Nach dem Mord an Charlie Kirk: Der Hass regiert

vor 1 Tag 1

Nach dem Mord an dem 31 Jahre alten Podcaster und Leiter der Studentenorganisation „Turning Point USA“, Charlie Kirk, überschlagen sich die Urteile über dessen Wirken. Die politische Rechte verklärt ihn zum Heiligen und Märtyrer, die Linke ruft ihm nach, er sei ein Rassist und Schlimmeres gewesen. Aufrufe von Politikern beider Parteien – Demokraten und Republikaner – zu einer friedlichen gesellschaftspolitischen Debatte gibt es, aber sie verhallen. Auf Social Media dominieren diejenigen, die einen „Bürgerkrieg“ heraufbeschwören oder ihre Genugtuung über Kirks Tod nicht im Zaum halten. Auch die Regierung Trump zeigt, dass sie kein Interesse an einer Entschärfung des politischen Klimas hat.

„Keine willkommenen Gäste“

So rief der stellvertretende Außenminister Christopher Landau auf X dazu auf, ihm die Namen von „Ausländern“ zu nennen, „die Gewalt und Hass verherrlichen“. Diese seien in seinem Land „keine willkommenen Gäste“, er habe die „Konsularbeamten angewiesen, geeignete Maßnahmen zu ergreifen“, das Außenministerium werde die Amerikaner schützen. Die Gelegenheit, Menschen anzuschwärzen, nehmen zahlreiche X-Nutzer wahr. Sie benennen fleißig Autorinnen und Autoren, Journalisten vor allem, die Charlie Kirk angeblich herabgewürdigt hätten (genannt wird unter anderem auch die Kulturkorrespondentin der F.A.Z., Frauke Steffens).

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Charlie Kirk war seit 2012 maßgeblich dafür verantwortlich, junge Leute für Donald Trumps MAGA-Bewegung zu werben. In einer Öffentlichkeit, in der politische Debatten praktisch nicht mehr stattfinden, stach Kirk heraus, weil er an Universitäten und Colleges Streitgespräche mit Andersdenkenden suchte. Inszeniert war das wie ein Schaukampf – Kirk gegen woke Linke. Seine Anhänger feiern ihn als jemanden, der den Diskurs gesucht habe. Nach seinem Tod kann von einem solchen auf der politischen Rechten nicht die Rede sein. Vielmehr wird dort die Linke pauschal als „Anstifter“ der Tat verurteilt. Elon Musk schrieb: „Die Linken sind die Mörderpartei.“ Die republikanische Abgeordnete Anna Paulina Luna meinte: „Jeder von euch, der uns Faschisten nennt, hat dies getan. Eure Worte haben dies verursacht. ­Euer Hass hat dies verursacht.“ Die Trump-Verbündete Laura Loomer postete: „Wir müssen anfangen, Leute ­dafür zu verhaften, dass sie politische Gewalt glorifizieren.“

Die frühere Fox-News-Journalistin Megyn Kelly verbreitete die haltlose Übertreibung, dass es auf Bluesky – dem Netzwerk, auf das sich nach Musks Übernahme von Twitter politisch links orientierte Nutzer geflüchtet haben – nichts als Freudenfeste über Kirks Ermordung gäbe. Geschmacklosigkeiten, wie sie von den Algorithmen der Netzwerke belohnt werden, fanden sich dort und auf X in der Tat: Der live gefilmte Mord an einer kontroversen Persönlichkeit inspirierte in der zynischen „Attention Economy“ viele abstoßende Posts. Dass man sich vor diesen nicht retten kann, zeigt, was die Einschränkung von Inhaltsmoderationen auf den sozialen Netzwerken anrichtet. Schaut man genauer hin, ist zu erkennen, dass auch auf der Linken in den USA die Betroffenheit über den brutalen Mord überwiegt. Die Algorithmen indes sorgen für ein anderes Bild. Das wiederum gibt der Forderungen Nahrung, die Regierung müsse gegen die gewaltgeile Linke vorgehen.

