
Musikerin Somerville: Alle Klischees umschifft
Foto: Cait FaheyDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Maria Somerville – »Luster«
Immer diese Klischees. Maria Somerville ist Irin? Ach so, dann spielt sie bestimmt in einer Folkband, ist trinkfest, lacht ohrenbetäubend laut und besiegt die Kerle im Pub erst beim Darts und dann auch noch beim Billard. Also so wie das robuste »Galway Girl« aus dem Charts-Hit von Ed Sheeran: »She played the fiddle in an Irish band«... und so weiter, Sie wissen schon. Gähn.
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Maria Somerville, das ist der Witz zu diesem etwas länglichen Intro, ist tatsächlich ein »Galway Girl«. Zumindest sendet sie ihre morgendliche Radioshow »The Early Bird« für den auf TikTok populären Internetsender NTS aus der Stadt an der irischen Atlantikküste und stellt darin experimentellere Indiemusik, Field Recordings und Ambient-Pop vor. Und statt der Fiddle spielt Somerville eine der ersten Geigen beim Revival des sogenannten Shoegaze-Sounds.
Grob gesagt werden dabei sphärische Synthesizer-Klänge mit verzerrtem Gitarrennebel über einen verhuschten, ebenfalls stark verfremdeten Gesang gewölkt. Der Name Shoegaze kommt daher, dass die maßgeblichen Genre-Pioniere und Bands, darunter auch die irische Band My Bloody Valentine, bei ihren Auftritten nie ins Publikum, sondern angestrengt gen Fußboden zu starren (to gaze) schienen. Es ging aber eher um die Bedienung der Effektpedale ihrer Instrumente als um die Bewunderung von Sneakern oder Birkenstocks. Die Konzertbesucher taten es ihren Idolen dann irgendwann gleich, und so ist Shoegaze längst auch ein introvertierter Indiedisco-Tanzstil geworden, bei dem der Blick fest nach unten gerichtet bleibt.
Momentan gibt es ein kleines Revival des Musikstils, vielleicht auch, weil man sich in den Hallsphären von Shoegaze mit angemessener Schwermut und der richtigen Gravitas aus der anstrengenden Realität beamen kann und in jedem Fall in ein weiches Klangpolsterbett fällt.
»Luster« ist nun aber, zum Glück, kein typisches Shoegaze-Album geworden, das war eher Somervilles Debüt »All My People« von 2019. Damals lebte sie noch in der Großstadt Dublin, sang aber bereits davon, dass sie Heimweh nach Connemara hatte, ihrer hügeligen Heimatregion an der wilden Westküste Irlands. Während der Pandemie zog sie dorthin zurück, um bei ihrer Familie zu sein.
Für ihr erstes Album beim britischen Avantpop-Label 4AD, Heimat von Shoegaze-Veteranen wie den Cocteau Twins und This Mortal Coil, schrieb sie nun Songs, die einerseits noch Echos und graue Asphaltfarben der urbanen Melancholie und Vereinzelung in sich tragen, andererseits aber Trost, Ermutigung, wenn nicht gar Befreiung in der Natur finden. Immer wieder dringen verspielte Geräusche durch die Soundwall, im Eröffnungstrack »Réalt« sind es zwitschernde Morgenvögel, durch das Schlussstück »October Moon« plätschert die nächtliche Ozeanbrandung.
Abseits solcher Found Sounds durchbricht Somerville auf ihrer Landpartie auch musikalisch immer wieder die Genregrenzen, bevor es allzu elegisch wird. Durch »Spring« schlurft plötzlich ein entspannter, aber dennoch exakter TripHop-Breakbeat, dem man anhört, dass das Album letztlich in New York gemastert wurde. »Stonefly« hat einen sanft swingenden Preset-Rhythmus, der an den eleganten Seidenpop von Sade erinnert. Im gemächlichen »Garden« bringt gegen Ende ein hektischer Cure-Basslauf Leben in den Badeausflug zu den algenbewachsenen Höhlen am Fuße der Meeresklippen.
