Israelischer Premier bei Trump: Netanjahus Dilemma zwischen Waffenruhe und „Kapitulation“

vor 18 Stunden 1

Am Montag wird Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu den US-Präsidenten Donald Trump im Weißen Haus treffen, es soll um Gaza gehen. Trump hat seit dem Ende des Irankriegs vor knapp zwei Wochen immer wieder betont, dass er jetzt auch dort eine Waffenruhe wünscht. Ein Vorschlag der USA sieht Berichten zufolge vor, dass es zunächst eine 60-tägige Feuerpause geben soll, während die israelischen Geiseln, die sich seit dem Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 in der Gewalt der islamistischen Palästinenserorganisation Hamas befinden, schrittweise freigelassen werden sollen.

Im Gazakrieg sind nach palästinensischen Angaben mehr als 57 000 Menschen getötet worden, Wissenschaftler gehen von noch höheren Todeszahlen aus. Weil Israel Hilfslieferungen nach Gaza lange blockiert hat und bis heute starken Restriktionen unterwirft, leidet die palästinensische Bevölkerung unter Hunger, Wassermangel und unzureichender medizinischer Versorgung.

Die Hamas hat den US-Vorschlag geprüft und pocht nun Berichten zufolge darauf, dass eine Einigung eine Garantie für ein dauerhaftes Kriegsende beinhaltet. Demnach will die Organisation auch, dass die UN wieder in die Verteilung von Hilfsgütern eingebunden ist. Seit einigen Wochen wird sie von einer neu geschaffenen Stiftung organisiert, unter der Leitung eines Vertrauten Trumps, und regelmäßig werden Menschen auf dem Weg zur Essensausgabe erschossen. Auch bei dem Zeitplan für die Freilassung von Geiseln hat die Hamas wohl Einwände.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu veröffentlichte am späten Samstagabend, nach einer Besprechung mit seinem Kabinett, eine Erklärung, in der er die Forderungen der Hamas „inakzeptabel“ nannte. „Angesichts einer Bewertung der Situation“ werde er an diesem Sonntag aber dennoch ein Verhandlungsteam zu den Gesprächen nach Katar schicken. Zu dieser „Bewertung“ dürfte beitragen, dass US-Präsident Trump öffentlich ein Abkommen für Gaza in Aussicht gestellt hat. Schon im Januar war Trump an einem Geisel-Deal beteiligt gewesen, doch im März brach Israel die vereinbarte Waffenruhe und kämpft seitdem mit unverminderter Härte.

Dass Netanjahu zum Krieg zurückkehrte, wird in Israel primär seinen rechtsextremen Koalitionspartnern zugerechnet. Sein Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, war damals aus Protest gegen ein Abkommen aus der Regierung ausgetreten. Finanzminister Bezalel Smotrich drohte damit, sie endgültig platzen zu lassen. Sobald die israelische Armee ihre Luftschläge wieder aufnahm, kam Ben-Gvir wieder an den Kabinettstisch. Und auch jetzt, knapp vier Monate später, drängen die beiden Politiker auf eine Fortsetzung des Krieges. Israelische Medien berichteten darüber, dass Ben-Gvir Netanjahu aufgefordert habe, sein „Kapitulationskonzept“ fallen zu lassen und auf Sieg zu setzen. In der vergangenen Woche sei auch der Armeechef Eyal Zamir mehrfach mit den beiden Politikern aneinander geraten.

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Zamir habe demnach gesagt, dass 75 Prozent des Gazastreifens bereits unter israelischer Kontrolle seien und dass die Hamas bereits geschlagen sei. So wurde er mit den Worten zitiert: „Die Hamas ist eine tote Organisation. Wir haben im Krieg gegen Iran gesehen, dass sie nichts getan haben. Sie feuerten eine einzelne Rakete ab. Die Geiseln sind im Moment das Wichtigste.“ Ben-Gvir drängte demzufolge dennoch auf eine Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung aus Gaza.

Sollte Netanjahu trotz des Widerstands der national-religiösen Siedler in seinem Kabinett einem Abkommen zustimmen, drohen ihm also Koalitionsbruch und Neuwahlen. Zwar steht Netanjahu politisch deutlich stärker da als im Januar. Der Irankrieg und sein persönlicher Erfolg, die USA zu einem Einsatz ihrer bunkerbrechenden Bomben gegen iranische Atomanlagen zu bewegen, können ihm jetzt sowohl bei der Verhandlung mit seinen radikalen Koalitionspartnern als auch bei einem möglichen Wahlkampf nützen.

Und doch steht er jetzt wohl vor einer Richtungsentscheidung: Folgt er dem Plan Trumps, würde ihm das Optionen eröffnen, die Beziehungen zu Saudi-Arabien zu normalisieren. Gestärkt durch den militärischen Erfolg in Iran könnte Netanjahu versuchen, eine Koalition ohne die rechtsextremen Kräfte zu bilden. Ob es wirklich dazu kommt, ist offen: Bislang hatte er vielmehr versucht, demokratische Säulen wie das Justizsystem und staatliche Kontrollinstanzen zu bekämpfen.

Israelische Beobachter jedenfalls wollen schon erkennen, dass sich Netanjahu im Wahlkampfmodus befindet, unter anderem an seinem Besuch im Kibbuz Nir Oz in der Nähe des Gazastreifens. Vergangene Woche fuhr er gemeinsam mit seiner Frau zum ersten Mal seit dem Massaker im Oktober 2023 zu diesem Ort, an dem Terroristen 30 Menschen getötet hatten und mehr als 75 verschleppt. Er stellte sich bei dem Besuch auch der Mutter eines jungen Mannes, der noch immer in Gaza ist – und die in Israel zur radikaleren Protestbewegung gehört.

Aber eine Wahl wäre ein Risiko, und Netanjahu hat viel zu verlieren. Nicht umsonst rief Trump in den sozialen Medien jüngst dazu auf, den laufenden Korruptionsprozess gegen den israelischen Ministerpräsidenten zu beenden. Zu einer solchen Einmischung in die israelische Justiz hat Trump zwar kein Recht – und doch beschreibt er damit wohl ein entscheidendes Problem: Drohte Netanjahu keine Verurteilung, fiele es ihm wohl leichter, zu gehen.

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