Joan as Police Womans Album „Lemons, Limes and Orchids“

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Für ihr zwölftes Album hatte sich Joan Wasser vorgenommen, ihrer Stimme wieder mehr Raum zu geben. Nachdem sie auf dem Vorgängeralbum „The Solution is Restless“ mit afrikanischen Rhythmen experimentiert hatte, wollte sie zurück zu schlichteren Songs. Zurück zu den Ursprüngen? Nicht ganz. Wasser, die in Anspielung auf eine Krimiserie älteren Datums unter dem Namen Joan as Police Woman auftritt, ist inzwischen eine etablierte Größe im Einzugsgebiet von Soul, Funk und Indiepop und blickt auf fast zwanzig Jahre im Popgeschäft zurück.

2006 hatte die klassisch ausgebildete Violonistin in klassischer Singer-Songwriter-Manier ihr Debütalbum vorgelegt, später mischten sich Soulklänge und Electrosounds dazu. Mit einer Kompilation ihrer besten Songs unter dem selbstbewussten Titel „Joanthology“ hatte sie sich vor fünf Jahren selbst ein kleines Denkmal gesetzt.

Zuallererst eine Liebende

Ihr neues Album „Lemons, Limes and Orchids“, hätte man meinen können, läutet eine zweite Karrierephase ein, ist aber kein musikalischer Wendepunkt. Die Songs sind nicht so geschliffen wie auf ihrem Meisterwerk „The Deep Field“ von 2011, zeigen aber, wie gut sie ihre Mittel beherrscht. Nach nervösem Beginn breitet sie einen Klangteppich aus stoischen Drums, knisternden Funkgitarren und ruhigen Klavierlinien aus, an denen sich ihre Stimme schlangenhaft in die Höhe schraubt.

Wassers Markenzeichen sind die gemischten Gefühle, eine betörende Schwermut und eine verspielte Nachdenklichkeit, die sich nicht schmollend abwendet und gelegentlich sogar ins Hymnische weitet. Dann wird ihre Stimme zu einem Wärmestrom, wie in der Ode an das Durchhalten, mit der sie sich nach langer Durststrecke ins Herz eines geliebten Menschen zurücksingen will. Man kann die Dinge zerfetzen, mahnt sie zara­thustrahaft, oder die Honigwabe nähren, die wir Ewigkeit nennen. Nicht nur die Lust will Ewigkeit.

PIAS

Zuallererst eine Liebende hat sich Joan Wasser einmal genannt, manchmal eine zu große, die in ihren Songs verletzte Gefühle unbedacht nach außen kehrt, und die Hingabe verflucht, die ihr den Ärger immer wieder beschert. Im neuen Album sucht sie nach einem unbelasteten Neuanfang. Sie ruft Geister zu Hilfe, um sich aus den Fallstricken der Alltäglichkeit zu befreien, die aber auch Dämonen sein können, man weiß das ja nie so genau. Ein freundlicher Dämon hat die Zeile geschrieben, in der sich die Knöpfe ihrer Bluse selbsttätig aufknöpfen und ihren Rücken freigeben, als ein geliebter Mensch neben ihr steht.

Nicht jede Songzeile eignet sich für hermeneutische Klimmzüge, dafür ist manches zu sprunghaft um die Ecke gedacht. In „Long for Ruin“, einem der besten Songs des Albums, wagt sie sich erstmals an das Thema Naturzerstörung und fragt in einem endlos repetierenden Outro, ob wir mit dem Kollaps, auf den wir uns kopflos zubewegen, nicht heimlich einverstanden sind. Für Kenner des freudschen Todestriebs ist das keine aufregende Neuigkeit, in der subtilen Machart sticht es aber angenehm vom gängigen Thunberg-Sound ab.

Zerrissenheit als Bedingung des Glücks: Joan Wasser singt auch auf diesem Album mit rissigen Lippen und einer großen inneren Kraft. Ihre Songs lassen uns in eine Welt entschweben, in dem das Ich eine lockende Insel ist in einem weiten, warmen Meer.

Joan as Police Woman: „Lemons, Limes and Orchids“. PIAS (Rough Trade) 5400863164584

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