Ein echter Popsong scheint immer nur einen Griff durch den Nebel entfernt, das macht das Album so faszinierend, es bannt den Zuhörer mit jedem kleinen Anflug einer Melodie. »Luster«, das steht für einen bestimmten Schimmer, den Steine oder Felsen verbreiten, bevor es zu regnen beginnt, ein magisches Flimmern der gespannten Erwartung, während alles stillhält und wie in Watte gepackt wirkt.
Somervilles Shoegaze-Entwurf wirkt bei aller Flüchtigkeit rustikal, als würde sie statt auf Pedale oder Schuhe auf die wilden Erdbeeren starren, nach denen sie im Song »Violet« sucht. Unterstützung erhielt Somerville von irischen Musikerkollegen, darunter Finn Carraher McDonald, der als Nashpaints Musik veröffentlicht und Ian Lynch, ein Meister des irischen Dudelsacks und Mitglied der Dark-Folk-Band Lankum.
Irische Traditionen und Mythen wabern also auch durch die Musik auf »Luster«: Ein wunderschön andächtiger Song ist dem Lough Corrib gewidmet, einem großen See nordwestlich von Galway, an dessen Ufern schon Poesie-Schwergewichte wie Yeats und Oscar Wilde ihre Füße badeten. Das Tolle ist, dass Somerville so gut wie jedes dieser Irlandklischees mit Leichtigkeit zu umgehen weiß und damit wohl einen modernen irischen Popklassiker geschaffen hat. (8.5/10)
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Kurz abgehört:
Suzanne Vega – »Flying With Angels«
Auch Suzanne Vega, eine der besten Songwriterinnen, die New York hervorgebracht hat, verbrachte offenbar mal eine Zeitlang an der irischen Westküste. Eingeladen, so singt sie, wurde sie von einem Mann, einem Galway Guy, wenn man so will, der mal der Vater ihrer Tochter Ruby Froom hätte werden können, die auf diesem Album auch mitmacht – wurde er aber nicht.
Jetzt rätselt man natürlich, wer der unbekannte Ire gewesen sein könnte, und vergisst darüber, dass »Galway«, das Schlussstück von »Flying With Angels«, viel zu viel irischen Klischeeduft verströmt, um ein guter Song zu sein. Aber das gilt zum Glück nicht für alles auf diesem Comeback-Album nach einem knappen Jahrzehnt. Suzanne Vega wurde in den Achtzigern mit urbanen Folkpop-Hits wie »Luka«, »Marlene On The Wall« und natürlich dem Spoken-Word-Track »Tom’s Diner« zum Star, zuletzt schien sie sich allerdings musikalisch ein wenig verloren zu haben.
Jetzt ist die Klarheit und Schärfe in ihrer immer noch mädchenhaften Stimme wieder da, wenn sie in »Speaker’s Corner« darüber nachdenkt, dass ihr der wütende, früher immer schwer nervende Doomsday-Prophet im Park allemal sympathischer ist als all die Schweinepriester in der aktuellen Regierung, und immerhin ist ja fast alles eingetroffen, was der Freak an Dystopien auf seiner Seifenkiste angemahnt hat.
Vega, 65, ist eine brillante Erzählerin, egal ob sie in »Witch« zu schwerer, dräuender Rockmusik Zeitgeistkritisches postuliert (»We are living in a state of permanent emergency«) oder im bratzigen Violent-Femmes-Stil über die – echte und metaphorische – Rattenplage in ihrer Heimatstadt ätzt. Dass sie sich hinter Klassikern nicht verstecken muss und will, zeigt sie mit »Chambermaid«, einem selbstbewussten Riff auf den Evergreen »I Want You« von Altmeister und Pop-König Bob Dylan: Einst habe sie, die Kammerzofe, gern vorgegeben, eine Königin zu sein, aber das sei ihr jetzt zu viel, singt sie. Heute sehne sie sich nach »comfort and peace«, »pleasure and release«. Aber da wird natürlich nichts draus, wenn sie ein so gutes Album veröffentlicht und plötzlich wieder alle über Suzanne Vega reden. Gut so. (7.8/10)
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Wertung: Von »0« (absolutes Desaster) bis »10« (absoluter Klassiker)