Der Schauspieler und Fotograf Carlos Leal dokumentiert die Brände in Los Angeles. Nicht nur Gebäude stünden dort in Flammen, sagt er, sondern auch der American Dream.
16. Januar 2025, 16:40 Uhr
Im Jahr 2011 ist Carlos Leal nach Los Angeles gezogen, in Hollywood würde man den Schweizer als "working actor" bezeichnen: ein gut beschäftigter Film- und Fernsehschauspieler, der in Projekten wie "The L Word", "Better Call Saul" oder, schon vor seiner L. A.-Zeit, im James-Bond-Film "Casino Royale" zu sehen war. Der 55-Jährige arbeitet zudem als Fotograf. Nach den Ausbrüchen der Brände in seiner Wahlheimat hat er die verheerenden Folgen mit der Kamera festgehalten.
ZEIT ONLINE: Carlos Leal, Sie leben in Eagle Rock, einem Viertel von Los Angeles, das zwischen den Hollywood Hills und dem sehr stark von den Waldbränden betroffenen Altadena liegt. Wie geht es Ihnen?
Carlos Leal: Meine Familie ist in Sicherheit. Unser Haus steht noch. Wir haben eine Evakuierungswarnung bekommen, aber das Feuer ist nicht bis zu uns vorgedrungen. Wir hatten bisher Glück, es gab nur drei Tage lang keinen Strom.
ZEIT ONLINE: Mit Ihrer Kamera dokumentieren Sie das Ausmaß der Brände in Los Angeles. Wo haben Sie fotografiert?
Leal: In Pasadena und Altadena. Ich habe mich gleich am Morgen auf den Weg gemacht, nachdem ich gehört hatte, dass nachts die ersten Feuer ausgebrochen waren. Es war sehr chaotisch, ich war von Flammen umgeben und bin immer wieder aus dem Auto gestiegen, um Fotos zu schießen. Die Polizisten hatten anderes zu tun, als sich um mich zu kümmern, niemand hat mich davon abgehalten, zu fotografieren. Ich hatte keine Schutzkleidung, nur eine Maske.
ZEIT ONLINE: Was haben Sie vor Ort gesehen?
Leal: Um mich herum flog Glut, es war aber nicht so, dass alles gebrannt hätte. Man hatte jedoch keine Ahnung, wo es als nächstes losgehen würde. Viele Leute haben inmitten der Flammen mit Gartenschläuchen versucht, ihre Häuser zu retten. Teilweise auch erfolgreich. Durch den starken Rauch konnte man kaum sehen, es war auch tagsüber dunkel, und überall standen Autos herum – von Anwohnern, die wegfahren wollten, aber nicht weiterkamen in einem Stau aus Menschen, die evakuiert werden sollten.
ZEIT ONLINE: Viele Fotografen berichten aus den Pacific Palisades, zeigen die verbrannten Villen, Pools und Teslas. Haben Sie sich bewusst auf East Los Angeles konzentriert?
Leal: Für mich ist das das echte L. A., es interessiert mich einfach mehr als die Welt der Schönen und Reichen unten in den Palisades und in Malibu. Diese Glitzerwelt halten viele, die die Stadt nicht kennen, für L. A. – Los Angeles ist eben noch immer eine Fantasie. Es hat große Symbolkraft, wenn Häuser, die man aus Filmen kennt, plötzlich brennen. Als würde der Kapitalismus selbst in Flammen aufgehen. Aber es ist beängstigend, wie fragil diese Stadt ist, die sich durch Filme und Fernsehen vermeintlich unsterblich gemacht hat.
ZEIT ONLINE: Ihre Fotos erinnern an Bilder aus Kriegsgebieten.
Leal: Ja, davon haben wir in den letzten Jahren so viele gesehen. Nur haben wir in L. A. viel mehr Glück. Unsere Stadt wird wieder aufgebaut. Hier sind vielleicht 25 Menschen gestorben. Die Menschen in den Kriegsgebieten haben keine Versicherung, keine Staatshilfen, die sicherstellen, dass es weitergeht. Das ist die echte Hölle.
