
Jamal Musialas Verletzung überschattete das Bayern-Aus
Foto: Peter Zay / Anadolu Agency / IMAGODie Tragik des Genies: Eigentlich hätte nun alles gut werden sollen. Drei Monate nach seinem Muskelbündelriss war Bayern-Spielmacher Jamal Musiala erstmals wieder fit für die Startelf, hatte sich auch von seiner kleinen Blessur aus dem Klub-WM-Duell gegen die Boca Juniors erholt. Gegen den Champions-League-Sieger aus Paris brauchten die Bayern ihr Offensivgenie, ein Sieg würde 21 Millionen US-Dollar (knapp 18 Millionen Euro) in die Kassen spülen. Doch was mit der Hoffnung begann, endete im Schmerz: Kurz vor der Halbzeitpause rieb Musiala sich im Duell mit PSG-Abwehrmann Willian Pacho und Torhüter Gianluigi Donnarumma auf, kollidierte mit dem Keeper – und stand nicht mehr auf (45.+3 Minute). Selbst Gegenspieler Donnarumma vergrub beim Anblick von Musialas verdrehtem Bein das Gesicht in den Händen, Sanitäter schafften den 22-Jährigen mit einer Trage vom Platz.
Das Ergebnis: Aus Bayern-Sicht fast schon Nebensache, immerhin halbwegs knapp: 0:2 (0:0) unterlag der Rekordmeister im Viertelfinale den unaufhaltsamen Franzosen, die sich anschicken, dem Triple aus Meisterschaft, Pokalsieg und Henkelpott auch den interkontinentalen Titel zu sichern. Im Halbfinale wartet am Mittwoch der Sieger der Partie zwischen Real Madrid und Borussia Dortmund.
Re-Taylor: Man kann Anthony Taylor vieles unterstellen. Aber nicht, Musiala Glück zu bringen: Auf den Tag genau ein Jahr war es her, dass der Engländer das EM-Halbfinale zwischen Deutschland und Spanien leitete und dabei das Handspiel des Spaniers Marc Cucurella so falsch bewertete, dass die Uefa den Fehler später öffentlich einräumte. Den Schuss, den Cucurella irregulär, aber ungestraft blockte, hatte damals Musiala abgegeben. Beim Wiedersehen zumindest mit dem bayrischen Teil des DFB-Kaders von damals gab es keinerlei böses Blut: »Ich glaube, die Schiris machen deutlich weniger Fehler, als ich das auf dem Platz mache«, gab sich Bayern-Kapitän Joshua Kimmich vorab versöhnlich.
Zwischen Gehalt und bleib halt: Ohnehin ist der FC Bayern nicht der DFB, und die Münchner haben in diesem Sommer auch ob der öffentlich ausgetragenen Transferschlachten genug mit sich selbst zu tun. Leroy Sané hatte sich zum 1. Juli gen Galatasaray verabschiedet, neue Offensivstars haben bislang noch nicht angebissen. Linksaußen Nico Williams, vormals bei den Bayern auf der Liste, hatte am Vortag erst beim Athletic Club bis 2035 verlängert.
»Aber als wir die Gehaltsforderungen gehört haben, um überhaupt mit dem Spieler zu sprechen, da ist Bayern München sehr schnell zurückgetreten und hat gesagt: Okay, dann machen wir das nicht«, erklärte sich Bayern-Manager Max Eberl vor Anpfiff bei DAZN. Ob in München tatsächlich schlechter gezahlt wird als in Bilbao? Fraglich. In jedem Fall fiel die linke Außenbahn nun jemandem zu, der inzwischen als Ur-Bayer gelten darf: Vor zehn Jahren wechselte Kingsley Coman zum FCB, entschied gegen seinen Jugendklub aus Paris schon einmal ein Champions-League-Finale und durfte sich nun erneut versuchen.
