Libanon meldet Dutzende Tote, Biden und Netanyahu wollen offenbar telefonieren

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Was ist passiert

Bei israelischen Angriffen im Libanon sind am Dienstag nach Behördenangaben mindestens 36 Menschen getötet worden. 150 weitere Personen seien verletzt, teilte das libanesische Gesundheitsministerium mit. Damit seien seit Ausbruch der Gefechte zwischen der Hisbollah und dem israelischen Militär vor einem Jahr mindestens 2119 Menschen getötet und 10.019 weitere verletzt worden. Das Ministerium unterscheidet nicht zwischen Zivilisten und Hisbollah-Kämpfern.

Allein am Dienstag registrierte der Notfallausschuss der geschäftsführenden Regierung insgesamt 137 israelische Luftangriffe im Libanon.

Davor hatte die israelische Armee mitgeteilt, insgesamt seien am Dienstag 180 Geschosse aus dem Libanon registriert worden, die auf Ziele im Norden Israels und vor allem in Haifa gerichtet gewesen seien. Die meisten der Geschosse seien abgefangen worden. Einige seien aber auch in Vororten der wichtigsten Hafenstadt Israels eingeschlagen. Eine Frau in Haifa wurde demnach leicht verletzt.

Am Mittwoch war eigentlich der israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant in Washington erwartet worden. Der Besuch wurde nun überraschend abgesagt, wie das US-Verteidigungsministerium mitteilte. »Wir wurden darüber informiert, dass Minister Gallant seine Reise nach Washington verschiebt«, sagte die stellvertretende Pentagon-Sprecherin Sabrina Singh.

Laut einem Bericht der US-Nachrichtenseite Axios wollte der israelische Regierungschef Benjamin Netanyahu die Reise seines Verteidigungsministers nicht genehmigen, solange das Sicherheitskabinett nicht über eine Reaktion auf den iranischen Raketenangriff entschieden und der Regierungschef nicht mit US-Präsident Joe Biden gesprochen habe.

Israels Verteidigungsminister Gallant (Mitte Oktober 2023)

Israels Verteidigungsminister Gallant (Mitte Oktober 2023)

Foto:

Ariel Hermoni / Israel Mod / ZUMA Wire / IMAGO

Aufgrund der amerikanischen Kritik an der israelischen Kriegsführung waren die Beziehungen zwischen Washington und Tel Aviv zuletzt angespannt. Medienberichten zufolge haben Biden und Netanyahu seit rund 50 Tagen nicht mehr miteinander gesprochen. Das soll sich laut Axios nun ändern: Demnach wollen Biden und Netanyahu am Mittwoch miteinander telefonieren. Thema soll das mögliche Vorgehen gegen Iran sein. Die Nachrichtenseite beruft sich dabei auf drei US-Offizielle, die mit dem Plan für das Telefonat vertraut seien.

Das sagt Israel

Israels Regierungschef Benjamin Netanyahu warnte die Menschen im Libanon vor Zerstörung wie im Gazastreifen. »Sie haben die Möglichkeit, den Libanon zu retten, bevor er in den Abgrund eines langen Krieges stürzt, der zu Zerstörung und Leid führen wird, wie wir es im Gazastreifen sehen.« Das sagte Netanyahu am Dienstag in einer Videoansprache an die Menschen im Libanon.

»Ich sage Ihnen, dem libanesischen Volk: Befreien Sie Ihr Land von der Hisbollah, damit dieser Krieg enden kann«, fuhr Netanyahu fort. »Sie stehen an einem bedeutenden Scheideweg«, betonte er. »Stehen Sie auf und holen Sie sich Ihr Land zurück.« Wenn die Menschen im Libanon das nicht täten, würde die Hisbollah weiterhin versuchen, »Israel aus dicht besiedelten Gebieten heraus auf Ihre Kosten zu bekämpfen«. Der Miliz sei es egal, ob der Libanon in einen größeren Krieg hineingezogen werde.

Netanyahus Worten zufolge haben die israelischen Streitkräfte schon »Tausende Terroristen ausgeschaltet«, darunter Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah sowie »Nasrallahs Nachfolger und den Nachfolger seines Nachfolgers«.

