Klingbeil muss sparen : Und genau darin liegt seine Chance

vor 1 Tag 2

Auf den ersten Blick ist es eine überraschend gute Nachricht. Obwohl die deutsche Wirtschaft seit Jahren nicht von der Stelle kommt und so viele Firmen insolvent gehen oder Arbeitsplätze abbauen wie nie, nimmt der Staat mehr Geld ein. Bis 2029 können Bund, Länder und Gemeinden mit über 33 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen rechnen als noch im Mai angenommen, lautet die Prognose der Steuerschätzer.

Normalerweise ein Grund zur Freude für den Finanzminister. Doch die kommt bei Lars Klingbeil nicht auf, als er die Zahlen am Donnerstag in Berlin vorstellt.

Zwar nimmt er sie zum Anlass, die Arbeit der schwarz-roten Regierung hervorzuheben. „Was wir tun, wirkt.“ Doch häufiger dämpft er die Erwartungen und Hoffnungen, die aus dem Steuerplus wachsen könnten. Mehrfach betont er, dass es keinerlei Grund gebe, sich nun zurückzulehnen. Alles andere wäre auch vollkommen unangebracht. Allein, wenn man sich die Entwicklung etwas genauer ansieht.

Denn zwar steigen die Steuereinnahmen auf gesamtstaatlicher Ebene. Doch den Großteil davon streichen Länder und Kommunen ein. Für Deutschlands Chefhaushälter ist seine wichtigste Aufgabe also nicht wirklich einfacher geworden. Die Lücke in Klingbeils mittelfristiger Finanzplanung von 172 Milliarden Euro verringert sich um nicht einmal zehn Prozent. Nie war sie in der bundesrepublikanischen Geschichte größer. Schon allein deswegen muss er den Spardruck also hochhalten.

Doch selbst ein ausgeglichener Haushalt schafft weder Arbeitsplätze noch Wachstum, sondern lediglich die Voraussetzung dafür. Klingbeil muss Einsparungen als Chance begreifen, Deutschland endlich wieder auf Wachstumskurs zu bringen. Drei Beispiele.

Wer spart, kann mehr investieren: Das 500-Milliarden-Euro schwere Sondervermögen ist essenziell, um Deutschlands Infrastruktur zu modernisieren. Doch Ökonomen wie Opposition werfen Klingbeil vor, die Mittel zu zweckentfremden, weil er bisher im Haushalt eingeplante Investitionen künftig aus dem Sondertopf finanzieren will.

Das ist rechtlich möglich, aber angesichts des Investitionsstaus falsch. Fährt Klingbeil die Einsparungen hoch, ist er weniger auf solche Manöver angewiesen. So könnte er seine Kritiker stellen, aber vor allem noch mehr investieren. Davon würde nicht nur jede Bürgerin und jeder Bürger, sondern auch Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit profitieren.

Wer spart, stärkt den Standort: Ein weiteres Element in Klingbeils Sparplan ist der Abbau von Bürokratie und die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren. Doch nicht nur die Verwaltung spart damit Zeit und Geld, sondern vor allem die Unternehmen. Wer einfacher und schneller bauen oder produzieren kann, wird mehr davon tun.

Sparen bedeutet, die Angebotsbedingungen zu verbessern und damit den Wirtschaftsstandort attraktiver für machen – auch für die, die sich künftig wieder eher für Deutschland entscheiden sollen.

Wer spart, demonstriert Handlungsfähigkeit: Schafft es Klingbeil, seinen Sparkurs durchzuziehen, sendet er damit sowohl nach außen wie innen ein Zeichen der Stärke. Statt Kettensäge (Argentinien), Königsgebaren (USA) oder Klassenkampf (Frankreich) setzt man in Deutschland auf Kompromissfähigkeit und Rechtsstaatlichkeit. Auch das ist ein Wert im weltweiten Standortwettbewerb. Beseitigt er zudem Ungerechtigkeiten bei der Erbschaftsteuer oder Subventionen, stärkt er das gesellschaftliche Klima in Deutschland.

Bisher haben Union und SPD vor allem darauf gesetzt, die steigenden Ausgaben etwa bei der Rente mit Krediten zu finanzieren. Fast eine Billion Euro neue Schulden werden auch dafür gemacht.

Doch mit der angekündigten Konsolidierung des Haushalts kommt Klingbeil bisher nur schleppend voran. Statt strukturelle Probleme anzugehen, hat man sie in Kommissionen ausgelagert. Mit der Mütterrente oder den Steuersenkungen für Gastronomen und Pendler leistet man sich sogar teure neue Projekte, deren Sinn nahezu alle Ökonomen bezweifeln.

Union und SPD dürfen diese Aufgabe nicht weiter in die Zukunft verlagern. Klingbeils Worten müssen nun Taten folgen. Bis zum Jahreswechsel will er einen in der Koalition abgestimmten Sparplan vorlegen. Dann wird sich zeigen, ob er es ernst meint.

Gesamten Artikel lesen