Leben mit Downsyndrom: Welche Partnerschaften wird meine Tochter erleben?

vor 6 Stunden 3

Die Liebe kam unerwartet, aber mit Wucht, und vielleicht ist sie schon wieder erloschen, während ich diese Zeilen schreibe, wer weiß das schon.

 Kuscheln und Basketball (Symbolbild)

Die erste Lovestory: Kuscheln und Basketball (Symbolbild)

Foto: Mark Hunt / DEEPOL by plainpicture

Acht, neun Jahre alt muss der Junge sein, der plötzlich die Nähe zu unserer Tochter mit Downsyndrom suchte, der auf sie wartete und sie immer wieder umarmte. Wenn er sie küsste, stellte er sich etwas breitbeiniger hin und drückte seine Lippen auf ihre, und sie war ebenso begeistert wie er. Nach dem Kuss wischten sich beide mit der Hand über den Mund, und auch das war okay.

Er wolle unsere Tochter heiraten, hatte der kleine Kerl seiner Mutter gestanden. Wahrscheinlich war ich diejenige, die sich am meisten über dieses fremde, entflammte Herz freute. Als ich die Eltern des Jungen bei einer Veranstaltung traf, scherzte ich, dass sie uns gern zu Hause besuchen dürften als zukünftige Schwiegereltern.

Unsere Tochter mit Downsyndrom versteht noch nicht, was genau heiraten bedeutet. Natürlich weiß sie, dass Mama und Papa einen Ring tragen und dass im Dornröschenlied ein Hochzeitsfest vorkommt. Für mich aber ist diese erste Kinderliebe mit einer Hoffnung verknüpft. Vielleicht wird unsere Tochter später als Frau eine feste, lange Beziehung führen mit einem Menschen, den sie liebt.

Das, was so normal klingt, ist nicht selbstverständlich. Zwei Paare kenne ich, bei denen beide Seiten eine geistige Beeinträchtigung haben. Eines habe ich im vergangenen Sommer bei einem großen Familienpicknick getroffen: zwei junge Menschen mit Trisomie 21 und Schmetterlingen im Bauch, die gemeinsame Urlaubs- und Zukunftspläne schmiedeten. Aber ich weiß auch, dass die Schwester einer Freundin sich immer wieder unglücklich verliebte und allein blieb bis zu ihrem Tod. Und eigentlich, merke ich, weiß ich fast gar nichts darüber, wie Liebesgeschichten zwischen Menschen mit Behinderung so laufen.

Als Mutter fallen mir natürlich sofort Fragen ein: Wird unsere Tochter es schaffen, frei und selbstbestimmt über ihren Körper zu entscheiden? Über das, was sie will und was sie nicht will? Wie läuft das mit der Verhütung? Was sage ich ihr, wenn sie sich ein Kind wünscht, vielleicht so sehnlich wie ich es einst tat?

Wird sie gemeinsam mit ihrem Freund wohnen, und wenn ja, wie sieht solch ein Wohnkonzept dann aus? Natürlich wird auch unsere Tochter später von zu Hause ausziehen, aber wohin? Welche Rolle werden wir als Eltern spielen, zusammen mit den Eltern ihres Freundes? Sind wir dann im Geiste eine Gemeinschaft zu sechst?

Was genau dem kleinen Jungen an unserer Tochter so sehr gefällt, ist sein Geheimnis. Vielleicht ist es die Tatsache, dass unsere Tochter gern den Körperkontakt sucht, so wie er. Er sei ein »verkuschelter Typ«, sagt seine Mutter. Und er spielt genauso gern Basketball wie sie. Wenn er den Ball im Korb versenkt, ruft unsere Tochter: »Wahnsinn!« und klatscht.

Basketball und Kuscheln – es gibt schlechtere Voraussetzungen für eine Beziehung.

Meine Bitte: Schreiben Sie mir die Lovestories Ihrer Kinder mit Beeinträchtigungen an familiennewsletter@spiegel.de . Oder fragen Sie doch Ihre Kinder, ob sie mir ihre Liebesgeschichten schicken wollen. Wir würden gern eine Sammlung von kleinen Geschichten in einem eigenen Artikel veröffentlichen – natürlich nur mit Vornamen.

Meine Lesetipps

Wenn das Thema Schwiegereltern auch Sie umtreibt, können Sie bei uns eintauchen in eine ganz spezielle Beziehungswelt. Jule Lutteroth hat für unser aktuelles Spiegel WISSEN-Heft die heimliche und unheimliche Macht der Schwiegermutter  ergründet: »Etwa 25 bis 33 Prozent der Beziehungen zwischen Schwiegereltern und Schwiegerkindern sind problematisch«, sagt der Psychologe und Psychotherapeut Peter Kaiser. Er spricht von einer »Zwangsbeziehung«, in die zwei Familien kommen, wenn ein Paar aus Liebe heiratet.

