Kommentar zum VMware-Debakel: Hoch gepokert, leider verloren

vor 23 Stunden 3

In der Bräuhausgasse im 5. Wiener Gemeindebezirk dürften kürzlich die Champagnerkorken geknallt haben. Gerade hatte VMware verkündet, dass diverse bisher kostenlose Komponenten von vSphere und vCenter, darunter VMware ESXi, künftig von den Kunden separat zu bezahlen sind. Dadurch explodiert vielerorts die VMware-Rechnung, und zwar ohne, dass es im Gegenzug erwähnenswerten technischen Mehrwert gäbe. Entsprechend stapeln sich in den einschlägigen Foren im Netz die Horrorgeschichten von Firmen, die für ihre Virtualisierung plötzlich 500 Prozent oder noch mehr des einstigen Betrages aufbringen sollen.

Mehr als ein bloßer Grund zur Freude für Proxmox, das in Wien das Hauptquartier hat: Proxmox ist so was wie die logische Alternative für jene Unternehmen, die Virtualisierung brauchen, dabei aber nicht genug Workload haben, um gleich den Bau einer eigenen IaaS-Plattform zu rechtfertigen. Man dürfte in Wien geahnt haben, dass sich durch Broadcoms Entscheidung die Perspektive für das eigene Geschäft erheblich verbessert hat – und ist seither emsig dabei, das eigene Partnernetzwerk ebenso auszubauen wie Proxmox VE, das eigentliche Virtualisierungsprodukt.

Martin Gerhard Loschwitz ist freier Journalist und beackert regelmäßig Themen wie OpenStack, Kubernetes und Ceph.

Was im Ärger über VMware und Broadcom dabei oft untergeht, ist die Tatsache, dass eine Migration von VMware hin zu Proxmox auch in anderer Hinsicht ein echtes Upgrade ist: Während VMware nämlich ein durch und durch proprietäres Produkt ist, fußt Proxmox auf quelloffenen Komponenten wie KVM, Qemu und Ceph. Das bedeutet auch: Sollte Proxmox irgendwann versuchen, VMwares Stunt zu wiederholen, wäre es für betroffene Administratoren leicht, das Produkt durch Alternativen zu ersetzen. Wenn es hart auf hart käme, reicht im Grunde eine beliebige Linux-Distribution, auf der Qemu, KVM und Libvirt zur Verfügung stehen. Das trifft auf beinahe alle etablierten Linux-Distributionen zu. Bedienung und Administration wären zwar meist weniger komfortabel als bei Proxmox VE – wenn aber der Fortbestand des eigenen Unternehmens auf dem Spiel steht, werden Administratoren gern bereit sein, sich damit zu arrangieren.

Meine erste professionelle Station in der IT war 2006 das Wiener Unternehmen Linbit. Es steckt hinter DRBD, einer Art RAID 1 über das lokale Netz. DRBD ist seit langem Bestandteil des Linux-Kernels. Es ermöglicht die Konstruktion hochverfügbarer Storage-Systeme. Kombiniert mit anderen Open-Source-Komponenten wie Samba oder einem der diversen iSCSI-Targets springt DRBD auf Standard-Hardware von der Stange mit Festplatten, die nicht mit Einhornpulver bezahlt werden müssen, als günstiger Ersatz für SAN- oder NAS-Appliances ein.

Genau das war seinerzeit auch der Kern der Linbit-Vertriebsstrategie: Dass Kunden sich nämlich weder in Sachen Hardware noch in Sachen Software von einem einzelnen Anbieter abhängig machten, wenn sie ihr zentrales Storage auf Grundlage von DRBD selber bauten. Offene Standards und Open Source waren und sind die Garantie dafür, dass amok laufende Hersteller nicht ihre Kunden gleich mit in den Abgrund reißen, wenn sie den eigenen Untergang lustvoll zelebrieren. Dem aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit ausgegangenen Menschen – so wäre man zu glauben geneigt – wäre dieser Umstand auch ohne weitere Erläuterung klar, er ist schließlich selbstevident.

Fast-Forward zu 2024: NetApp ist so beliebt wie eh und je, Unternehmen stehen vor der Pleite, weil VMware eine zentrale Komponente ihrer IT-Infrastruktur unbezahlbar macht. Und wie die Lemminge pilgern Firmen und sogar staatliche Institutionen zu den Hyperscalern, die das Prinzip des Lock-ins nochmal auf ein ganz neues Level gehoben haben. Denn wer seine eigene Infrastruktur einmal zu AWS, Azure oder GCP migriert hat, holt diese nicht mal eben aus der Cloud auf eigene Hardware zurück oder migriert sie auch nur zur Hyperscaler-Konkurrenz. Entsprechende Projekte erfordern riesige Mengen an Aufwand und Geld, die viele nicht leisten wollen – oder können. Wohin das führt, ist absehbar: Sukzessive werden die Hyperscaler weiter an der Preisschraube drehen und ihre Kunden werden aus Mangel an Alternativen bezahlen.

