Kritik nicht nur von Lindner: Der „Backgroundcheck“ des ZDF ist voller Mängel

vor 21 Stunden 1

Schaut man sich den „Backgroundcheck“ der „heute“-Redaktion des ZDF unter dem Titel „Deutschland als Steuerparadies: Was kosten uns die Reichen?“ an, könnte man denken, man sei bei der Satire der „heute-Show“ gelandet. Der Präsentator Oliver Klein redet sich derart in Rage, dass er an die fiktive Witzfigur Gernot Hassknecht erinnert. Jeden Augenblick scheint er vor Entrüstung zu platzen. Dass dieser Beitrag mit einem – inzwischen entfernten – Bild des FDP-Chefs und früheren Finanzministers Christian Lindner, der im Film nur ganz kurz vorkommt, beworben wurde, passt: Hier geht es um maximale Zuspitzung.

Die Entrüstung gilt dem Umstand, dass die Steuerprogression in Deutschland Normalverdiener benachteiligt und Großvermögende bevorteilt. Diese begünstigt unter anderem, dass es keine Vermögensteuer gibt. Ein weiterer Streitpunkt ist die Erbschaftsteuer, von der man sagen kann, dass sie diejenigen, die am meisten zu vererben haben, zu wenig treffe. Darüber lässt sich streiten.

Agitation in 18 Minuten

Der „Backgroundcheck“ des ZDF ruft aber nicht zur Debatte auf, er agitiert. Er bombardiert die Zuschauer mit Zahlen, von denen nicht klar ist, wo sie herkommen, und hat in der Hauptsache zwei Stichwortgeber: den 28 Jahre alten studierten Ökonomen Maurice Höfgen, der für einen Bundestagsabgeordneten der Linkspartei arbeitet, und eine Vertreterin der Lobbygruppe Netzwerk Steuergerechtigkeit. Sie reichen dem „Backgroundchecker“ Klein an, was er braucht, um am Ende des 18 Minuten langen Films, in dem die Bundesrepublik als sozialer Horrorstaat erscheint, sagen zu können: „Die aktuelle Situation ist besorgniserregend: Eine wachsende Schere zwischen Arm und Reich; zu hohe Konzentration an Reichtum, das ist erwiesenermaßen auch schlecht für den Glauben an die Demokratie eines Landes. So wächst das Misstrauen in die Politik, der Eindruck, dass sich das System nur um die Reichen kümmern würde. Über die Hälfte der Wähler der AfD beschreibt die eigene wirtschaftliche Lage als schlecht und erwartet sogar, dass sie noch schlechter wird.“ Aber, sagt Klein, es gebe einen „Lichtblick“: Die G 20 hätte die Vermögensteuer auf die Agenda gesetzt, in den USA fordere Joe Biden eine Mindeststeuer für Milliardäre, sogar Bill Gates sei für höhere Steuern für „Superreiche“. Vielleicht komme es auch in Deutschland zum Umdenken. Für den Fall habe das „Netzwerk Steuergerechtigkeit“ Vorschläge gemacht, die 75 Milliarden Euro einbrächten. „Das ist Geld, das uns jetzt gerade allen fehlt – für Schulen, für Kinderbetreuung, für Straßen, für Brücken oder für das Bürgergeld.“

Keine Quellen, Zahlen aus der Luft

Das ist kein „Backgroundcheck“. Ein solcher würde Quellen ausweisen, Zahlen nicht aus der Luft greifen, die verschiedenen Steuerarten erklären und nicht unerwähnt lassen, dass die öffentliche Hand mehr Steuern einnimmt denn je – 916 Milliarden Euro waren es 2023 – und die Sozialausgaben einen Höchststand erreicht haben. Wir haben es hier mit einem Pamphlet zu tun, es wirkt wie Wahlwerbung für die Linke oder das BSW, vielleicht noch für Grüne oder SPD. Dem Urteil von Christian Lindner, dessen Werbebild erst entfernt wurde, nachdem er sich beschwert hatte, darf man sich anschließen: Das sei „ein an Einseitigkeit nicht zu übertreffender Beitrag“, sagte er: „Das ist kein Journalismus, das ist Aktionismus. Mit Geld der Gebührenzahler.“

