Ayla Uluçam, »Deutschlands beste Vorleserin 2025«:
»›Dich besuchen?‹, fragte ich spöttisch. ›Nachdem du mein Leben ruiniert hast?‹. ›Das war für alle das Beste. Das habe ich dir doch auch in meinen Briefen erklärt.‹ Sprachlos starrte ich ihn an. ›Briefe? Welche Briefe?‹ Patsch! Scharf zog ich die Luft ein, als Renzos Schlag meine rechte Hand voll erwischte. Verflixt! Er hatte mich ausgetrickst.«
(Zitat aus: Deva Fagan: Game of Noctis – Spiel um Dein Leben. Carlsen Verlag)
Mit ihrer Performance hatte Ayla die Jury überzeugt: Sie gewann Ende Juni den einst von Erich Kästner gegründeten bundesweiten Vorlesewettbewerb – gegen ganze 551.000 Schülerinnen und Schüler aus ganz Deutschland. Ein besonderer Moment für die ganze Familie.
Murat Uluçam, Vater:
»Bei mir brodelte ein Vulkan. Und als dann ihr Name aufgerufen wurde, die Siegerin ist Ayla, da konnte ich meine Emotionen nicht mehr zurückhalten. All die Anspannung ging dann mit Tränen raus.«
Ayla Uluçam, Schülerin:
»Wenn ich ein Buch habe, das ich auch sehr mag, dann lese ich es innerhalb von zwei, drei Tagen. Und ich ja, ich bin dann wahrscheinlich innerhalb von zwei Stunden schon voll ins Buch vertieft und komme da gar nicht mehr raus. Aber wie gesagt, nur, wenn es ein gutes Buch ist, das mir auch gefällt. Wenn nicht, dann würde ich es einfach nicht lesen.«
Ayla ist 12 Jahre alt und Schülerin des Eckener-Gymnasiums in Berlin-Marienfelde.
Ihre Schule ist weit entfernt von den sogenannten »Problembezirken« Berlins – aber die allgemeinen Probleme im Bildungsbereich kennen die Lehrkräfte hier auch. Vor allem die wachsende Leseschwäche.
Pauline Koester, Fachleitung Deutsch:
»Das ist eine sehr große Herausforderung und ich glaube, ehrlich gesagt, dass wir in der Oberschule schon ein bisschen zu spät dran sind. Die wesentliche Arbeit findet in der frühkindlichen Erziehung statt und an den Grundschulen. Und an der Oberschule, ob nun in Klasse 5 oder 7, da kann man höchstens noch den Feinschliff vornehmen.«
Eine Erkenntnis, die leider nicht neu ist:
Seit dem »Pisa-Schock« im Jahr 2001 gibt es immer wieder neue erschütternde Studienergebnisse. Neben dem Schwächeln in Naturwissenschaften ist auch die mangelnde Lesekompetenz ein trauriges Dauerthema.
2015 erreichten bereits mehr als ein Fünftel der Schüler im Bereich Lesen nicht den Mindeststandard für einen mittleren Schulabschluss. Bis 2022 stieg der Anteil auf fast ein Drittel an – Tendenz weiter steigend.
Die regionalen Unterschiede sind immens: Bayern und Sachsen führen in allen drei Kompetenzbereichen im Fach Deutsch – Lesen, Zuhören, Rechtschreibung – die Tabellen an. Die Kellerplätze belegen Nordrhein-Westfalen, Bremen und Berlin. Ein Muster, das seit Jahren fest zementiert zu sein scheint.
Immerhin konnte Ayla EINEN sehr langen Negativtrend brechen: Sie ist die erste Berlinerin, die den Vorlesewettbewerb gewonnen hat, seit knapp zwanzig Jahren! Die lange Durststrecke hat Gründe, die nicht allein in der Bildungspolitik liegen.
Pauline Koester, Fachleitung Deutsch:
»Wir müssen noch mehr darüber nachdenken, inwiefern Kinder an Bildung überhaupt herangeführt werden können, und ich glaube, dass an der Stelle eigentlich die soziale Herkunft auch eine ganz große Rolle spielt. Also inwiefern findet da eigentlich frühkindliche Bildung, mit Blick auf: Ich gehe in die Bibliothek, ich habe ein Buch in der Hand usw. statt. Und ich glaube, diese Haltung zu haben als Elternteile, das ist das, wo wir eigentlich ansetzen müssen.«
Aylas Eltern Murat und Fadimana sind beide in Deutschland geboren, die Großeltern kamen in den Siebzigerjahren als Einwanderer aus der Türkei ins Land. Vater Murat ist Informatiker und gebürtiger Berliner. Die Verwaltungsfachfrau Fadimana stammt aus Schleswig-Holstein. Zu Hause sprechen die Eltern mit ihren Kindern Türkisch und Deutsch.
Murat Uluçam, Aylas Vater:
»Also wir wohnen in Neukölln und das heißt, wir haben auch viele Nachzügler, die nicht in den Siebzigern, Achtzigern gekommen sind, sondern tatsächlich im neuen Jahrtausend. Und es wundert uns schon, dass im Prinzip der Kreislauf sich wiederholt vom Neuen: Dass Eltern, die kein Deutsch sprechen, Kinder zur Schule bringen, die wiederum kein Deutsch sprechen. Ich bin da aber zuversichtlich, dass auch diese Kinder sich gut entwickeln werden. Was mir doch Bedenken bereitet: dass die Eltern nicht so stark dahinter sind, hinter den Kindern.«
Aylas Beispiel zeigt: Familie Uluçam hat da vieles richtig gemacht.
Fadimana Uluçam, Aylas Mutter:
»Ja, also wir haben schon vorgelesen, aber sie können sich leider nicht so daran erinnern, also ich denke jetzt nicht, dass es daran liegt. Aber der Gang in die Stadtbibliothek war halt wichtig, dass sie diese Liebe zu den Büchern gefunden haben.«
Und dieser Liebe zum Lesen – und Vorlesen – bleibt Ayla treu. Ihr Traumjob: Synchronsprecherin.
Ayla Uluçam, Deutschlands beste Vorleserin 2025:
»Alle beobachteten unser Spiel. Wenn ich verlor, waren die Seefüchse aus dem Rennen. Ohne ein vollständiges Team konnten sie nicht antreten. Aber bei Fingerfalle spielte man immer drei Runden. Es stand 1:1. Derjenige, der den nächsten Punkt holte, hatte gewonnen.«
(Zitat aus: Deva Fagan: Game of Noctis – Spiel um Dein Leben. Carlsen Verlag)