Man möchte vor Wut schreien, wenn Institutionen wie die Bundesagentur für Arbeit stolz verkünden, sie hätten den Umstieg auf Microsoft Teams erfolgreich geschafft. Oder wenn Bundeskanzler Olaf Scholz persönlich zugunsten der Delos-Cloud interveniert, deren Backend Microsofts Azure ist. Dass der Regierungschef der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt nachgerade darum bettelt, über Umwege noch mehr Geld gen Redmond überweisen zu dürfen, ist eine ungeheuerliche Farce. Gerade auch für die, die den Spaß am Ende bezahlen müssen, nämlich die deutschen Steuerzahler.

Dabei ist es wirklich nicht so, als hätte die Handelnden in Politik und Wirtschaft niemand gewarnt. Seit Jahrzehnten weisen Vertreter der Open-Source-Community gebetsmühlenartig darauf hin, dass nur freie Software und offene Standards eine stabile Grundlage für Infrastruktur und insbesondere kritische Infrastruktur sein können. Kurt Garloff propagiert seit einiger Zeit den Sovereign Cloud Stack, der es Kunden ermöglicht, zwischen den Plattformen verschiedener Anbieter frei zu wählen und, falls gewünscht, auch zu migrieren – oder eine entsprechende Plattform gleich selbst zu betreiben.

Für praktisch jede grundlegende Komponente im Rechenzentrum der Gegenwart existieren proprietäre Produkte und diverse freie Alternativen, die oft besser sind und mehr Funktionen bieten. Freilich: Es ist aus Sicht des IT-Betriebs mehr Aufwand, aus mehreren freien Alternativen die passende durch Tests herauszufinden und zu implementieren. Mehr Aufwand jedenfalls, als sich von einer Vertriebsdrohne stundenlang mit PowerPoint-Folien sanft berieseln zu lassen, bis man am Ende gar glaubt, man habe die Idee zur Anschaffung der proprietären Lösung selbst gehabt. 2024 kann die eigene Bequemlichkeit der Verantwortlichen allerdings kein valides Argument mehr für technischen Murks sein. Wer seinen IT-Job so handhabt, muss seinen Platz räumen. "Nobody ever got fired for buying VMware" stimmt zwar, ist aber – mal wieder – Teil des Problems.

Stattdessen muss sich endlich flächendeckend die Erkenntnis durchsetzen, dass offene Standards und freie Software keine Option sind, sondern der einzige Weg, der in Sachen IT-Infrastruktur langfristig gangbar bleibt. Und zwar gerade dann, wenn es um öffentliche Infrastruktur geht, die der Allgemeinheit dient. Unternehmen wie Institutionen müssen die Bereitschaft aufbringen, sich im Sinne digitaler Nachhaltigkeit anfangs auch mal die Finger schmutzig zu machen, statt einzig den bunten Prospekten der Anbieter zu vertrauen. Dass deren Vertriebler die IT-Verantwortlichen vielerorts geradezu ankumpeln, darf nicht länger darüber hinwegtäuschen, dass sie vorrangig die eigene Prämie für einen Vertragsabschluss im Sinn haben – und eben nicht den nachhaltigen Erfolg einer Unternehmung. Und wer gerade noch das VMware-Desaster verdaut, weil er selbst davon betroffen ist, sollte dringend auf die Suche nach weiteren Damoklesschwertern gehen, die über dem eigenen Set-up hängen, und deren Beseitigung zeitnah in Angriff nehmen.

Kunden von VMware haben Glück: Für sie holen Anbieter wie Proxmox dieses Mal die Kohlen aus dem Feuer, nicht ohne die dabei entstehenden Werkzeuge übrigens unter freier Lizenz zu veröffentlichen. Dass es beim nächsten Mal auch noch so vergleichsweise glimpflich abgeht, ist keinesfalls sicher. Zumal bei vielen VMware-Kunden am Horizont bereits das nächste Unheil dräut: Gar nicht so selten kommen VMware-Set-ups nämlich im Gespann mit NAS-Appliances für iSCSI zum Einsatz. NetApp, Dell-EMC und diverse andere Anbieter haben in den vergangenen Jahren aber ebenfalls kontinuierlich an der Preisschraube gedreht. Wer das letzte schlüsselfertige NAS vor fünf Jahren erworben hat, erlebt in Kürze insofern vermutlich die nächste eher unangenehme Überraschung. Die ebenso absehbar wie vermeidbar gewesen wäre, hätte man sich an freie Standards gehalten.

(fo)

Gesamten Artikel lesen