ZEIT ONLINE: Welchen Einfluss werden die Brände auf die Entertainmentbranche in Los Angeles nehmen?
Leal: Nun, es läuft schon länger schlecht für Hollywood. Der Film- und TV-Industrie geht es seit Corona und den Streiks von Autorinnen und Schauspielern nicht mehr gut. Hinzu kommen die Inflation und die hohen Steuern auf Produktionen in der Stadt. Oft ist es günstiger, anderswo zu produzieren. Der kalifornische Gouverneur Gavin Newsom hatte bereits Hilfen für Produktionsfirmen in Aussicht gestellt, um die Branche hier vor Ort zu stärken, aber unter den neuen Umständen wird das Geld für Menschen, für Häuser, für Schulen gebraucht und bestimmt nicht für Entertainment. Ich befürchte also, dass es noch schlimmer wird. Es sind Produktionen on hold, und neue werden hier in der Stadt bis auf Weiteres sicher auch nicht geplant.
ZEIT ONLINE: Sie leben seit 14 Jahren in Los Angeles. Wie hat sich Ihr Blick als Kulturschaffender auf die Stadt und die USA in diesem Zeitraum verändert?
Leal: Als ich hier ankam, haben mich Fantasievorstellungen von Hollywood angezogen und geblendet. Es war ernüchternd für mich, zu erkennen, wie weit Realität und Fiktion auseinanderklaffen. Menschen, die einst einem persönlichen American Dream gefolgt sind, werden einfach aufgegeben. Die USA sind nicht mehr das Land, von dem ich geträumt habe, als ich ein Kind war. Ich arbeite derzeit an einem Buch über die Obdachlosen-Krise in Los Angeles, die im starken Kontrast zur Hollywood-Glamour-Welt steht, obwohl beides geografisch so nah beieinander liegt. Die Feuerkatastrophe unterstreicht mein Thema noch: der Untergang des American Dream, wenn man so will. Aber außerhalb von L. A. wird das vielleicht nicht wahrgenommen, weil Hollywood sehr gut darin ist, Propaganda zu betreiben.
ZEIT ONLINE: Überlegen Sie, nach Europa zurückzugehen?
Leal: Ich ziehe im Sommer zurück. Ich hatte Glück, ich habe 14 Jahre als Schauspieler in Hollywood gut gearbeitet, es war großartig, und ich bin dankbar dafür. Aber ich bin fertig mit L. A. Es ist nicht mein Herzensort, ich muss nach Europa zurück. Auch wegen der Kunst.
ZEIT ONLINE: Los Angeles wird oft als oberflächlich und eitel abgetan. Nun jedoch sieht man eine andere Seite der Einwohner: Die Solidarität ist groß. Hat man L. A. unterschätzt?
Leal: Es ist doch immer so in Amerika: Das Land lebt von Gegensätzen. Aber die aktuelle Welle der Solidarität ist wirklich berührend. Ich kenne niemanden, der nicht hilft, der nicht spendet, der keine Menschen aufnimmt. Jeder kennt mindestens einen, der alles verloren hat. Man denkt hier gerade nicht egoistisch, und ich bin unsicher, ob sich dieser Geist in Europa ebenso einstellen würde. Dafür bewundere ich die Amerikaner.
ZEIT ONLINE: Seit Jahrzehnten sprechen die Einwohner von Los Angeles über The Big One, das große, angeblich nahende Erdbeben, das die ganze Stadt zerstören wird. Leben die Menschen in der Stadt mehr im Moment als anderswo, weil solche Gedanken über ihnen schweben?
Leal: Man könnte schon denken, dass es einer Todessehnsucht bedarf, um überhaupt nach L. A. zu ziehen. Warum sonst sollte man dieses Risiko eingehen? Aber im Alltag vergisst man es, wird nur durch kleinere Erdbeben hin und wieder daran erinnert. Die nimmt man hin und arbeitet weiter an seinem eigenen Traum.