Die gute Nachricht kam von Donald Trump: „Nach einer langen Nacht mit Gesprächen, die von den Vereinigten Staaten vermittelt wurden, freue ich mich, bekannt geben zu können, dass Indien und Pakistan einem VOLLEN UND SOFORTIGEN Waffenstillstand zugestimmt haben“, schrieb der US-Präsident am Samstag teilweise in Großbuchstaben auf seinem eigenen Netzwerk Truth Social.
Es folgten noch einige fiebrige Meldungen und Gegenmeldungen. Aus einigen Orten im indischen Teil Kaschmirs wurden Explosionen gemeldet. Vikram Misri, Sprecher des indischen Außenamts, erklärte in Delhi, die indischen Streitkräfte seien angewiesen, bei einer Wiederholung „hart durchzugreifen“. Islamabad machte Indien für die Verstöße verantwortlich: „Unsere Streitkräfte gehen mit der Situation verantwortungsvoll und zurückhaltend um“. Angeblich rief der pakistanische Premier Shehbaz Sharif für Samstag sogar eine Sitzung der Nationalen Kommandobehörde ein, die Entscheidungen in Bezug auf das Atomwaffenarsenal des Landes trifft. Das pakistanische Verteidigungsministerium dementierte umgehend.
Beendet ist der Konflikt durch die Waffenruhe nicht
Am Sonntag kochte der Konflikt, der die Welt in der vergangenen Woche in Atem gehalten hat, nicht mehr hoch – was nicht bedeutet, dass er beendet ist. Kaschmir, um das Indien und Pakistan seit ihrer Trennung 1947 streiten, wird weiter Potenzial für eine Eskalation bergen. Was nun beginnt, ist der Kampf um die Deutungshoheit. Indien beschuldigt Pakistan mehr oder minder, diesen Konflikt angefangen zu haben, in dem es islamistische Terroristen in den Ort Pahalgam geschickt habe, die dort 26 hinduistische Touristen erschossen haben. Woher man in Delhi weiß, dass zwei der Täter pakistanische Staatsangehörige sind, auch wenn man sie bislang nicht fassen konnte, bleibt bislang unklar.
Die extremistische Gruppe Lashkar-e-Taiba, deren Ableger den Anschlag verübt hat, gilt in Delhi als verlängerter Arm Islamabads. Dem mächtigen pakistanischen Militär gehe es darum, die Kontrolle Delhis in der Region zu untergraben und das Thema der unterjochten, mehrheitlich muslimischen Kaschmiris international präsent zu halten. Dafür würden militante Gruppen in Pakistan trainiert und ausgerüstet. In Islamabad tut man derweil so, als wisse man nicht, wieso man mit militanten Gruppen in Verbindung gebracht wird, auch wenn es international keinen Zweifel daran gibt, dass es in Pakistan ein massives Problem mit diversen Terrorgruppen gibt. Dass niemand im pakistanischen Sicherheitsapparat eine Ahnung von dem Anschlag hatte, ist unwahrscheinlich.
Das Narrativ Pakistans lautet hingegen: Premierminister Narendra Modi wolle mit seinem antimuslimischen Kurs Stimmung machen, um die Regionalwahlen in Bihar zu gewinnen, die allerdings erst im Oktober stattfinden. Es stimmt zwar, dass Modis Bharatiya-Janata-Partei (BJP) ihre Mehrheiten immer wieder mit Hindunationalismus gewinnt, aber deswegen einen Krieg anzufangen, scheint sehr weit hergeholt. Der ewige Konflikt um Kaschmir wurde dadurch befeuert, dass die BJP ihr Wahlversprechen von 2019 wahrmachte und der Region die Teilautonomie entzog. Hindus sollten zum Umzug in die wunderschöne Berggegend animiert werden, die zwar hart vom indischen Militär kontrolliert, aber gleichzeitig als Touristen-Region für Inderinnen und Inder vermarktet wurde.
Die aufgeheizte Stimmung in den sozialen Netzwerken setzt die Entscheider unter Druck
Tatsächlich gehört zur raschen Beinahe-Eskalation dieses Konflikts auch, dass moderne Techniken zum Einsatz kommen. Einerseits werden Attacken mit Kampfdrohnen geflogen; sie richten präzise Zerstörung an, ohne dass man überhaupt Truppen in Bewegung setzen muss. Ihre schnellen und anonymen Attacken gleichen einer Ohrfeige. Andererseits sind die Medien durch die massenhafte Verbreitung von Smartphones in beiden Ländern mittlerweile entfesselt. Auf allen Kanälen überschlugen sich permanent die Nachrichten, obwohl über tatsächlich ausgeführte Aktionen, Schäden und Todesopfer häufig Unklarheit herrschte und weiterhin herrscht.
Durch die immer hektischer werdende Kommunikation über Internet und Social Media geraten die Entscheider schnell unter Druck, als stark und entschlossen dazustehen, wenn sie sehen, wie sich in den reißenden Nachrichten-Strömen die Mehrheitsmeinungen bilden. Gerade die BJP reagiert sehr empfindlich auf Stimmungen in den Netzwerken, die Partei betreibt eine große Abteilung, die sich nur mit der Online-Kommunikation befasst. Die Rhetorik auf beiden Seiten der Grenze wurde immer schärfer. Länder wie Saudi-Arabien, Großbritannien, die Türkei, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate versuchten zu vermitteln.
Tatsächlich scheint die Region nun mit einem Schreck davongekommen zu sein. Neben dem Wissen, dass ein vollends ausgearteter Krieg beiden Ländern enormen Schaden zufügen würde, war wohl der Einsatz von US-Außenminister Marco Rubio ausschlaggebend. Auch das ist eine gute Nachricht, denn in der vergangenen Woche hatte man den Eindruck, die USA wollten nichts zu tun haben mit dem Konflikt. Washington war in früheren Konflikten ein Verbündeter Pakistans, ist mittlerweile aber ein bedeutender Handelspartner Indiens.
„Wir beglückwünschen Premierminister Modi und Premierminister Sharif zu ihrer Klugheit, Besonnenheit und Staatskunst, mit der sie den Weg des Friedens gewählt haben“, erklärte Rubio am Samstag. Es würden bald direkte Gespräche an einem neutralen Ort geführt werden. Auch Trump lobte die Staatschefs am Sonntag: „Ich werde den Handel mit diesen beiden großartigen Nationen erheblich ausbauen, auch wenn dies noch nicht einmal diskutiert wurde“, schrieb Trump wieder auf Truth Social.
Vor allem in Peking und Moskau wird man diese Entwicklung aufmerksam wahrnehmen. China hat in den vergangenen Jahren politisch und finanziell einiges in Pakistan investiert, um seinen Einfluss in der Region auszubauen. Russland sieht sich traditionell als Verbündeter Indiens. Wer bei all dem nicht zu Wort kommt, sind die Kaschmiris, die nun wieder vergessen werden, bis der Konflikt erneut ausbricht. Sie hatten einen Tag nach dem Anschlag gegen den Terror demonstriert, weil sie vor allem anderen an Frieden interessiert sind.