Eines der letzten Bilder von Mariam Abu-Daqqa zeigt den Tod. Ein Kind liegt auf dem Boden, eingehüllt in weißen Stoff. Die Haut ist fahl. Augen und der Mund stehen leicht offen, so als sei es noch gar nicht ganz fort von dieser Welt.
Karim Qdeih wurde 13 Jahre alt, ist in einem kurzen Begleittext zu dem Foto zu lesen. »Getötet mit anderen bei einem israelischen Angriff in der Nacht auf Samstag.« Die Angehörigen des toten Kindes hätten am Nasser-Krankenhaus in Chan Junis getrauert, lesen wir noch.
Etwa 48 Stunden später ist Mariam Abu-Daqqa, die Fotografin, selbst tot. Sie starb an dem Ort, an dem das Foto des Jungen entstand. Mariam Abu-Daqqa arbeitete als freie Fotojournalistin, unter anderem für die Nachrichtenagentur AP, ihre Bilder aus Gaza erschienen in internationalen Medien.
Ein Foto, kurz nach dem Tod der Fotografin aufgenommen, zeigt ihren Vater gemeinsam mit Verwandten und Freunden.

Der Vater von Mariam Abu-Daqqa mit Verwandten und Freunden am Montag, kurz nach ihrem Tod
Foto: APDie SPIEGEL-Mitarbeiterin Ghada Alkurd berichtet aktuell selbst unter akuter Lebensgefahr aus Gaza. Sie kannte die getötete Fotografin. In einer Sprachnachricht erinnert sich Ghada an ihre Kollegin. »Ich traf sie wieder, als ich selbst zum ersten Mal vertrieben wurde. Ich kannte sie davor, war aber im Ausland. Als ich kein Zuhause mehr hatte, kam ich zum Nasser-Krankenhaus. Dort traf ich sie. An dem Platz, an dem sie und die anderen heute getötet wurden.«
Es gibt nicht viele Journalistinnen im Kriegsgebiet. Ghada sagt, sie habe in ihrer Kollegin ein Vorbild gesehen. »Immer, wenn sie kam, hat sie uns unterstützt. Sie hat uns Frauen immer geholfen.« Mariam Abu-Daqqa habe vor dem Krankenhaus ein Zelt errichtet, in dem sie gearbeitet und anderen Reporterinnen geholfen habe. »Wir konnten immer zu ihr kommen. Sie hat die Rechte ihrer Leute verteidigt. Sie kannte viele Menschen und sagte, wenn es irgendwo Arbeit gab«, so Ghada.

Nothelfer nach dem Angriff auf das Nasser-Krankenhaus am Montag
Foto: Hatem Khaled / REUTERSDas Nasser-Krankenhaus galt als das letzte im Süden von Gaza. Bereits im März und im Mai wurde es von Israel angegriffen. Schon damals waren die Verhältnisse kaum auszuhalten. Inzwischen hungern viele Menschen im Küstenstreifen, im Norden herrscht laut anerkannten Experten bereits eine Hungersnot.
Die Nachrichtenagentur AP teilte nach dem Tod von Mariam Abu-Daqqa mit, die Journalistin habe im Krankenhaus dokumentiert, wie Ärzte um das Leben unterernährter Kinder kämpften. Die britische Zeitung »Independent« teilte mit, die getötete Fotojournalistin habe ebenfalls für sie gearbeitet.
AP verlangte mit Reuters, einer weiteren Nachrichtenagentur, in einem gemeinsamen Brief eine Erklärung von den israelischen Behörden. »Wir sind empört, dass unabhängige Journalisten unter den Opfern dieses Angriffs auf das Krankenhaus sind«, heißt es darin. Krankenhäuser seien unter internationalem Recht geschützt. Israels Regierungschef Benjamin Netanyahu nannte den Angriff ein »tragisches Missgeschick«, das Militär untersuche den Vorfall. Laut AP sind seit Beginn des Krieges fast 200 Journalistinnen und Journalisten getötet worden .
Mariam Abu-Daqqa hatte laut AP einen 13-jährigen Sohn, der nach Ausbruch des Krieges aus Gaza gebracht werden konnte. SPIEGEL-Mitarbeiterin Ghada Alkurd sagt, er habe in Ägypten vorläufig Zuflucht gefunden, ohne seine Mutter.
Offenbar lebte Mariam Abu-Daqqa allein. Sie selbst wurde mehrfach zur Vertriebenen während des Gazakriegs. Laut Ghada sorgte sich Abu-Daqqa viel um ihre verbliebene Familie, ihre Brüder und Schwestern.

Ein Journalist hält Mariam Abu-Daqqas blutverschmierte Kamera in den Händen
Foto: AFP»Aber sie hat sehr viel gearbeitet. Sie ist stets zu den gefährlichen Orten. Wenn es Luftschläge gab oder sogenannte Evakuationsgebiete, dann ist sie hin. Sie hat Bilder aufgenommen für ihre Medien. Wenn ich sie gesehen habe, dann war ich stolz auf ihre Arbeit als Frau im Journalismus.«
Ghada sagt: »Mariam wollte der Welt eine Nachricht senden.« Welche? »Schaut her! Ich bin immer noch hier.«
Nun ist Mariam Abu-Daqqa tot. Sie wurde 33 Jahre alt.