Klub-WM: Jamal Musiala vom FC Bayern München und seine schwere Verletzung - der Schock von Atlanta

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Jamal Musiala am Boden, dahinter entsetzte Mit- und Gegenspieler

Jamal Musiala am Boden, dahinter entsetzte Mit- und Gegenspieler

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Pablo Morano / REUTERS

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Man musste nur auf die Fußballer des FC Bayern und von Paris Saint-Germain schauen, um zu verstehen, wie schlimm es um Jamal Musiala stand. Joshua Kimmich hielt sich die Hände vor das Gesicht, Michael Olise zog sich das Trikot über den Kopf, als ertrügen sie den Anblick ihres leidenden Teamkollegen und dessen Fuß nicht. Aber am deutlichsten wurde der Schock über Musialas Verletzung am Pariser Torwart.

Als Gianluigi Donnarumma erkannte, was er verursacht hatte, verzog er die Miene zu einer Grimasse, als hätte ihn ein stechender Schmerz durchfahren. Er sank auf ein Knie und vergrub das Gesicht in seinem Torwarthandschuh. Dann stand er auf und wanderte umher, er kämpfte mit den Tränen, rang nach Luft.

Musiala, 22, war in einem Duell mit dem Pariser Torhüter von diesem abgeräumt worden. Der massige Donnarumma erwischte den Ball, weshalb es auch keinen Strafstoß gab, doch er begrub dabei Musialas linkes Bein unter seinem Oberkörper. Als es wieder zum Vorschein kam, stand der Fuß in unnatürlichem Winkel vom Bein ab. Deshalb die schockierten Gesichter. Dies war keine normale Verletzung, wie Fußballer sie gewohnt sind.

 »Willst du nicht mal hingehen?«

Gianluigi Donnarumma: »Willst du nicht mal hingehen?«

Foto: Kai Pfaffenbach / REUTERS

Minutenlang wurde Musiala behandelt. Schließlich wurde er auf einer Trage vom Platz getragen. Von einem Wadenbeinbruch und Bänderverletzung berichtete später die »Bild«, und dass Musiala vier bis fünf Monate fehlen würde. Das wäre angesichts der Bilder eine fast überraschend positive Prognose, passte allerdings nicht dazu, dass Bayerns Sportchef Max Eberl zunächst von einer Verletzung am Sprunggelenk sprach. Klarheit dürfte der Sonntag bringen.

»Man fühlt sich machtlos. Es macht mich wütend«

»Jamal ist extrem geknickt, extrem traurig«, sagte Eberl nach dem Spiel, auch er wirkte angefasst. Man müsse Musiala nun aufbauen und »in den nächsten Monaten begleiten auf seiner Reise, die definitiv nicht leicht sein wird«.

Trainer Vincent Kompany sagte: »Man fühlt sich machtlos. Es macht mich wütend, dass es jemandem wie ihm passiert ist.«

Der spielfreudige Musiala kam schließlich gerade erst aus einer langen Verletzung. Das Viertelfinale gegen PSG war die erste Partie seit drei Monaten, die er von Beginn an bestreiten konnte.

In das Mitgefühl mit Musiala mischte sich Unverständnis über Torwart Donnarumma. »Wenn ich mit 100 Kilo und im Sprint auf den Unterschenkel draufspringe«, sagte Eberl und pausierte, damit seine Worte ihre Wirkung entfalten konnten, »ist die Gefahr groß, dass etwas passiert.«

Er unterstelle Donnarumma keine Absicht. Aber große Rücksicht habe er gewiss nicht genommen.

Der Moment vor der folgenschweren Kollision

Der Moment vor der folgenschweren Kollision

Foto: Peter Zay / Anadolu Agency / IMAGO

In den Momenten nach dem Zweikampf mit Musiala war der italienische Keeper in Richtung Mittelkreis gewandert, er schien nicht zu wissen, wohin mit sich und sank bald darauf abermals auf den Rasen, als Manuel Neuer zu ihm stieß. Bayerns Kapitän war aus seinem Strafraum zu seinem Torwartkollegen geeilt, er sagte ihm einige Worte.

Sie lauteten: »Willst du nicht mal hingehen?«

»Italiener sind sehr emotional. Ob man es ihm dann abnimmt, muss jeder selbst entscheiden.«

Manuel Neuer über Gianluigi Donnarumma

Neuer stand kerzengerade in der Mixed Zone und führte aus, was er damit meinte. »Der Jamal liegt da, der wird wahrscheinlich erst mal im Krankenhaus bleiben, der hat eine schwere Verletzung«, sagte Neuer. Da gehöre es sich einfach, zu ihm zu gehen, ihm alles Gute zu wünschen und ein kleines Sorry dazulassen. Was Donnarumma dann getan habe.

