Duke Ellington war schon zwanzig Jahre lang als Bandleader tätig und berühmt, als er 1940 und 1941 jene Aufnahmen einspielte, die vielen heute als seine besten gelten. Wie später auch Miles Davis war es ihm gelungen, das eigene Genie zurückzustellen und andere große Talente in seine Band zu integrieren: Den Arrangeur Billy Strayhorn, den Saxophonisten Ben Webster und den Bassisten Jimmy Blanton. Vor allem Blanton gab der Musik jener Jahre ein so starkes Gepräge, dass man später von der Blanton-Webster-Band sprach. Er emanzipierte den Bass gleich in zwei Richtungen, machte ihn rhythmisch flexibler, indem er Akzente verschob und aus dem Korsett des walking bass befreite, und er verwandelte ihn, indem er sich der Melodieführung anpasste, in ein veritables Solo-Instrument.
Beim Auftritt der NDR Bigband in der Reihe „Jazz at Berlin Philharmonic“ ließ sich einmal mehr beobachten, wie entscheidend die Rolle des Kontrabasses und der gesamten Rhythmusgruppe innerhalb des 17-köpfigen Ensembles unter Dirigent Geir Lysne ist: Nicht nur steuerte Bassist Chris Jennings das vielleicht schönste Solo des Abends bei, gemeinsam mit dem Schlagzeuger Eric Schaefer und dem Percussionisten Marcio Doctor bildete er den unablässig arbeitenden Maschinenraum. Hier wurde der Dampf gemacht, der den Rest des Ensembles antrieb und ihm immer neue Energie injizierte.
Der bedeutendste Jazz-Interpret, den die DDR hervorbrachte?
Anlass für das Konzert war der Wunsch des Kurators Siggi Loch, musikalisch des Kriegsendes vor achtzig Jahren zu gedenken. Die USA, sagte er in seiner kleinen Begrüßungsrede, hätten uns damals die Demokratie und die demokratischste aller musikalischen Formen, den Jazz, gebracht. Die Demokratie brachten sie, das vergaß Loch, freilich nur dem Westen des Landes, während der Jazz auch im Osten blühte. Der vielleicht bedeutendste Jazz-Interpret, den die DDR hervorbrachte, Joachim Kühn, verließ diesen Staat allerdings schon mit 22 Jahren und machte jenseits der Mauer als Pianist im Trio mit Jean-François Jenny-Clark und Daniel Humair, im Duo mit Ornette Coleman und als Solist Karriere.
Nicht zuletzt war Kühn an dem Album „Europeana“ beteiligt, das vor dreißig Jahren auf Siggi Lochs „Act“-Label als eine Verbeugung vor dem europäischen Gedanken fünfzig Jahre nach Kriegsende erschienen war. Die von Michael Gibbs komponierte Suite sollte an diesem Abend seine Wiederaufführung erleben, und dafür trat der inzwischen 81 Jahr alte Joachim Kühn noch einmal auf die Bühne. Eigentlich hatte er nach seinem 80. Geburtstag nicht mehr öffentlich Klavier spielen wollen, Siggi Loch aber überredete ihn zu diesem einmaligen Comeback.
Einflüsse von Johann Sebastian Bach
Tatsächlich merkte man Kühn weder sein Alter noch seine Bühnenabstinenz an. In gewohnt harter Fügung baute er seine Soli auf, sparte rechter Hand nicht an stupend virtuosen Läufen und ließ in der harmonischen Subtilität der Begleitfiguren der linken Hand immer wieder erkennen, dass er aus der Bach-Stadt Leipzig stammt.
Michael Gibbs hatte sich für seine Komposition von zahlreichen Volksliedern aus verschiedenen Regionen Europas anregen lassen. Dieses Folklore-Element war schon im ersten Set des Abends starkgemacht worden, das nicht von der NDR-Bigband, sondern vom Vision String Quartet und dem Saxophonisten Émile Parisien bestritten wurde.
Der elegische Ton des Nordens
Lange schon ist der Jazz durch den Einfluss europäischer Musiker und der musikalischen Traditionen dieses Kontinents reicher geworden. Johann Sebastian Bachs Werk wurde ebenso assimiliert wie balkanische Volkstänze und andalusische Klagegesänge. Vor allem in Skandinavien ist der Jazz auf fruchtbaren Boden gefallen oder hat dort, nicht zuletzt durch die Arbeit des ECM-Labels, eine eigene, unverkennbare Sprache hervorgebracht.
So war es kein Wunder, dass das Vision String Quartet, das in der Tradition des Kronos Quartetts klassisches Repertoire im Konzert gleichberechtigt neben populäre zeitgenössische Musik stellt, außer schottischen und irischen Weisen, auch ein eigenes Werk namens „Copenhagen“ und die Bearbeitung eines schwedischer Volkslieds darbot, allesamt Stücke, in denen der ruhige elegische Ton des Nordens dominiert.
Einen mitreißenden Kontrapunkt dazu lieferte ein rasender Tanz im 11/8-Takt, den der Primarius des Quartetts, Florian Willeitner, einst einem bulgarischen Dudelsackspieler auf der Straße abgelauscht hat. Er verleitete das Publikum in der ausverkauften Philharmonie zu stürmischem Applaus.
Dass das Quartett im Großen Saal elektrisch verstärkt wurde, konnte man angesichts der leisen Töne billigend in Kauf nehmen, wenn auch das Sopransaxophon von Émile Parisien durch zusätzlich Hall sehr verwaschen klang. Warum man allerdings auch die wuchtige Bigband zusätzlich mikrofonierte, blieb ein Rätsel: das Solo des Baritonsaxophons ging im eigenen Geknatter unter, das Altsaxophon-Solo war kaum mehr als ein langgezogenes Kreischen. Nicht zuletzt Joachim Kühns Klavier war schlecht ausgesteuert und wirkte im Unterschied zum knallenden Blech erstaunlich dumpf. Ein deutlicher Wermutstropfen, über den die unermüdliche und ungeheuer einfallsreiche Rhythmussektion immer wieder hinwegtröstete.