Mehr als 100 Tote nach Flut in Texas: „Das Chaos schlug ohne Vorwarnung zu“

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Nach der Flutkatastrophe im US-Bundesstaat Texas ist die Zahl der Todesopfer auf über 100 gestiegen. Allein im am schlimmsten betroffenen Landkreis Kerr wurden nach Behördenangaben bis Montagabend 84 Tote geborgen, darunter 28 Kinder. Hinzu kommen mindestens 17 Tote in benachbarten Landkreisen.

Hunderte Menschen suchten am Flussufer mit Hubschraubern, Booten und Spürhunden weiter nach Vermissten, neue Unwetter könnten die Such- und Bergungsarbeiten noch erschweren. 

In Texas war in der Nacht zum Freitag nach heftigen Regenfällen der Wasserstand des Flusses Guadalupe innerhalb von 45 Minuten um acht Meter gestiegen. In der beliebten Ferienregion hatten am US-Nationalfeiertag und dem darauffolgenden Wochenende viele Menschen gecampt.

Überschwemmt wurde auch das christliche Sommerlager Camp Mystic, in dem sich zum Zeitpunkt der Flut rund 750 Mädchen aufhielten.

Wir wussten nicht genau, was um uns herum geschieht, weil es so dunkel war.

Teilnehmer des Camp La Junta

Unter den Toten sind mindestens 27 Teilnehmerinnen und Betreuer aus dem Camp Mystic. Elf Menschen aus dem Sommerlager – zehn Teilnehmerinnen und ein Betreuer – wurden am Montag immer noch vermisst. Die Zahl der Opfer wird voraussichtlich also weiter steigen.

In einer Reportage des US-Senders CNN erinnern sich Angehörige und Teilnehmer zweier Jugendcamps an die Stunden, als der Pegelstand des Flusses Guadalupe in kurzer Zeit bedrohlich anstieg. Ein Teilnehmer des Camps La Junta für junge Burschen erinnert sich, dass morgens um 4 Uhr Schreie und Hilferufe aus einem der Massenunterkünfte zu vernehmen waren.

„Wir wussten nicht genau, was um uns herum geschieht, weil es so dunkel war“, erinnert sich ein 14-jähriger Camp-Teilnehmer. „Uns war klar, dass wir schnell handeln müssen.“ Ein Entfliehen aus La Junta sei aber riskant gewesen, die Flut schwoll an, „wir wollten von ihr nicht mitgerissen werden.“

In dem wenige Meilen entfernten Mädchencamp Mystic spielten sich mitten in der Nacht dramatische Szenen ab. Ein Betreuer erinnert sich, wie kleine Mädchen aus den überfluteten Gebäuden des Camps evakuiert wurden.

„Zwei Betreuer standen mitten in den Fluten, die Kinder wurden durch den reißenden Fluss herübergetragen und an einem Ort auf einer Anhöhe in Sicherheit gebracht.“

Mit letzter Kraft an Baum geklammert

Das „Wall Street Journal“ (WSJ) zitiert die 19-jährige Camp-Betreuerin Paloma Puente, die ihren ersten Sommer im Camp Mystic arbeitete. „Das Chaos schlug ohne Vorwarnung zu“, erzählt die junge Frau.

Die 16-jährige Camp-Teilnehmerin Callie McAlary erzählt in einer US-Nachrichtensendung, wie sie während der anschwellenden Fluten ihr Namensschild an ihre Bluse heftete. „Ich dachte mir, falls etwas passiert und ich weggeschwemmt werde, trage ich wenigstens meinen Namen an meinem Körper.“

Eine Sitzbank, die von den Fluten mitgerissen wurde, liegt im Trümmerfeld.

© IMAGO/ZUMA Press Wire/Sandra Dahdah

Andere Augenzeugen berichten von Schreien aus der Dunkelheit von Menschen, die vom Fluss mitgerissen wurden oder in Autos feststeckten.

Eine Betroffene berichtet CNN von einer Frau, die sich mit letzter Kraft an einen Baum geklammert hatte, nachdem sie von den Fluten mitgerissen und Stunden im Wasser verbracht hatte. „Es ist ein Wunder“, sagt der Augenzeuge. Normalerweise würde kein Mensch so viele Stunden in der Flut überleben.

Wir hörten Schreie und Menschen, die an Autoscheiben klopften und hupten.

Lorena Guillen, Restaurant-Betreiberin

Lorena Guillen betreibt in der Touristengegend rund um den Fluss Appartements und ein Restaurant, wenige Milen vom Mädchencmap Mystic entfernt.