Das sagt die Hisbollah

Die proiranische Hisbollah-Miliz im Libanon drohte Israel mit verstärkten Attacken, sollte Israel weiterhin den Libanon angreifen. »Die zunehmenden Angriffe des israelischen Feindes« bedeuteten, dass die israelische Stadt »Haifa und andere Orte genauso häufig von unseren Raketen angegriffen werden wie Kirjat Schmona, Metula« und andere Orte, erklärte die Miliz am Dienstag.

Kirjat Schmona und Metula liegen im Norden Israels an der Grenze zum Libanon.

Hochrangige Mitglieder der Hisbollah im Libanon machen zudem eine Waffenruhe mit Israel nicht mehr von einem Ende der Kämpfe im Gazastreifen abhängig. Zwar hatten zwei niederrangige Vertreter der Islamisten bereits in den vergangenen Tagen die Bedingung fallengelassen. Am Dienstag erklärte jedoch auch der stellvertretende Hisbollah-Chef Naim Kassim, man unterstütze die politischen Bemühungen um einen Waffenstillstand. Das berichtete die Nachrichtenagentur Reuters. Eine formelle Erklärung zu den Bedingungen für eine Waffenruhe gab die Gruppe jedoch nicht heraus.

Aus libanesischen Regierungskreisen erfuhr die Nachrichtenagentur Reuters jedoch eigenen Angaben zufolge, die Hisbollah habe ihre Haltung angesichts des massiven Drucks geändert, der inzwischen in vielen Formen auf ihr laste. Dazu gehöre die Massenflucht von Unterstützern aus dem südlichen Libanon angesichts der israelischen Vorstöße dort.

Internationale Reaktionen

US-Vizepräsidentin Kamala Harris erklärte im Gespräch mit US-Moderator Stephen Colbert, es gebe Fortschritte bei den Verhandlungen über einen Waffenstillstand im Gazastreifen. Details nannte sie nicht. Harris ergänzte allerdings, die Fortschritte seien »bedeutungslos«, solange keine tatsächliche Einigung erzielt werde. »Wir müssen so schnell wie möglich einen Waffenstillstand und ein Geiselabkommen erreichen.«

Laut einem Bericht des israelischen Fernsehsenders Channel 12 haben die USA und mehrere arabische Staaten geheime Gespräche mit Iran über einen Waffenstillstand an allen Fronten aufgenommen. Israel sei gegenwärtig nicht an den Gesprächen beteiligt, aber darüber informiert worden.

Iran hatte in der vergangenen Woche Israel mit rund 180 Raketen direkt angegriffen. Außerdem unterstützt die Regierung in Teheran die Schiitenmiliz Hisbollah im Libanon und die Huthi-Miliz im Jemen, die ihrerseits immer wieder Israel angreifen.

Uno-Generalsekretär António Guterres sprach sich außerdem deutlich gegen ein vom israelischen Parlament geplantes Gesetz aus, das das Uno-Palästinenserhilfswerk UNRWA als Terrororganisation einstufen würde. Ein solches Gesetz würde die Anstrengungen, das menschliche Leid und die Spannungen im Gazastreifen – und auch im Westjordanland und in Ostjerusalem – zu lindern, »ersticken«, sagte Guterres in New York. »Es wäre eine Katastrophe in einem jetzt schon kompletten Desaster.«

Er habe sich deswegen schriftlich direkt an Netanyahu gewandt und seine »tiefe Besorgnis« über den Gesetzentwurf zum Ausdruck gebracht, »der das UNRWA daran hindern könnte, seine wichtige Arbeit in den besetzten palästinensischen Gebieten fortzusetzen«.

Das israelische Parlament will ein Gesetz auf den Weg bringen, das das UNRWA als Terrororganisation einstufen und laut Medienberichten seine Arbeit auf israelischem Territorium verbieten würde. Ein Ausschuss im Parlament billigte vor wenigen Tagen einen entsprechenden Entwurf, der damit nun in einer zweiten und dritten Lesung im Parlament verabschiedet werden kann. Es wird erwartet, dass dies passiert.

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