Merz und Trump: Wollen wir nicht Freunde sein?

vor 10 Stunden 1

Wer diesen Raum zum ersten Mal betritt, ist meistens überrascht von seiner überschaubaren Größe. Mit knapp hundert Quadratmetern misst das Oval Office gut 40 Quadratmeter weniger als das Büro des Bundeskanzlers. Wenn Donald Trump vor dem Kamin Hof hält, umringt von Kameraleuten, Fotografen und Reportern, kann es eng werden. Wie eng, das wird Friedrich Merz schon bald erleben. Bereits in wenigen Wochen will er seinen Antrittsbesuch in Washington absolvieren; die Leute des Kanzlers warten auf die Bestätigung eines Termins. Dann ist „Showtime“.

Merz muss zwar kaum fürchten, im Oval Office vorgeführt zu werden wie Wolodimir Selenskij. Wohl aber hängt von dem Termin viel ab für den deutschen Kanzler. Es erwartet ihn ein Spagat. Außenpolitisch ist Merz auf einen guten Draht zum launischen Amerikaner angewiesen. Innenpolitisch verhält es sich deutlich komplizierter.

Fünf Prozent für Verteidigung, das würde den Koalitionsfrieden zwischen Union und SPD gefährden

Wie kompliziert, veranschaulicht eine erste Delle in der von Merz und seinem ebenfalls aus der CDU kommenden Außenminister Johann Wadephul verkündeten Außenpolitik „aus einem Guss“. Merz sah sich vergangene Woche veranlasst, seinen Außenminister zurückzupfeifen, nachdem dieser während eines Nato-Treffens die Trump-Forderung unterstützt hatte, dass die Nato-Staaten künftig fünf Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für die Verteidigung ausgeben sollen. „Das ist eine Hilfskonstruktion, um mal Richtwerte zu haben, in welche Richtung wir denn mit der Aufrüstung der Streitkräfte gehen“, spielte Merz die Äußerung seines Außenministers im ZDF herunter. Im Kanzleramt ärgerte man sich über ein verfehltes Timing und eine falsche Wortwahl. In der Sache wusste man allerdings sehr gut, was den Außenminister geritten hatte.

Im Juni steht der Nato ein schicksalhafter Gipfel in Den Haag bevor. Im Wesentlichen wird es darum gehen, Trump davon abzuhalten, das Bündnis zu sprengen. Der Präsident will zeigen, dass die von ihm schon in seiner ersten Amtszeit als Schmarotzer und Trittbrettfahrer geschmähten Europäer unter seinem Druck endlich viel mehr Geld für Verteidigung ausgeben. Von zwei Prozent der Wirtschaftskraft, von Deutschland neuerdings unter Mühen erreicht, soll die Quote auf astronomische fünf Prozent steigen. Bekommt er seinen Willen nicht, könnte Trump den Gipfel platzen lassen. Seit Monaten arbeitet Nato-Generalsekretär Mark Rutte deshalb an einer Zauberformel, um das zu verhindern. Sie lautet: 3,5 Prozent der Wirtschaftskraft für Verteidigung plus 1,5 Prozent für auch militärisch genutzte Infrastruktur. Macht: fünf Prozent.

Diese Zahl ist es, die für Trumps Ohren bestimmt ist – weshalb sich Wadephul wohl hat dazu verleiten lassen, sie beim Nato-Treffen in Antalya auszusprechen. Dabei hat er die innenpolitisch verheerende Wirkung außer Acht gelassen – sowohl für den schwarz-roten Koalitionsfrieden als auch in der Öffentlichkeit. In absolute Zahlen übersetzt verbergen sich hinter fünf Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts immerhin knapp 216 Milliarden Euro.

„Die Bundesregierung hat zum Thema Nato-Ziel verabredet, dass sie zunächst die Einbringung des Haushaltes abwartet“, versuchte Regierungssprecher Stefan Kornelius am Montag die Wogen zu glätten. Parallel dazu liefen die Verhandlungen im Bündnis, „bei dem die Nato-Ziele noch mal diskutiert und beschlossen werden sollen“. Diesem Prozess wolle man nicht vorgreifen.

Mittlerweile schicken sich Merz und Trump schon SMS

In Deutschland mag das erst einmal funktionieren, aber was ist mit Donald Trump? Was, wenn Friedrich Merz im Hexenkessel des Oval Office nach der Nato-Quote gefragt wird? Kann er dann auf die deutschen Haushaltsverhandlungen und die Diskussionen im Bündnis verweisen? Möglich, aber vermutlich nicht empfehlenswert. Es ist ein klassischer Fall des Trump-Spagats. Leitmotiv des Kanzlers ist die Tatsache, dass Europa militärisch zum Schutz vor Putins Russland auf die USA angewiesen ist. „Wir müssen alle erdenklichen Anstrengungen unternehmen, um die Amerikaner auf unserer Seite zu halten. Wir können nicht ausgleichen oder ersetzen, was die Amerikaner immer noch für uns tun“, mahnte Merz am Freitag beim Gipfeltreffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft in Tirana.

Eine zentrale Herausforderung seiner Kanzlerschaft wird für Merz folglich darin bestehen, einen belastbaren Draht zu dem Mann zu entwickeln, ohne den einerseits Deutschland kaum verlässlich verteidigt werden kann, der aber andererseits lustvoll die westliche Wertegemeinschaft zertrümmert. Trump erträgt bekanntlich keine Kritik, aber wie viel Kritiklosigkeit an Trump und seinem selbstherrlichen Gebaren wird die deutsche Öffentlichkeit hinnehmen?

„Wir respektieren das Ergebnis der Präsidentenwahlen und der Kongresswahlen und wir erwarten, dass die USA dasselbe tun“, hatte Merz sich als Kanzlerkandidat während der Münchner Sicherheitskonferenz die Empfehlungen des US-Vizepräsidenten J. D. Vance für eine Zusammenarbeit mit der AfD verbeten. Seit dem Einzug in Kanzleramt lautet die Mission nun: bloß kein Ärger.

Das erste Telefonat soll entsprechend freundlich verlaufen sein. Dass Trump sich seiner deutschen Wurzeln rühmte, wurde im Kanzleramt als gutes Zeichen gewertet. Mittlerweile wird, wenn auch im größeren Kreis, fast täglich telefoniert im verzweifelten Bemühen, Trump endlich zu Druck auf Kremlchef Wladimir Putin und Sanktionen für den Fall zu bewegen, dass dieser sich einer Waffenruhe für die Ukraine verweigert.

Als Wortführer sollen dabei vor allem der französische Präsident Emmanuel Macron, ein erfahrener Trump-Flüsterer, und der britische Premierminister Keir Starmer auftreten. An die Stimme des neuen deutschen Kanzlers sei Trump noch nicht so gewöhnt, ist zu hören, aber Merz ergreife zunehmend das Wort. Mittlerweile ist auch die Mobilnummer Trumps eingespeichert im Kanzlerhandy. Am Sonntag vom Petersplatz in Rom aus während der Amtseinführung von Papst Leo XIV. simste Merz zum ersten Mal mit Trump.

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