Auch er sagte, dass Donnarumma die Verletzung in Kauf genommen habe. Und sein Kampf mit den Tränen? »Italiener sind sehr emotional. Ob man es ihm dann abnimmt, muss jeder selbst entscheiden«, sagte Neuer.

Zwei Platzverweise und Müllers Abschied

Musiala und Donnarumma überstrahlten an diesem Samstagmittag Ortszeit im Stadion von Atlanta so vieles.

Den Umstand, wie hochklassig diese Partie, wie ebenbürtig die Bayern den Pariser Champions-League-Siegern waren. Den unglaublichen Doppelreflex von Neuer gegen Khvicha Kvaratskhelia in der ersten Hälfte. Die zwei Roten Karten gegen Paris; das Gegentor, das die Bayern in doppelter Überzahl kassierten. Die letzten Minuten von Thomas Müller im Bayern-Trikot. So viele Geschichten. Doch man kann dieses Spiel nur an Musiala erzählen.

Denn obwohl die Bayern auch ohne ihn spielten, als wären sie kommende Saison ein Favorit auf den Titel in der Königsklasse, stellt sich die Frage: Wird Musialas Ausfall auf lange Sicht zur enormen Schwächung für den Klub?

Woltemade dürfte einige Millionen teurer geworden sein

Allein quantitativ benötigten die Münchner neue Spieler für die Offensive. Das war bereits vor Musialas Verletzung so, und diese Not hat sich verschärft.

Die Verhandlungen mit dem VfB Stuttgart über einen Transfer von Nick Woltemade stehen an. Vielleicht ist er Max Eberl nun doch annähernd die 80 Millionen Euro Wert, die er zuvor offenbar für abwegig gehalten hatte. In Atlanta sagte der Sportchef dazu nur, dass die Bayern keine utopischen Preise zahlen werden. Ob er das so konsequent umsetzt, wenn er mit den Verantwortlichen des VfB an einem Verhandlungstisch sitzen sollte, bleibt abzuwarten.

Weil die Bayern auch noch einen Ersatz für Leroy Sané benötigen, stehen Eberl hektische Wochen bevor. Er braucht neue Spieler. Jeder am Markt kennt seine Not. Und allen ist bekannt, dass der FC Bayern bei dieser Klub-WM gut 50 Millionen Euro eingenommen hat.

Zyniker werden die Frage stellen, wie sinnvoll die Münchner Teilnahme an diesem Wettbewerb gewesen ist, der primär zum Geldverdienen und zu PR-Zwecken geschaffen wurde und die Bayern doch teuer zu stehen kommt.

Aufgrund der Musiala-Not machte im Stadion von Atlanta eine Idee die Runde. Denn es gäbe ja eine Möglichkeit, einen Fußballer zu verpflichten, der auf Musialas Position spielt, die Bundesliga kennt und ablösefrei zu haben wäre. Er heißt Thomas Müller.

Bleibt Müller vielleicht doch in München?

Müller kam am Samstag in die Mixed Zone, er wurde nach seiner Zukunft gefragt, die man eigentlich in Los Angeles vermutet.

Man müsse aufpassen, dass keine geschmacklose Diskussion entstehe, nachdem sich Musiala derart verletzt habe, sagte er auf die Frage nach einem möglichen Verbleib.

Gedanken machen könne sich jeder. Aber Müller sagte auch: »Ich denke, es ist alles gesagt zu dem Thema«, und: »Nur weil man jetzt irgendwelche Gedankenspiele auf den Tisch bringt, hat das nichts mit der Realität zu tun.«

»Ich hatte das nicht in meinem Kopf«

Das klang nicht danach, als würde Müller plötzlich bleiben. Aber was, wenn sich Gedankenspiele in ein konkretes Angebot verwandeln?

Also, Herr Eberl. Erhält Müller doch einen neuen Vertrag oder bleibt diese Tür versperrt?

Eberl wiegelte ab. Erst auf dem Weg in die Mixed Zone sei er darauf hingewiesen worden, dass eine solche Frage kommen könne, sagte Eberl. »Ich hatte das nicht in meinem Kopf.«

Gespräche dazu habe es nicht gegeben. Es sei ohnehin nicht der Zeitpunkt für »strukturelle Kaderplanung«, sagte Eberl. Dafür sei er nach Musialas Verletzung noch zu emotional.

Eberl hätte auch einfach »Nein« sagen können.

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