Lange schien Florian Gerhardus an der Spitze des bundesweiten Zehntliga-Rankings kaum noch einzuholen. Im Saisonendspurt wechselte Ex-Oberliga-Spieler Leon Heinemann vom BV Werther jedoch auf die Überholspur, zog mit 13 Toren in nur drei Spielen vorbei und hat nun die besten Chancen auf die "Torjägerkanone® für alle".

Die Geschwindigkeit von Leon Heinemann ist in der 10. Liga nur schwer zu bremsen. BV Werther
Was sich in den vergangenen Wochen in Deutschlands 10. Ligen abspielte, "das muss man schon als verrückt bezeichnen". Da findet auch Leon Heinemann, Kapitän und spielender Co-Trainer des Bielefelder Kreisligisten BV Werther, kaum andere Worte, um das Geschehen zu beschreiben.
Lange schien es nämlich, als könne niemand Florian Gerhardus vom rheinländischen Kreisligisten SG Wallmenroth-Scheuerfeld II das Wasser reichen. Der 38-jährige Familienvater führte das bundesweite Ranking der 10. Ligen mit 77 Toren in 22 Spielen an und galt als heißester Favorit auf den Gewinn der "Torjägerkanone® für alle".
Wenn zu diesem Zeitpunkt auch ziemlich klein - im Rückspiegel zeichnete sich schon die Silhouette eines Verfolgers ab, der mit bedrohlichem Tempo näherkam - und am vergangenen Wochenende tatsächlich zum Überholvorgang ausscherte. Mit einem Fünferpack und zwei Viererpacks in den letzten drei Spielen schmolz Heinemann den Vorsprung seines Konkurrenten im Eiltempo und übernahm selbst die Pole-Position im Kanonenrennen. Bei nunmehr 78 Toren in 27 Spielen hat er sich beste Chancen auf die begehrte bundesweite Auszeichnung erarbeitet.
Teamprojekt Torjägerkanone
Die Leistungsexplosion ist auch für Heinemann schwer zu erklären. Für den BV Werther geht es in der Kreisliga B Bielefeld 1 eigentlich um nichts mehr, schließlich steht Heinemanns Heimatverein schon seit Wochen als Meister fest. Statt eines meisterlichen Schongangs erhöhte der BVW jedoch das Tempo und feierte zuletzt drei Kantersiege (7:0, 9:0 und 7:2). "Eigentlich war nach der Meisterschaft die Luft raus. In den letzten Wochen ist aber die Kanone zu einem immer größeren Thema geworden und hat im gesamten Team nochmal einen Ehrgeiz geweckt. Die Kanone ist sozusagen zu einem Teamprojekt geworden", lacht der angehende Gymnasiallehrer, der sich aktuell noch im Master seines Lehramtsstudiums mit Schwerpunkt Sport und Geschichte befindet.
Heinemann hätte nicht für möglich gehalten, dass die Kanone überhaupt noch einmal in greifbare Nähe rückt. Zu Saisonbeginn kannte er sie noch gar nicht. Das änderte sich zwar im Saisonverlauf, doch im Winter hatte er die Kanonenträume schon fast wieder aufgegeben. "Als Gerhardus Ende Oktober 15 Tore in einem Spiel gemacht hat, dachte ich, das war's", erinnert sich der 27-Jährige.
Die Konstanz war definitiv der Schlüssel zum Erfolg.
Fleißig wie eine Biene blieb Heinemann dran, kämpfte sich zurück und setzte Gerhardus unter Druck. Anders als sein ärgster Konkurrent traf Heinemann in jedem seiner 25 Einsätze mindestens einmal. Es waren auch sieben Dreierpacks, vier Viererpacks und fünf Fünferpacks dabei, die sein Konto rasant in die Höhe schraubten. "Die Konstanz war definitiv der Schlüssel zum Erfolg", ist sich der Torjäger sicher, dessen größte Stärke seine Endgeschwindigkeit ist.
Mit präzise gespielten Steilpässen wird die Geschwindigkeit von Heinemann regelmäßig von seinen Teamkollegen in Szene gesetzt - jene Kollegen, die einen maßgeblichen Anteil an seiner Fabelsaison haben. Viele seiner Mannschaftskameraden sind zugleich enge Freunde, und genau dieses vertraute Umfeld war auch der Grund für seine Rückkehr nach Werther im vergangenen Sommer. Zuvor hatte Heinemann beim Oberligisten Viktoria Clarholz gespielt. Eine mögliche Profi-Karriere hatte er sich jedoch schon in der Jugend selbst verbaut. "Damals war meine Einstellung nicht professionell genug. Ich wollte lieber mit meinen Freunden zusammenspielen", erinnert sich der talentierte Angreifer, der damals sogar ein Angebot des Lokal-Giganten Arminia Bielefeld ausschlug.
Trotz seiner höherklassigen Vergangenheit war für Heinemann in keinster Weise zu erahnen, dass er so viele Tore schießen würde. "Vor der Saison hatte ich mir vielleicht 30 oder 40 Tore als Ziel gesetzt. Es sind also deutlich mehr geworden als ich gedacht habe."
Von Rentnern erkannt
Dass sein Heimatverein durch seine Tore bundesweite Schlagzeilen schreibt, ist für Heinemann ein unbeschreibliches Gefühl. "Nicht nur für mich, sondern auch für den Verein ist das eine Riesensache. Dass mal ein Spieler des BV Werther ganz oben steht, ist eine tolle Geschichte." Der Tore-Wahnsinn geht sogar so weit, dass er auf der Straße erkannt wird. "Neulich kam ein Rentner zu mir und drückte mir einen Zeitungsartikel in die Hand, in dem es um mich ging", lacht Heinemann.
Wenn es am Ende nur Platz 2 ist, dann ist es für mich und den Verein trotzdem eine historische Leistung.
Der Angreifer hat in dieser Saison noch drei Spiele zu bestreiten, Gerhardus nur noch zwei. Das Ziel ist also klar: den knappen Vorsprung halten. Eine finale Tormarke hat er sich nicht gesetzt - aus gutem Grund: "Wenn man etwas manchmal zu sehr will, dann klappt es nicht. Ich gebe einfach Gas", erklärt Heinemann und zeigt im selben Atemzug Sportgeist: "Wenn es am Ende nur Platz 2 ist, dann ist es für mich und den Verein trotzdem eine historische Leistung. Darauf kann man stolz sein. Und ganz ehrlich. Wenn Florian Gerhardus am Ende mehr Tore hat als ich, dann hat er es auch verdient."
Kanone nach dem Erfolgs-Triple?
Dass Heinemann die schneeweiße Trophäe in wenigen Wochen lieber selbst in den Händen halten würde, ist kein Geheimnis. "Es wäre gelogen zu sagen, dass so eine Auszeichnung einen nicht interessiert", gibt er offen zu. Für den Ranglisten-Ersten wäre die Torjägerkanone das "i-Tüpfelchen" auf einem grandiosen Saisonfinale. Sportlich wurde Heinemann in den vergangenen Tagen ohnehin mit allem verwöhnt, was er sich nur wünschen konnte.
Schließlich durfte der gebürtige Bielefelder nicht nur die Meisterschaft des BV Werther feiern, sondern kurz darauf auch den Aufstieg der Arminia bejubeln. Zu allem Überfluss kehrte sein Herzensklub, der Hamburger SV, nach sieben Jahren in der Zweitklassigkeit wieder in die Bundesliga zurück - ein wahres Erfolgs-Triple also. Doch ein letztes Häkchen fehlt noch auf der prall gefüllten Bucket-List: "Jetzt fehlt nur noch die Kanone."
Lukas Karakas