Sie wollen „endkapitalistische Bruchstellen vertiefen“ und „Machtsysteme mit Kunst, Codes und Glitzer hacken“ – Liz Haas und Luzius Bernhard vom Kunst-Team UBERMORGEN und die Silicon-Valley-Aussteigerin Gretchen Andrew gehören zu den provokantesten Stimmen der Netzkunst. Die einen unterwanderten US-Wahlen, Tech-Giganten und das österreichische Asylsystem, die andere trickste sich mit Glitzerbildern auf das Cover des Magazins „Artforum“ – zumindest wenn man der Google-Bildersuche glaubt. Ein Gespräch über die Freiheit der Kunst zu fälschen.
Sind Art Hacks eine Form der Kunstfälschung? Sind Sie drei eigentlich Kunstfälscher?
Liz Haas: Wir arbeiten mit dem Begriff „foriginal“ – ein gefälschtes Original. Der Begriff des Originals, nicht nur in der digitalen Welt, sondern generell, ist mehr Idee als greifbare Realität. Zum Beispiel werden in Japan an alten Tempeln regelmäßig Bauteile ausgetauscht, aber sie gelten immer noch als Originaltempel. Ergo: Das Konzept bestimmt, was original ist. Genauso mit staatlicher Autorität. Von Behörden hört man oft: „Bringen Sie das Originaldokument.“ Gleichzeitig kannst du in Österreich mehrere originale Geburtsurkunden besitzen. Alle sind gültig, solange sie beglaubigt sind.
Luzius Bernhard: Für uns geht es mehr um authentische Aneignung, nicht um das Fälschen. Wir nehmen nicht einfach ein bestimmtes Kunstwerk und verwenden es. Wir konzentrieren uns auf Systeme. Künstler sind wie Medien – wir schaffen nicht rein originale Dinge, wir verarbeiten Material, das durch uns fließt, und drücken es aus. Wir besitzen das nicht, es gehört nicht uns. Die Konzepte von Originalität und Eigentum, die an den Kapitalismus gebunden sind, sprechen uns nicht an. Wir nennen das „Copyleft“ – wir nehmen und geben alles weg.
Gretchen Andrew: Meine Suchmaschinen-Kunst programmiere ich so, dass Google nicht zwischen einem Fake und einem Original unterscheiden kann. Online ist es supereinfach, mit Kopien oder Fälschungen zu täuschen. Interessanter ist es aber, Kunst zu machen, die Systeme untergräbt, Technologie herausfordert. In meiner Arbeit richtet sich der Witz auf das System selbst, nicht auf einzelne Personen. Frühe Netzkunst tendierte dazu, das Publikum in die Irre zu führen, aber das Irritieren von Systemen – wie das der Kunstwelt oder die, die definieren, was ein Original ist – ist viel mächtiger.
Und Objekte oder digitale Items spielen gar keine Rolle in Ihrer Kunst?
Gretchen Andrew: Für mich als jemand, der einzigartige, physische Gemälde schafft, ist klar: Etwas kann real nur einmal existieren. Ein Unikat eben. Aber sobald es online ist, bekommt es einen ganz neuen Kontext, wird von anderen weiterverwendet. Was im echten Leben „das Original“ ist, bedeutet für einen Algorithmus etwas völlig anderes. Da zählt nicht der Pinselstrich, sondern der Code.
Liz Haas: Manche Dinge haben tatsächlich Bedeutung durch ihre physische Präsenz. Aber in der zeitgenössischen Kunst ist das eher selten. Es ist das Konzept, das ein Objekt wertvoll und bedeutungsvoll macht. Zum Beispiel bei der Mona Lisa. Da geht es nicht um das Objekt selbst, sondern um die Geschichte ihres Diebstahls, den Mythos. Für uns geht es meistens um Dokumente, Domain-Namen, Prompts. Das „originalste“ Objekt, das wir je in einer unserer Arbeiten hatten, war ein Scheck, den wir von Google erhalten haben. Er hat die Qualität eines Artefakts, das vom künstlerischen Prozess dahinter zeugt. Das macht ihn bedeutend, nicht sein Material.
Gretchen Andrew: Ich hatte einen Freund, dessen Mutter erzählte ihm, sein Meerschweinchen habe plötzlich aus Angst die Farbe seines Fells gewechselt – in Wirklichkeit aber war sein Meerschweinchen gestorben und seine Mutter hatte es durch ein neues ersetzt. Solche Geschichten werfen Fragen auf, was die Bedeutung von einem Original ist und wer entscheidet, welches eins ist. Genau da kommt die Macht ins Spiel. Und das ist, was meine Kunst thematisiert.

Also Machtkritik. Auf die zielte Netzkunst schon immer ab. UBERMORGEN, Sie sind seit den Anfängen dabei. Wie hat sich das subversive Potential von Art Hacks entwickelt?