Dem „Wall Street Journal“ erzählt sie, wie am Freitagabend auf ihrem Handy eine Flutwarnung der Behörden aufpoppte, sie sich aber zunächst nicht viel dabei gedacht habe, weil solche Warnungen „für die Gegend hier nichts Außergewöhnliches“ seien.

Dennoch habe sie das County Sheriffs Department um zwei Uhr in der Früh angerufen, um nachzufragen, ob das Guest-House zu evakuieren sei. Die Polizei habe ihr zur Antwort gegeben, dass sie darüber keine Informationen hätten. „Also sagte ich mir: ,Okay, wenn sie keine Informationen haben....’, und legte mich dann schlafen.“

Eine Stunde später sei sie durch Warnlichter und Lärm aufgewacht. „Das Wasser im Haus stand schon drei Meter hoch.“ Draußen spielten sich dramatische Szenen ab. Autos mit Insassen wurden von den Fluten mitgerissen. „Es war dunkel, alles, was wir sahen, waren Lichter und wir hörten Schreie und Menschen, die an Autoscheiben klopften und hupten.“

1750

Rettungskräfte waren bei der Suche nach Vermissten beteiligt

An der Suche nach den Vermissten waren zuletzt rund 1750 Rettungskräfte beteiligt. Auch Freiwillige suchten mit Booten auf dem Wasser und mit Pferden und zu Fuß an den Flussufern weiter nach Toten und Überlebenden.

Der US-Wetterdienst warnte unterdessen vor neuen Gewittern. „Es besteht weiterhin die Gefahr von heftigen Regenfällen mit der Gefahr von Überschwemmungen“, warnte der texanische Gouverneur Greg Abbott. 

Trump will Katastrophengebiet besuchen

US-Präsident Donald Trump plant für Freitag einen Besuch im Katastrophengebiet, wie das Weiße Haus am Montag bestätigte. Vorwürfe, wonach seine Kürzungen beim Nationalen Wetterdienst NWS und der US-Klimaschutzbehörde NOAA die Warnsysteme geschwächt hätten, wies die Regierung zurück.

Trump für die Überschwemmungen verantwortlich zu machen, sei eine „widerwärtige Lüge“ und habe „in dieser Zeit der nationalen Trauer keinen Zweck“, sagte seine Sprecherin Karoline Leavitt.

Trump hatte die Sturzflut und ihre Auswirkungen in einer ersten Reaktion als „Jahrhundertkatastrophe“ bezeichnet, die niemand erwartet habe. Seit Trumps Amtsantritt im Januar waren Mittel für den Wetterdienst und die Klimaschutzbehörde gekürzt und zahlreiche Wissenschaftler entlassen worden.

Laut einem Bericht der „New York Times“ waren beim Wetterdienst in Texas vor der Flutkatastrophe mehrere wichtige Stellen nicht besetzt.

Forderung nach modernen Warnsystemen wird lauter

Sturzfluten sind in der Katastrophenregion im Zentrum und Süden von Texas keine Seltenheit, sie ist als „Flash Flood Alley“ (Sturzflutkorridor) bekannt. Experten zufolge gab der NWS auch rechtzeitig Unwetter- und Flutwarnungen heraus.

Der Experte Daniel Swain führt die verheerenden Folgen des Unwetters vor allem auf ein Versagen bei der „Verbreitung“ der Warnmeldungen zurück: Viele Menschen bekamen die Warnungen nicht mit, weil sie schliefen und ihre Handys ausgeschaltet hatten.

Eine Mutter aus San Antonio, die ihre Töchter beinahe auch ins Camp Mystic geschickt hätte, startete eine Online-Petition, in der sie Gouverneur Abbott auffordert, in Texas moderne Warnsysteme zu installieren. „Fünf Minuten Sirenengeheul hätten jedes einzelne dieser Kinder retten können“, sagte Nicole Wilson mit Blick auf die vielen Toten in dem Sommerlager.

Im Camp Mystic war das Wasser bis zu den Baumkronen und den Dächern der Hütten gestiegen, in denen die Mädchen in ihren Betten lagen. Freiwillige suchen in den zerstörten Schlafsälen und am Flussufer nun nach den Vermissten.

„Wir helfen den Eltern von zwei vermissten Kindern“, sagte der 62-jährige Louis Deppe. „Die letzte Nachricht, die sie bekommen haben, war: “Wir werden weggespült„, und dann war die Leitung tot.“

In San Antonio versammelten sich am Montagabend zahlreiche Menschen, um bei einer Mahnwache für die Opfer der Flutkatastrophe zu beten. Sie sei „ziemlich schockiert“ und habe nie erwartet, „dass unsere Flüsse so schnell ansteigen können“, sagte die 29-jährige Rebeca Gutierrez. (mit AFP)

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