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Das Konto „Libs of Tiktok“ der Anti-Immigrations-Aktivistin Chaya Raichik sammelte und veröffentlichte Reaktionen von Leuten, die den Mord an Charlie Kirk gleichgültig zur Kenntnis nahmen oder dem Täter applaudierten. Sie forderte die sofortige Entlassung angeblich Betroffener – darunter Lehrer, Bezirksrichter, Soldaten, Professoren, Krankenschwestern. Anonym ging eine Website an den Start, die sich „Expose Charlie Kirks Murderers“ nennt und Menschen mit Foto, Aufenthaltsort, Arbeitgeber und mehr oder minder maßlosen Mitteilungen zu Kirk implizit als „Mörder“ bloßstellte. Auch sie verfolgt das Ziel, dass die Leute gefeuert werden, und vermerkt es im Erfolgsfall. Wie CNN berichtet, wendeten sich einige der an den Pranger gestellten angesichts von Morddrohungen an die Polizei. Mehr als 60.000 Zusendungen habe man bekommen, heißt es auf dem dazugehörigen X-Konto @forcharliekirk1, jetzt peile man 100.000 an. Gerahmt wird das als Sache auf Leben und Tod: „Wenn sie Charlie Kirk einen ,Nazi‘ oder ,Weißen Nationalisten‘ nennen, meinen sie alle 77 Millionen, die für Trump gestimmt haben. Sie meinen dich. Sie halten es für ihre moralische Pflicht, diese ,Nazis‘ zu töten. Vergesst das nie.“

Algorithmen befeuern abstoßende Posts

Unter den gebrandmarkten Posts finden sich abstoßende Kommentare wie „bitte sei tot bitte sei tot bitte sei tot“ oder „White Supremacist Down“, aber auch solche von Leuten, die ihre Sorge äußern, dass die „ultrarechten Fans von Kirk jetzt nach weiterer Gewalt trachten könnten“. Viele wiesen auf Kirks Worte zum Waffenrecht hin: „Es ist es wert, den Preis von, unglücklicherweise, einigen Waffenopfern jedes Jahr zu bezahlen, damit wir mithilfe des zweiten Verfassungszusatz unsere gottgegebenen Rechte verteidigen können.“ Andere bezeichnen ihn als „Profiteur von Hassreden“: Kirk, ein Verfechter der Redefreiheit, nannte Transpersonen in seinem Podcast „nicht normal“ und „abscheulich“. Er nannte den Civil Rights Act von 1964 einen „Riesenfehler“ und Martin Luther King „furchtbar“ und forderte „öffentliche Hinrichtungen, die im Fernsehen übertragen werden“. Er ermutigte seine Anhänger, ihm die Namen „linksradikaler“ Uni-Professoren zu schicken; seine seit 2016 geführte „Watchlist“ setzt die dort Aufgeführten Hassbotschaften und Drangsalierung aus.

Wegen ihrer Posts zu Kirks Ermordung feuerten unter anderem Microsoft, Delta Airlines, Nasdaq und die Carolina Panthers Mitarbeiter. MSNBC entließ den Kommentator Matthew Dowd, der kurz dem Attentat gesagt hatte: „Hasserfüllte Gedanken führen zu hasserfüllten Worten, die dann zu hasserfüllten Taten führen.“ DC Comics zog den Comic der Autorin Gretchen Felker-Martin zurück, nachdem diese geschrieben hatte: „Ich hoffe, der Kugel geht es gut.“

„Leute, die Kirks Tod kommentieren, erfahren die Grenzen der freien Rede“, schreibt Associated Press und erläutert, auch in den USA sei nicht alles zu sagen erlaubt. Mit den Schranken der Äußerungsfreiheit müssen sich womöglich auch die Macher von „Expose Charlies Murderers“ auseinandersetzen. Am Sonntagabend (Ortszeit) verschwanden die veröffentlichten Namen, Fotos und Posts von der Website; sie hieß nun „Charlie Kirk Data Foundation“. Zu lesen war: „Wir verfolgen Statistiken über die Verbreitung von politischem Extremismus.“

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