Tust Du mir gut? – Wie wir die richtigen Beziehungen pflegen und stärken

Natürlich kann auch die unfreiwillige Beziehung zu den Eltern des Partners oder der Partnerin gelingen, doch: »Unterscheiden sich bei den beiden Familien die Wertesysteme, der Sozialstatus oder ihre Vermögensverhältnisse gravierend, kann es im Miteinander schwierig werden.« Und das ist nur ein Feld, auf dem Probleme auftauchen können. Apropos Feld: Auf dem Grundstück Ihrer Schwiegereltern ist noch Platz für ein Haus, das Sie bauen möchten? Hmm, bitte lesen Sie zuerst dieses Interview: Warum haben so viele Frauen Probleme mit der Schwiegermutter? 

Wenn Ihre Schwiegereltern Sie sogar um den Schlaf bringen, empfehle ich Ihnen als erste Gegenmaßnahme diese 15 Tipps für besseren Schlaf : Einer der Ratschläge lautet, unangenehmen Gedanken schon tagsüber bewusst Platz einzuräumen für 20, 30 Minuten und sie kommen und ziehen zu lassen.

Natürlich darf in einem Familiennewsletter der Hinweis auf die Titel-Story »Was einen guten Papa ausmacht«  nicht fehlen. Auch Heike Le Ker und Markus Deggerich haben sich auf unterschiedliche Weise mit Vätern und Söhnen beschäftigt: in einem Gespräch über Papa als Vorbild und Rivalen  und in einem persönlichen Essay  zum Thema Wehrdienst, der schwersten emotionalen Prüfung für das Eltern-Kind-Verhältnis, wie Markus schreibt.

 »Die Söhne schwanken in verschiedenen Phasen zwischen Idealisierung und Ablehnung des Vaters«

Psychotherapeut Cherdron: »Die Söhne schwanken in verschiedenen Phasen zwischen Idealisierung und Ablehnung des Vaters«

Foto:

Maria Sturm / DER SPIEGEL

Doch lassen Sie uns noch einmal zu der Liebe in der Partnerschaft zurückkehren. Denn Claudio Rizzello hat den Nachlassverwalter von Erich Fromm  getroffen und mit ihm über den Welterfolg »Die Kunst des Liebens« gesprochen. In dem Interview finden sich sowohl Fromms Erkenntnisse: »Die psychologische Voraussetzung für eine gelungene Beziehung ist, dass ich fähig bin, aus den mir eigenen Kräften zu leben und gleichzeitig ein Interesse für das Andere zu haben.« Aber auch Sätze, deren Schönheit in ihrer Schlichtheit liegen: »Liebe kann ein Leben gelingen lassen.«

Das bringt mich zu meinem Buchtipp diese Woche. »Superheldin 21« heißt ein Taschenbuch von Verena Elisabeth Turin , das schon lange in meinem Regal steht. Turin, geboren 1979, schreibt über alles, was ihr Leben mit Downsyndrom ausmacht, und deswegen schreibt sie natürlich auch über die Liebe. »Wenn ich verliebt bin, schlägt mein Herz im Hals wie ein Schlagzeug mit Feuerwerksraketen hinauf (...) Wenn ich meinen schlafenden Freund ansehe, entstehen starke Gefühle, die unbeschreiblich sind. Und ich will ihn ganz stark leicht berühren. Aber ich muss aufpassen, dass er nicht aufwacht.«

Und natürlich gibt es auch bei Turin ein paar Worte zum Thema »Schwiegereltern« im weiteren Sinne: »Mein Partner soll mich einfach lieben, wie ich bin. Und seine Eltern auch. Trotzdem ich im Schlaf schnarche (...) Wenn sie mich weiterhin einladen wollen, müssen sie sich mit meinem Schnarchen vertragen. Ich mache das auch (...) Oder macht bitte dickere Türen, damit ihr mich nicht hört.«

Das jüngste Gericht

Verena Turin ist übrigens in Südtirol aufgewachsen. Ob sie deshalb auch Spargel mit Bozner Soße mag, weiß ich nicht. Ich werde zumindest schon beim Lesen des Rezeptes schwach, und schwache Hitze ist es auch, die unsere Kochkolumnistin Verena Lugert bei der Zubereitung dieses perfekten Frühlingsrezepts empfiehlt.

Mein Moment

Als ich in meinem letzten Newsletter über die Kosenamen unserer Kinder und die sogenannte »Mausi-Falle« nachdachte, schrieb mir unsere Leserin Ilka v. G. einen interessanten Gedanken:

»Kosename kommt von kosen. Und im Sinne von herzen und küssen passen Bärlein und Schnecki in einen intimen, geschützten Raum. Aber nicht vor allen anderen und im/ab Kindergarten schon gar nicht. Anders dagegen der liebevolle Spitzname. Der spitzt zu, sagt was aus über die Angesprochene: Du Rennsemmel, du Leseratte oder du Wirbelwind sind freundlich-freche Anreden mit anerkennendem Unterton.«

Unsere schönsten Familienmomente im »geschützten Raum« haben wir oft, wenn wir zusammen Basketball spielen im Wohnzimmer, am besten mit abgehängter Lampe. Das geschieht meist spontan, aus Übermut und guter Laune, oder um die schlechte Laune im Korb zu versenken. Es könnte also sein, dass unsere treffsichere Tochter eines Tages unseren Basketballständer mit in die Beziehung bringt. Und ich eine dribbelnde Schwiegermutter am Rollator bin.

Herzlich,
Ihre
Sandra Schulz

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