Dimensionen des »nah dran«: Die erste Hälfte fand dann weitgehend auf Augenhöhe statt. Zumindest, was die Spielanteile anging. Ein Raunen ging aber eher dann durchs Stadion in Atlanta, wenn die Pariser Tempospieler Fahrt aufnahmen: Besonders Khvicha Kvaratskhelia blieb ein Unruheherd, hielt sich einmal Dayot Upamecano vom Leib und zwang den Bayern-Torhüter zu einer Parade, auf die auch der Manuel Neuer des Jahres 2014 stolz gewesen wäre (31.). Erst danach wurden auch die Bayern stärker. Ein Kopfball von Harry Kane (38.), ein frecher Pass von Aleksandar Pavlović, der fast ins Tor durchgerutscht wäre (41.), ein Abseits-Kopfballtor Upamecanos (45.+1): Bis zum Pausenpfiff hatten sich die Bayern das Remis verdient.

Zu früh gefreut: Dayot Upamecanos Torjubel nach dem Abseitstreffer
Foto: Brynn Anderson / APEin Aufpreis zum Aufpreis: Zu Beginn der zweiten Halbzeit hatten die Bayern schon doppelt gewechselt. Nicht nur musste Serge Gnabry den Pechvogel Musiala vertreten, auch Josip Stanišić hatte sich längst abgemeldet und Platz für Sacha Boey gemacht. Gerade die offensive Personalnot macht Eberls Arbeit nicht leichter: Schon der Fall Nick Woltemade hatte gezeigt, dass Klubs um den Bedarf bei den Bayern wissen und sich nicht zieren, für ihre Spieler in diesem Sommer Mondpreise aufzurufen. Eine zusätzliche, Musiala-große Lücke dürfte es dem Klub nun unmöglich machen, auf dem Transfermarkt Schnäppchen abzustauben – und die Millionen, die die Klub-WM eingespielt hat, schnell versickern lassen.
Es wird wild: Trotz des Verletzungsschocks hielten die Bayern gut mit. Am Einsatz lag die spätere Niederlage keinesfalls, selbst Harry Kane eilte teilweise mit zurück, um sich am eigenen Strafraum per Grätsche den Ball zu holen (72.). Gleichzeitig hatte der FCB nach einem Neuer-Aussetzer Glück, dass Ousmane Dembélé das leere Tor verfehlte – der Keeper hatte zuvor Kvaratskhelia angeschossen (74.). Besser machte es Désiré Doué, der schon das Champions-League-Finale entschieden hatte (78.).
Und wilder: Hoffnung schöpften die Bayern schon wenige Minuten später. Pacho segelte mit den Stollen voraus in Leon Goretzka, traf den Münchner am Schienbein und sah Rot (82.). Harry Kane köpfte das zweite Abseitstor des Tages (87.), ehe Ex-Münchner Lucas Hernández völlig ohne Not den Ellenbogen gegen Raphaël Guerreiro ausfuhr (90.+2) und dafür vom Platz flog. Die Pariser Bank forderte Referee Taylor auf, sich die Szene noch einmal anzuschauen. Er hätte allerdings nur das gesehen, was er bereits in Realgeschwindigkeit angemessen bewertet hatte.

Anthony Taylor zeigt Lucas Hernández die Rote Karte
Foto: Paul Ellis / AFPUnd am wildesten: Nachdem Dembélé erst die Latte, dann ins Münchner Herz zum 2:0 traf (90.+6), wurde dem PSG-Staff der Wunsch nach einem skurrilen VAR-Einsatz doch noch erfüllt. Gegen Thomas Müller, der sein letztes Spiel für die Bayern bestritt, hatte Nuno Mendes das Bein nicht nur auf Kopfhöhe hochgerissen, sondern in der Bewegung auch Müllers rechten Arm getroffen. Ein Strafstoß, befand Taylor – bis sich der Videoassistent meldete. Taylor schaute sich die Szene an, sah den Kontakt in der Zeitlupe, sprach zum Stadion und befand: Kein Kontakt. »Die Situation war so, wie es sich angefühlt hat, kein sauberes Spiel«, sagte Müller später. Gut, dass die Szene die Partie nicht mehr gekippt hätte, sonst hätte die Fifa wohl bald ein Korrekturschreiben herumschicken müssen.