streitkräften mehr brauchen als heute“, sagte Pistorius in Brüssel. Er nimmt dort am Treffen der Nato-Verteidigungsminister teil, bei dem das größte Aufrüstungsprogramm seit Jahrzehnten beschlossen wurde, das auch die Aufstellung zusätzlicher Brigaden vorsieht. Grund ist die veränderte Bedrohungslage mit Szenarien der Nato, die von einem möglichen Konflikt mit Russland in den nächsten Jahren ausgehen.

CSU-Chef Söder fordert eine sofortige Rückkehr zur Wehrpflicht

Daher soll die Verteidigungs- und Abschreckungsfähigkeit in Europa massiv erhöht werden, zumal der Schutz durch die USA nicht mehr sicher ist. Bisher verfügt die Bundeswehr über rund 181 600 Soldaten und 34 000 aktive Reservisten. Intern wird mittelfristig mit einem Bedarf an 460 000 Soldaten und Reservisten gerechnet. „Die Entscheidungen von heute werden uns weit bis Ende der 30er-Jahre begleiten, in dem, was wir zu tun haben, in dem, was wir erfüllen müssen“, sagte Pistorius. Deutschland müsse dabei traditionell die zweitgrößten Lasten innerhalb der Nato schultern.

Natürlich stelle sich nun die Frage, ob der neue Wehrdienst ausreiche, sagte Pistorius in Brüssel. Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder forderte umgehend Konsequenzen: „Für uns ist klar: Dafür brauchen wir wieder eine Wehrpflicht in Deutschland. Die Planungen dafür müssen jetzt rasch beginnen.“ Pistorius hingegen betonte in Brüssel: „Uns nützt eine Wehrpflicht jetzt gar nichts, weil wir weder die Kapazitäten in den Kasernen, noch in der Ausbildung haben“. Die allgemeine Wehrpflicht für Männer war im Jahr 2011 in Deutschland ausgesetzt worden.

Spätestens zum 1. Januar 2026 soll stattdessen das von Pistorius schon in der Ampelkoalition geplante Wehrdienstmodell in Kraft treten. Aber ob das reicht, ist in der Bundeswehr schon jetzt umstritten. Demnach müssen alle Männer einen Fragebogen zur eigenen Fitness und zur Bereitschaft, einen solchen Dienst zu leisten, ausfüllen – wer das nicht macht, muss mit einem Bußgeld rechnen. Es soll auch der Einstieg in eine Rückkehr zur Wehrerfassung sein: Die Erstellung einer Datenbasis zu allen 18-Jährigen, um zu wissen, wen man im Spannungs- und Verteidigungsfall überhaupt einziehen könnte. Bei Frauen soll das Ausfüllen des Fragebogens freiwillig sein.

Das Recht zur Kriegsdienstverweigerung soll erhalten bleiben

In der Regel verpflichtet sich von Wehrdienstleistenden immer ein Teil längerfristig als Berufs- oder Zeitsoldat. Zudem würden dadurch auch die Reserve und der Heimatschutz gestärkt, durch die ausgesetzte Wehrpflicht ist die Reserve stark geschrumpft und überaltert. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung wird im Ministerium inzwischen aber auch über neue Pflichtelemente nachgedacht, analog zum Wehrdienst-Modell in Schweden.

Wenn sich nicht genug freiwillige Männer finden, könnten auch geeignete Kandidaten verpflichtet werden. Eine Option könnte ein Losverfahren sein. Generell soll aber das Recht zur Kriegsdienstverweigerung erhalten bleiben. Die SPD hat Pistorius bisher bei weitergehenden Schritten gebremst, die Union hält mittelfristig eine allgemeine Dienstpflicht für den besten Weg. Frauen und Männer könnten dann wählen, ob sie so einen etwa einjährigen Dienst bei der Bundeswehr, im Zivilschutz oder in sozialen Einrichtungen absolvieren – aber hierzu wäre eine Grundgesetzänderung mit Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag notwendig, dazu bräuchte es die Stimmen von Linken oder AfD.

Ganz entscheidend sei, dass noch vom alten Bundestag beschlossen worden sei, die Verteidigungsausgaben weitgehend von der Schuldenbremse auszunehmen, so Pistorius. Auf der Grundlage der neuen Fähigkeitsziele wollen die Nato-Staaten bei ihrem Gipfeltreffen am 24./25. Juni in Den Haag eine neue Zielmarke für die Verteidigungsausgaben jedes Mitglieds beschließen. Dabei werden sie mit großer Wahrscheinlichkeit der Forderung von US-Präsident Donald Trump folgen – aus politischen Gründen sehen Nato-Diplomaten keine realistische Alternative. Trump hatte im Januar verlangt, dass die Nato-Länder jedes Jahr fünf Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für die Verteidigung ausgeben. Das, so betonte US-Verteidigungsminister Pete Hegseth am Donnerstag in Brüssel, sei eine für den Präsidenten nicht verhandelbare Größenordnung.

Die meisten europäischen Nato-Staaten, darunter Deutschland, geben derzeit um die zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Verteidigung aus – nicht zuletzt, weil die USA nach wie vor Europas Sicherheit garantieren. Das werde so nicht weitergehen, stellte Hegseth klar. Amerika stehe an der Seite seiner europäischen Verbündeten. „Aber unsere Botschaft ist klar: Es geht um Abschreckung und Frieden durch Stärke, aber es geht nicht mehr darum, sich auf die USA zu verlassen.“

Die Nato-Staaten sollen fünf Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts in Verteidigung investieren

Nach einem Plan von Nato-Generalsekretär Mark Rutte sollen die fünf Prozent in zwei Kategorien aufgeteilt werden: 3,5 Prozent für klassische Verteidigungsausgaben, also für die Beschaffung von Waffen und Munition sowie den Unterhalt von Armeen. Die Mehrkosten für 60 000 zusätzliche Bundeswehrsoldaten könnte die Bundesregierung unter dieser Rubrik verbuchen. Hinzu sollen verteidigungsrelevante Infrastrukturinvestitionen in Höhe von 1,5 Prozent des BIP kommen, zum Beispiel für Straßen, Brücken und Schienen, die für Truppenverlegungen gebraucht werden. 3,5 Prozent Verteidigungsausgaben entsprächen derzeit für Deutschland rund 125 Milliarden Euro im Jahr.

„Wir können über Prozente reden, aber am Ende sind es die Fähigkeiten, die wir heute festlegen, die entscheiden, was wir zu tun haben“, sagte Pistorius. Es nütze zudem nichts, wenn man so viel Geld einplane, es dann aber nicht abfließe, weil die Industrie nicht so schnell liefern könne – daher müssten hier nun rasch Kapazitäten ausgeweitet werden. Aber das Signal des Tages sei klar: „Die Nato zeigt hier ganz klar: Wir sind entschlossen.“

In der Nato wird noch debattiert, bis wann die Mitglieder das sich daraus ergebene Fünf-Prozent-Niveau erreichen sollen. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), der am Donnerstag im Weißen Haus mit Trump auch über dieses Thema sprach, unterstützt als Zieljahr 2032. Einige mittel- und osteuropäische Länder, vor allem die Balten, halten das für zu wenig ambitioniert – sie sind für 2030. Andere Nato-Länder wiederum, etwa Großbritannien, warnen davor, unrealistische Versprechen zu machen. Sie befürworten eher einen Zeitrahmen von zehn Jahren.

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