Luzius Bernhard: Es hat große Veränderungen gegeben. Die ersten „Media-Hacks“ – wie wir sie nennen – machten wir Ende der 1990er, Anfang der 2000er. Das waren groß angelegte Massenkommunikationsaktionen, wie zum Beispiel „Vote Auction“, die 500 Millionen Menschen erreichten. Das war nur möglich über die Kanäle von Massenmedien, aber auch durch avantgardistische Internet-Technologien. Damals brauchte es nur Risikobereitschaft, ein bisschen Intelligenz und die Fähigkeit, schnell und offen zu sein – und dann konnte man solche Hacks wirkungsvoll umsetzen. Donald Trump experimentierte übrigens genau zur gleichen Zeit mit genau denselben Strategien. Er wählte nur einen anderen Weg als wir.
Hat der Erfolg von Trumps Disruption-Politik Ihre Kunst beeinflusst?
Luzius Bernhard: Nicht erst jetzt. Seit circa acht Jahren denken wir, dass es schwerer geworden ist, unsere früheren Aktionen zu verantworten. Sie wurden vereinnahmt, ihre Strategien ins Gegenteil verkehrt, wie alles, was unter den Bedingungen eines verschärften Neoliberalismus irgendwann mal mit Kritik provoziert hat. Der Neoliberalismus ist aber nicht nur eine Ideologie, er ist auch ein Medium. Genauso wie wir als Künstler oder die NFTs, die Non-Fungible-Tokens. Alle Medien können auf eine harmlose oder schädliche Weise verwendet werden. Sammler, Galerien und Auktionshäuser schmissen sich plötzlich auf digitale Kunstwerke, weil man sie jetzt mithilfe der NFTs besitzen und zu enormen Preisen handeln konnte. Klassischer Spätkapitalismus eben: Schneller Boom, Verkaufserfolge, die süchtig machen, und NFT-Kunst, die dadurch konventionell, langweilig und unoriginell wird. Und jetzt auch oft als Köder in Betrugsmaschen verwendet wird. Aber das ist das System: Kapitalismus profitiert von Unoriginalität.
Okay, das ist die Analyse, aber wie hat das Ihre Kunst verändert?
Luzius Bernhard: Wir hacken Systeme nicht mehr, wir infizieren sie. Hacking war wie Chirurgie: präzise, gezielt, aber im Endeffekt stärkte es die Systeme nur. Infektion ist anders. Sie verbreitet sich. Sie ist organisch. Es geht weniger um Störung, also Disruption, und mehr um stille Transformation. Ungefähr so, wie KI jetzt gerade in alle Bereiche unseres Lebens, in die Systeme unserer Gesellschaft, vordringt. Nicht mechanisch, sondern unausweichlich, quasi natürlich. Wir haben beispielsweise das Projekt „PMC Wagner Arts“ gemacht. Darin geht es um die Freiheit der Kunst und ihre Vereinnahmung durch autoritäre Kräfte. Ästhetisch ist das ein Hybrid aus unserer früheren Netzkunst und übertrieben zeitgenössischen KI-Elementen. Nur überzeugt uns das Resultat noch immer nicht.
In „PMC Wagner Arts“ instrumentalisiert ein fiktives, aber an die russische Söldnergruppe Wagner angelehntes Unternehmen die Kunstfreiheit, um „Gewalt, Kriegsführung und extremen Kapitalismus“ zu rechtfertigen. Sie kritisieren das. Aber gibt es so etwas wie progressive Kunstfreiheit, die gesellschaftlich positiv wirkt?
Liz Haas: Uns geht es nicht um „Freiheit von“, sondern „Freiheit zu“, echte Freiheit. Und darum, offen zu bleiben für das Ergebnis des künstlerischen Prozesses. Unsere Arbeit hat immer noch den Anspruch, interventionistisch zu sein, aber sie zielt weniger auf ein bestimmtes Ergebnis ab. Es geht nicht um diese Wenn-dann-Logik. Ich liebe Kunst, die außerhalb dieser Logik agiert: Dada, Pop-Art. Aber sicher, wenn das, was wir tun, der Gesellschaft hilft, ist das großartig. Nur versuchen wir nicht, den Leuten Rezepte zu geben. Es ist eher so: Sieh, dass etwas möglich ist. Das ist genug.
Luzius Bernhard: Bis vor acht Jahren eben war eins für uns klar: Künstler tragen null gesellschaftliche Verantwortung. Wir müssen Dinge tun können, die andere nicht tun dürfen. Dinge, die von der Gesellschaft reguliert werden. Wir müssen erfinden, entdecken, auf Ebenen experimentieren, die gefährlich sind oder weird – an den Rändern und Grenzen der Gesellschaft, jenseits dessen, was denkbar, machbar, sichtbar oder sogar unsichtbar ist. Als Mensch handele ich ethisch, ja, aber als Künstler nicht. Nur ist das nicht mehr so selbstverständlich.
Gretchen Andrew: Ich verstehe euch total. Als ich anfing, mit meiner Kunst die Algorithmen von Google zu manipulieren, war es für das Publikum zum Beispiel nicht offensichtlich, dass das, was sie sahen, Fakes waren – Fälschungen, Trugbilder, die ich in Googles Bildersuchsystem eingeschleust hatte. Sie haben das für voll genommen. Also habe ich mich gefragt, wo meine Verantwortung als Künstlerin liegt. Wenn ich doch zeigen will, wie anfällig unsere Systeme für Manipulation sind – Systeme, die Bedeutung produzieren –, kann ich mein Publikum nicht einfach nur täuschen. Ich will ja das System austricksen, nicht das Publikum verarschen.
