Nachruf auf Jack DeJohnette: Belcanto für das Schlagzeug

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John Coltrane, Miles Davis, Ornette Coleman, Sonny Rollins, Sun Ra, Thelonious Monk, Bill Evans, Stan Getz, Lester Bowie, Keith Jarrett, Chet Baker, Lee Morgan, Charles Lloyd, John Surman, Herbie Hancock, Dave Holland, Joe Henderson, Freddie Hubbard: Bei manchen Jazzmusikern genügt es aufzuzählen, mit welchen Größen sie auf der Bühne gestanden haben, um ihre eigene Größe daraus abzuleiten. Bei anderen zählt allein schon, dass sie eine Zeit lang zum Musiker-Pool von Miles Davis gehörten. Einige wiederum können ihre Karriere lang davon zehren, bei einer der wegweisenden Aufnahmen der Musikgeschichte mitgespielt zu haben, „Bitches Brew“ etwa, mit dem der Jazz eine neue Richtung einschlug.

Auf Jack DeJohnette trifft all das zu. Wer an einer Hand die Schlagzeuger aufzählen wollte, die im zurückliegenden halben Jahrhundert den Rhythmus des Jazz vorgegeben haben und immer präsent gewesen sind, wird um den Namen des Drummers aus Chicago nicht herumkommen. Jack DeJohnette aber war nicht nur mit so vielen und so vielen unterschiedlichen Musikern in einer Band oder für eine Studioproduktion vereint, weil er sich stilistisch offen und musikalisch sensibel anpassen konnte. Von ihm gingen wesentliche künstlerische Impulse aus, er inspirierte im gleichen Maße die Mitspieler wie er selbst von ihnen inspiriert wurde. Als „multi directional music“ bezeichnete er seine einmal. Auf den verschlungenen Pfaden, die er im Jazz und von ihm ausgehend einschlug, sind ihm viele gefolgt.

Auch auf der Trommel sind Halbtöne möglich

Es hatte sicher auch mit seiner umfassenden musikalischen Bildung zu tun. Jack DeJohnette war eben in erster Linie Musiker und erst danach Schlagzeuger gewesen. Wer sich fragt, was die lange Zusammenarbeit von ihm mit Keith Jarrett und Gary Peacock im sogenannten Standards-Trio von 1983 bis zum letzten Konzert am 30. November 2014 in Newark begründet hat, wird eine Erklärung auch darin finden, dass alle drei Mitglieder des Trios Pianisten gewesen sind, DeJohnette zudem auch Kontrabass studiert hatte. Wenn er die Becken anschlug und die Snare Drum rührte, schien es, als wolle er das Wechselspiel zwischen weißen und schwarzen Tasten auf sein Instrument übertragen, als müsse er den Nachweis erbringen, dass auch auf der Trommel Halbtöne und mit den Drumsticks Trillerkombinationen auf der Hi-Hat möglich sind.

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Jazztrios sind wie klassische Streichquartette Kammermusikensembles, die kein Versteckspiel zulassen, jeden Klang und jede Reaktion offenlegen und die Scharlatane von den Talenten trennen wie ein Dreschflegel die Spreu vom Weizen. Diese Königsdisziplin des Jazz hat das Trio von Jarrett, Peacock und DeJohnette wie kaum ein anderes Ensemble beherrscht. Da waren die Fill-ins des Schlagzeuges melodische Fortsetzungen in den Atempausen des Pianisten, die Basslinien rhythmische Muster im Klangteppich des Schlagzeugs. Und nur selten einmal wurde erkennbar, wer den Ausschlag gegeben hat für die permanente Seelenwanderung zwischen diesen drei „Pianisten“ an drei verschiedenen Instrumenten, die keine Hierarchie duldeten.

Rhythmisch brodelnder Untergrund

Antreiber, Impulsgeber waren die Schlagzeuger im Jazz immer gewesen, nicht selten aber auch stilistische Erneuerer. In diese Linie der Avantgardisten gehört auch Jack DeJohnette mit einer Klangauffassung, die sich – ohne die Funktion des Timekeeping außer Acht zu lassen – am Ideal des Belcanto zu orientieren schien. Mit enormem vokalen Sensorium ausgestattet, hat er nicht nur die Cymbals singen lassen, sondern gleich das gesamte Drumset. Aus diesem Knäuel sinnlicher Kantilenen erwuchs auch jener von Miles Davis so geschätzte Groove, ein Klang-Crescendo, dessen Sog man sich kaum entziehen konnte und solch legendären Aufnahmen wie „Bitches Brew“, „At Fillmore East“, „Live-Evil“ oder der halbstündigen Wahnsinnsmusik „Call It Anything“ von der Isle of Wight ihren rhythmisch brodelnden Urgrund verlieh.

Jack DeJohnette hat im Alter von vier Jahren angefangen, Klavier zu spielen, kam auf der High School zum Schlagzeug und absolvierte schließlich ein profundes Musikstudium. Die eigentlichen Lehrmeister aber fand er auf der Southside seiner Vaterstadt Chicago, bei den musikalischen Sozialarbeitern Muhal Richard Abrams, Roscoe Mitchell und Joseph Jarman von der AACM, später bei der New Yorker Hardcore-Avantgarde um John Coltrane, Rashied Ali und Ornette Coleman. Der Aufstieg zu einem der einflussreichsten Schlagzeuger des Jazz begann dann im Charles Lloyd Quartet, wo er erstmals an der Seite von Keith Jarrett spielte. Die Beziehung zu Jarrett setzte sich bei Miles Davis fort und mündete schließlich in der beispiellos erfolgreichen Zusammenarbeit im Standard-Trio.

Daneben aber hat er immer auch Projekte mit eigenen Gruppen verfolgt, die er schlicht Direction, New Direction, Special Edition nannte. Im Jahr 2012 wurde er mit der höchsten amerikanischen Auszeichnung für Jazzmusiker geehrt, dem „Jazz-Master“ vom National Endowment of the Arts, zwei Jahre vor Keith Jarrett. Jack DeJohnette, der wesentliche Einspielungen seines umfangreichen Aufnahmekatalogs beim Münchener Label ECM herausbrachte, hat lange Jahre mit seiner Familie in Woodstock gelebt. Am Sonntag ist er mit 83 Jahren im Health Alliance Hospital in Kingston, New York, gestorben.

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