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Zu Wort meldet sich in der Angelegenheit nun auch die Lobbygruppe Die Familienunternehmer. Im „Backgroundcheck“ des ZDF wird sie in „Kapitel 4: Die Lobby der Superreichen“ als Teil des Übels bezeichnet. In einem Brief an die Geschäftsleitung des ZDF, inklusive des Intendanten Norbert Himmler, listet die Präsidentin des Vereins, Marie-Christine Ostermann, Mängel des Beitrags auf. Sie bemängelt das Fehlen von Vergleichszahlen zur Einordnung – etwa der Staatsquote, die bei 48,6 Prozent liegt. Sie stellt fest, dass eine Aussage wie die, ein einfacher Arbeitnehmer zahle doppelt so viele Steuern wie ein „Multimillionär“, weder zu falsifizieren noch zu verifizieren sei, weil hier Vermögen und Einkommen vermischt würden. Der Beitragssatz zur Einkommensteuer betrage nicht 45, sondern mit Solizuschlag 47,475 Prozent, dass „Multimillionäre“ im Schnitt nur 21 Prozent Steuern zahlten, sei falsch und werde ohne Quellenangabe behauptet.

Wahr sei, dass 10 Prozent der Steuerpflichtigen mehr als die Hälfte der Lohn- und Einkommensteuer beisteuerten; zu behaupten, eine Vermögensteuer würde die Einkommensteuerbelastung erhöhen, sei Unsinn. Es werde von „Superreichen“ und „Multimillionären“ geredet, gemeint seien aber allein Unternehmer, die in Deutschland Arbeitsplätze schüfen. Hier wiederum sei zu unterscheiden zwischen Inhabern von Personengesellschaften, die Einkommensteuer zahlten, und Inhabern von Kapitalgesellschaften, für welche die Abgeltungsteuer gelte. Zu berücksichtigen seien aber auch die Körperschaftsteuer und die Gewerbesteuer, am Ende lande man bei einer Steuerlast von 38 Prozent, nicht bei den im ZDF-Beitrag genannten 21 Prozent.

So geht es weiter und geht es fort in dem fünfseitigen Schreiben, das der F.A.Z. vorliegt. Es zerpflückt den ZDF-Beitrag noch beim Thema Steuervermeidung und Erbschaftsteuer, insbesondere bei der Übertragung von Unternehmen, und erlaubt sich den Hinweis, dass es sich beim Netzwerk Steuergerechtigkeit um einen Lobbyverein handele, der durch direkte Zahlungen der Bundesregierung unterstützt werde. Das zu erwähnen, meint Marie-Christine Ostermann, hätte früher „als Standard für die journalistische Arbeit“ gegolten. Auch hätte dem ZDF-Backgroundchecker Klein auffallen sollen, dass im Verein Die Familienunternehmer nicht, wie von ihm behauptet, Unternehmen, sondern natürliche Personen Mitglied seien. Der Beitrag, heißt es in dem Schreiben ans ZDF, hinterlasse das Gefühl, dass im Team des „ZDFheute Backgroundchecks“ vielleicht „gar keine ausgebildeten Journalisten arbeiten“. Das ZDF beschädige so seine Kernmarken, und das sei nicht nur schade, sondern „angesichts von rasant zunehmenden Fakenews eine Katastrophe“.

Dem Fazit kann man sich anschließen, auch wenn man die Mängelliste nicht in jedem Punkt unterschreibt und das Thema Steuergerechtigkeit für ein ungelöstes hält. Man sollte die Sache nicht derart einseitig und unterkomplex angehen wie der „Backgroundcheck“ von „ZDFheute“. Öffentlich-rechtlicher Journalismus sollte zu anderem in der Lage sein. Die Fortsetzung des „Backgroundchecks“ ist allerdings schon angekündigt.

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