Nutzen Sie Ihre Kunst für politische Zwecke?
Ja, ich fühle schon eine Verantwortung. Als Künstlerin will ich aufklären und bilden. Aber das Wesentliche ist, was UBERMORGEN gesagt haben: Wenn unsere Taktiken vereinnahmt werden können, von politischer Macht, dann müssen wir sie entweder anders verwenden oder auf eine Weise, die den Leuten zeigt, wie diese Taktiken missbraucht werden.
Und auf welche Weise wäre das?
Gretchen Andrew: Ich denke oft an die Turing-Preisrede des Informatikers Ken Thompson, „Reflections on Trusting Trust“. Sie erinnert uns daran, dass wir Systeme in all ihrer Tiefe hinterfragen müssen – seien es NFTs, Krypto oder der Kunstmarkt. Unser Zweifel ist oft zu oberflächlich. Nehmen wir den Hype um NFTs: Viele dachten, NFTs werden die Zukunft dominieren – für immer –, aber so viele Plattformen sind bereits wieder verschwunden. Alle haben in dieses System vertraut, bis es an der Oberfläche mit Scams geflutet wurde, mit Krypto-Abzocke und gefälschten NFTs und überhaupt allem, was manipulativ wirkte – was das Vertrauen zerstörte. Diese Manipulierbarkeit unseres Vertrauens interessiert mich. Die technologische Funktionsweise dahinter. Wie Google unseren Sinn für Normalität technisch bestimmt, aber auch, wie diese Macht gebrochen werden kann. Da steckt so viel Zerbrechlichkeit drin, für die wir mehr Bewusstsein brauchen. Ich möchte Leute verunsichern. Denn erst mit der Unsicherheit beginnt wahre Einsicht. Kunst hat das immer getan – uns weniger sicher gemacht, auf eine gute Weise. Ich nenne das „produktive Unsicherheit“. KI gibt uns das nicht, auch disruptive Politik nicht. Die Kunst muss Wege finden, Unsicherheit wieder positiv zu besetzen.
Mit Fälschungen und Manipulation?
Gretchen Andrew: In gewisser Weise schon. Machtsysteme produzieren starke Mythen. Vor allem den, dass sie selbst unüberwindbar sind. Oft aber sind die Regeln so eines Systems, von denen wir denken, dass man sie niemals brechen könne, auch nur Glaubenssätze. Ich kenne das von mir selbst. Als Außenseiterin, die auf keiner Kunstschule war, kein Netzwerk hatte und nicht mal malen konnte, war mein einziger Weg in die Kunstwelt, ihren Mythos, ihre Glaubenssätze auszutricksen. Und dazu gehörte auch, die Funktionsweise des Systems zu manipulieren. Aber ich suche mit meiner Kunst eher nach Schlupflöchern. Ich will das System nicht zerschlagen. Ich will damit spielen, zeigen, wo sich die Regeln verschieben lassen – was möglich ist.
Luzius Bernhard: Wir haben das Gespräch mit der Frage nach Kunstfälschung begonnen. Auch die ist Teil dieser Ermächtigung, von der Gretchen spricht. Die Freiheit, sich diese Macht selbst zu geben. Selbst Bedeutung herzustellen, selbst immer wieder neu zu definieren, was ein Original ist, was Freiheit ist, was künstlerisch wertvoll ist. Sonst tun es Systeme, wie der Kunstmarkt – nicht die Künstler. Und das ist unoriginell.
Klingt all das, die radikale Freiheit des Künstlers, das Austricksen von Systemen, diese „Think outside the box“-Mentalität nicht selbst wie ein Mythos aus dem Silicon Valley? Wie Selbstmystifizierung?
Gretchen Andrew: Tja, ich bin ein Fan von Selbstvermarktung – was soll ich sagen? (lacht) Klar ist, dass mir diese manipulative Form der Kunst auch ganz praktisch ermöglicht, in der Kunstwelt zu überleben. Ich hätte eine Silicon-Valley-Traumkarriere haben können, ja, aber ich habe mich entschieden, Künstlerin zu sein. Das heißt, mir diese Freiheit zu nehmen, den Regeln des Systems nicht zu folgen oder sie zu meinen Gunsten zu nutzen – aber gleichzeitig zu zeigen, warum sie falsch sind und dass man sie brechen kann.
Aber ist diese Bereicherungslogik nicht auch Betrug?
Gretchen Andrew: Betrug? Der ist einfach Teil des Systems. Schauen wir in die analoge Kunstwelt: Maurizio Cattelans Banane an der Wand hielten viele anfangs für einen skandalösen Betrug. Gekauft wurde sie trotzdem. Und zwar als Kunstwerk – für sechs Millionen! Die Grenze zwischen Betrugsmasche und Glaubenssystemen ist dünn, sei es in der modernen Kunst oder der Religion. Entscheidend ist kollektiver Glaube. Und ich will, dass die Menschen an mich als Künstlerin glauben.