Eine Kleinanzeige neulich in der „Süddeutschen“: „Sommerferien a.d. Lande, Gutshaus unweit MUC. 5000 Bücher, wer kann sie für uns ordnen? Tel. xxx“. Selten haben ein paar Zeilen aus der Zeitung meine Phantasie so stimuliert wie diese. Wäre das nicht die Gelegenheit, endlich in völliger Abgeschiedenheit der lebensentscheidenden Frage aller Bibliophilen nachzugehen, der Frage, wie man seine Bücher am besten ordnet?
Über die Dauer eines Sommers dürfte genügend Zeit zum Experimentieren bleiben: In den ersten Wochen würde ich klassisch nach Fachgebieten und Autorennamen sortieren, dann über eine Ordnung nach Geburtsdatum (oder gar Erscheinungsjahr?) ungeahnte Gleichzeitigkeiten aufdecken. Gegen Mitte meines Aufenthalts dürfte, auch um die eigene Lektüre voranzutreiben, der Gebrauchswert in den Mittelpunkt treten, also die Unterscheidung nach „gelesen/ungelesen“, Seitenlänge und Anspruch (dessen Bestimmung natürlich literaturtheoretisch zu begründen wäre).
Erbitterte Auseinandersetzung auf Tiktok
Schließlich müsste der Ästhetik Genüge getan werden, wobei verschiedene Ansätze konkurrieren: Soll die Höhe der Bücher sich der Höhe der Regalfächer anpassen, soll man sie nach Farbe ihrer Einbände gruppieren oder sie gar allesamt umdrehen, damit sie mit ihren weißen Schnitten einen möglichst einheitlichen Eindruck erzeugen?
Und dann, wenn sich die Bäume vor dem Fenster schon bunt zu färben beginnen, würde ich über all diese Versuche eine große, empirisch gesättigte Vergleichsstudie verfassen und damit auf Anhieb bibliophilen Weltruhm erlangen. Übrigens auch bei der jüngeren Generation: Auf Tiktok liefern sich Bookfluencer seit Längerem eine erbitterte Auseinandersetzung um die beste Anordnung ihrer Bücher.
Bewerbungen von emeritierten Professoren
Als die Sehn- und Ruhmessucht zu groß wird, greife ich zum Hörer. Im Gutshaus meldet sich ein älterer Herr. Er sei gerade von den Feldern nach Hause gekommen, denn zusammen mit seinem Sohn betreibe er einen Bio-Bauernhof nordöstlich von München. Früher sei er Kunsthändler gewesen, und seit dieser Zeit besitze er eine Unmenge an Kunstbänden, dazu, als Erbstück, landwirtschaftliche Literatur aus dem 17. und 18. Jahrhundert sowie deutsche Klassiker in Ausgaben des 19. Jahrhunderts.
Nun möchte Siegfried Billesberger, so der Name des Gutsherrn, seine Bibliothek einem Kulturzentrum zuführen, das auf seinem jahrhundertealten Gehöft entstehen soll. Doch für die fällige Sortierung der Bücher fehle ihm die Muße.
Ob denn schon Bewerbungen eingegangen seien, frage ich bang. Deutlich mehr als erwartet, darunter hoch qualifizierte, etwa von emeritierten Professoren. Einige ältere Damen hätten sich scheinbar mehr für den Besitzer einer solchen Sammlung als für die Sammlung selbst interessiert – merke: Kontaktanzeigen sind erfolgreicher mit Hintersinn.
Sein Favorit? Ein 23 Jahre alter Student aus Oxford. Wenn der noch ein zweites Mal anrufe, bekomme er die Stelle. Das kann mir als Cambridge-Absolventen natürlich überhaupt nicht passen. Nur ob mein Chef in Frankfurt einem Sabbatsommer so kurzfristig zustimmen wird? Also, lieber Oxford-Student, ich gebe dir eine Woche. Dann bewerbe ich mich selbst.