Mehr Angebot mit weniger Zügen: Bahn will mehr Sitzplätze im Fahrbetrieb anbieten

vor 5 Stunden 1

Die Deutsche Bahn will ihr Sitzplatzangebot im Fernverkehr in den nächsten Jahren erhöhen, in welchem Umfang, lässt sie vorerst offen. Ziel sei es, „die Flotte zu verjüngen und zu modernisieren, um den Betrieb zu stabilisieren“, teilte die Bahn mit. Der bundeseigene Verkehrskonzern reagierte damit am Donnerstagabend auf einen Beitrag des Magazins „Spiegel“, in dem von Überlegungen die Rede ist, 21.000 Sitzplätze im Fernverkehr zu streichen.

Die Bahn widersprach dem: „Die DB will keine 21.000 Sitzplätze im Fernverkehr streichen. Richtig ist: Die Anzahl der für unsere Fahrgäste verfügbaren Sitzplätze steigt bis zum Jahr 2036 an.“ Vor allem bei den ICE würden „die für Fahrgäste täglich verfügbaren Sitzplätze in den kommenden Jahren“ deutlich steigen, hieß es.

Bahn: Ältere Züge werden ausgemustert

Der „Spiegel“ hatte nach eigenen Angaben eine „als streng vertraulich gekennzeichnete Konzernunterlage“ ausgewertet. Demnach erwäge die Bahn, bis zum Jahr 2036 die Zahl der Sitzplätze im Fernverkehr von derzeit 265.000 auf 244.000 zu reduzieren. Dabei gingen bei den älteren Intercity-Zügen (IC) 23.000 von 55.000 Sitzplätze verloren, bei der ICE-Flotte kämen hingegen in diesem Zeitraum 2.000 hinzu. Dabei würden künftig ICE-Züge auch auf Strecken fahren sollen, die bislang von IC-Zügen bedient werden.

Die DB will keine 21.000 Sitzplätze im Fernverkehr streichen.

Ein Bahnsprecher

Die Bahn stellte klar, bei den vom „Spiegel“ genannten Zahlen handele es sich um Sitzplätze im Bestand, darunter auch in älteren Intercity-Zügen, die selten im Einsatz seien, und nicht um die täglich verfügbaren Plätze. Zur Strategie gehöre, ältere und störanfällige Fahrzeuge konsequent auszumustern. „Ältere Züge müssen mehr Wartungspausen einlegen und stehen für die Fahrgäste nicht zur Verfügung.“

Mit anderen Worten: In der gesamten Fahrzeugflotte sinkt die Zahl der Sitzplätze zwar. Die Bahn beabsichtigt aber vor allem alte und eher kleine Züge loszuwerden, die vergleichsweise wenig im Einsatz sind, weil sie anfällig für Pannen sind. Stattdessen will die Bahn neue, größere Züge kaufen, die deutlich mehr Fahrten absolvieren sollen als die Fahrzeuge, die in den kommenden Jahren ausgemustert werden sollen.

So will die Bahn - vereinfacht gesagt - den Fahrgästen mit weniger Fahrzeugen mehr Sitzplätze anbieten. Eine Maßnahme, um die Effizienz zu steigern.

Die Bahn wolle sich nicht aus einem deutschlandweiten Verkehrsangebot zurückziehen, erklärte der Konzern. Sie stehe „weiterhin ganz klar zu einem Verkehrsangebot in der Fläche“, heißt es in der Stellungnahme des Konzerns.

Flotte wächst wohl langsamer

Gleichwohl ergeben sich aus der vom „Spiegel“ wiedergegebenen Flottenplanung der Bahn einige interessante Rückschlüsse. So erwägt der Konzern laut dem Bericht, bis 2036 27 Doppelstockzüge des Typs IC2 des Herstellers Bombardier/Alstom zu verkaufen.

Zudem könnte der Konzern demnach vom spanischen Hersteller Talgo statt 79 nur 60 ICE L übernehmen. Über entsprechende Überlegungen hatte vor knapp einem Monat bereits die spanische Wirtschaftszeitung „El Economista“ berichtet.

Auch einige ICE-3-Neo Züge könnte der Konzern später erhalten, was vor allem auf Qualitätsprobleme des Herstellers Siemens zurückzuführen ist. Zugleich will sich der Konzern laut „Spiegel“ bis 2036 womöglich von allen ICE 3 der ersten Generation, die 330 Stundenkilometer fahren können, trennen.

In diesen Überlegungen kommt zum Ausdruck, dass der Konzern im Fernverkehr inzwischen mit deutlich weniger Wachstum plant. Die Ampelkoalition hat 2021 noch das Ziel ausgeben, dass die Deutschen 2030 doppelt so viel mit der Bahn fahren wie 2019. Ein ähnliches Ziel verfolgte aus Klimaschutzgründen bereits die schwarz-rote Koalition unter Bundeskanzlerin Angela Merkel. Nach diesen Zielvorgaben der Politik hatte der Staatskonzern seine Flottenplanung ausgerichtet.

Doch längst zeichnet sich ab, dass das ehrgeizige Wachstumsziel für die Bahn nicht zu erreichen ist. So begrenzen die vielen Baustellen zur Sanierung des Schienennetzes das Wachstum des Konzerns.

Die Bahn kämpft aber auch mit wirtschaftlichen Problemen. In den ersten vier Monaten dieses Jahres waren die Fernzüge der Bahn nur zu 44 Prozent ausgelastet. Viele Fahrgäste setzen sich auf kurzen Strecken wegen des Deutschlandtickets inzwischen eher in den Regionalzug. Das spricht nicht für eine große Erweiterung der Flotte.

Im vergangenen Jahr erwirtschaftete die für die Fernzüge zuständige Bahntochter DB Fernverkehr einen operativen Verlust von 96 Millionen Euro. Das kann sich die Bahntochter nicht dauerhaft erlauben. Denn die EU-Kommission hat in einem Wettbewerbsverfahren zur Güterverkehrstochter DB Cargo festgestellt, dass die bundeseigene Konzernholding die Verluste chronisch defizitärer Konzerntöchter nicht dauerhaft ausgleichen darf.

Wohl auch deshalb begrenzt der Chef von DB Fernverkehr, Michael Peterson, jetzt womöglich das Wachstum der Sitzplätze in seiner Flotte. (mit dpa)

Gesamten Artikel lesen