Wunder und Katastrophe sind sich am Guadalupe River in Texas besonders nahe in diesen Tagen. In amerikanischen Medien macht ein Video aus Center Point die Runde. Eine Frau hält sich an einem Baum fest, unter ihr die reißenden Fluten des braunen Flusses. Anwohner rufen Hilfe herbei, Polizisten gelingt die Rettung. Mehr als 20 Kilometer weit hatte der Guadalupe River die Camperin mitgerissen, über drei Staudämme hinweg. Sechs Stunden lang trieb sie an Trümmern vorbei, Bäumen, Kühlschränken, Wohnmobilen.
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Die 22-Jährige war von den Fluten überrascht worden, als der Pegel im Hügelgebiet nordwestlich von San Antonio am frühen Freitagmorgen innerhalb von nur 45 Minuten um rund 8 Meter anstieg. Wie der geretteten Frau erging es am Wochenende in den Flutgebieten in Texas mehr als 800 Personen. Sie kamen mit dem Leben davon und wurden von Einsatzkräften in Sicherheit gebracht.
Die Katastrophe aber wiegt schwerer am Ende eines langen Wochenendes, zu dessen Beginn die meisten Amerikaner ihren Unabhängigkeitstag gefeiert hatten. Die junge Camperin war die einzige von sechs Angehörigen einer Familie, die bis Sonntagabend gerettet werden konnte. Die anderen fünf galten als vermisst. So wie insgesamt 41 Personen in den von starken Regen heimgesuchten Gegenden von Texas. Die Hoffnung schwindet, sie lebend wiederzufinden. Am Sonntag suchten weitere Regenfälle die Region heim, die Wetterdienste erließen neuerliche Flutwarnungen.
Als die Pegelstände des Guadalupe River am Wochenende zwischenzeitlich sanken, stieg die Zahl der Todesopfer. Am Sonntagabend meldeten die Behörden, 80 Leichen geborgen zu haben. 28 davon waren Kinder, alle in Kerr County, dem Bezirk, den es am Freitag am schlimmsten getroffen hatte. Der Guadalupe River spendet dort normalerweise Kühle und Schatten in der Hitze der texanischen Sommer. Die Gegend ist beliebt für Sommerlager in den Schulferien, die vor Kurzem begonnen haben.
Eines dieser Lager, Camp Mystic, wurde für Dutzende Mädchen und mehrere Erwachsene zur tödlichen Falle. Nach 10 Mädchen und einem Betreuer suchten Retter am Sonntag noch immer, Familien hofften verzweifelt auf ein Wunder. Prominente sprachen ihnen Mut zu, darunter die frühere First Lady Laura Bush. Sie hatte einst in dem christlichen Camp gearbeitet, hinter dem eine eingeschworene Gemeinschaft steht. Auch Kinder aus der Familie des einstigen Präsidenten Lyndon B. Johnson hatten ihre Sommer hier verbracht.
Inmitten dieser Tragödie begann am Wochenende die Suche nach Schuldigen. Die texanischen Behörden hatten schon am Freitag anklagend auf den Nationalen Wetterdienst gezeigt. Dieser hatte am Donnerstag Regenfälle vorhergesagt, aber weitaus geringere, als dann über das Hügelgebiet nordwestlich von San Antonio niedergingen, wo Kerr County liegt.
Bald reichte die Kritik weiter bis nach Washington. Die Gewerkschaft des Wetterdienstes legte Daten vor, wonach in den zwei zuständigen Meteorologen-Büros 10 von 49 Stellen nicht besetzt waren. Ein Angestellter, der Unwetterwarnungen koordinierte, hatte im April seine Frühpensionierung angekündigt – er hatte sich freiwillig gemeldet, nachdem Präsident Donald Trump die Budgets zusammengestrichen hatte und Bundesangestellte aufrief, aus dem Dienst zu scheiden.
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In einem sarkastischen Beitrag kritisierte der Kongressabgeordnete Jack Kimble, ein Republikaner aus Kalifornien, bei den Wetterwarndiensten dürfe nicht gespart werden. Unter Trump hatte der Wetterdienst 600 von rund 4000 Angestellten verloren. Im Juni teilte er mit, er wolle 100 Personen neu anstellen, um seine Dienstleistungen zu stabilisieren.
Das Weiße Haus bezeichnete Kritik daran am Wochenende als „widerlich“. Das hinderte die Ministerin für Innere Sicherheit, Kristi Noem, keineswegs daran, die Schuld teilweise auf Trumps Vorgänger Joe Biden abzuschieben, als sie am Samstag in Texas vor die Medien trat. Trump „arbeitet daran, die Technologien zu erneuern, die vernachlässigt wurden“, sagte sie über den Wetterdienst. Trump selbst beschrieb den Dienst als „Biden-Einrichtung“, fügte aber an, er würde Biden keine Schuld geben. „Ich würde sagen, das ist eine 100-Jahre-Katastrophe“, sagte Trump. Er stellte am Sonntag Katastrophenhilfe des Bundes zur Verfügung und kündigte an, er werde das überflutete Gebiet in der kommenden Woche besuchen.
Auch Meteorologen des Nationalen Wetterdiensts wehrten sich gegen Kritik. „Wir hatten genug Personal. Wir hatten ausreichende Technologie“, sagte ein Vertreter zu Texas Public Radio. „Unsere Arbeit war so gut, wie sie sein konnte.“ In der Tat hatte der Wetterdienst schon am Donnerstag eine Flutwarnung ausgegeben, allerdings eine jener Sorte, die von vielen Amerikanern ignoriert wird, weil sie so häufig ist.
Dringlichere Meldungen begann der lokale Ableger der Wetterbehörde des Bundes um 1 Uhr am Freitagmorgen abzusetzen, rund zwei bis drei Stunden, bevor die Wassermassen ihre tödlichen Höchstwerte erreichten. Nur ist nicht klar, ob die Meldungen die Menschen in der Gefahrenzone überhaupt erreichten, weil sie schliefen. Katastrophenwarnungen versenden die amerikanischen Behörden via Radio und Fernsehen sowie per Alarmmitteilung an alle Mobiltelefone, die sich in der betroffenen Region befinden. Doch die Mobilfunknetzwerke in ländlichen Gebieten wie Kerr County verdienen oft den Namen nicht, weil sie schwach und voller Lücken sind.
Über Evakuierungen entscheiden im komplexen amerikanischen Föderalismus ohnehin in der Regel lokale Behördenvertreter. Diese erkannten offenbar in der Nacht auf Freitag die Dramatik der Lage nicht. Wie hoch der Fluss stieg, konnten die Behörden am Wochenende noch gar nicht so genau beziffern, weil die Messgeräte vom Wasser mitgerissen wurden. Sie gehen aber von Rekordwerten aus, höher noch als 1987, als der Fluss schon einmal unter ähnlichen Umständen rasch angeschwollen war. Damals kamen 10 Teenager ums Leben.
Der Guadalupe River gilt wegen seines Potenzials für plötzliche Überflutungen als einer der gefährlichsten Flüsse der Vereinigten Staaten, sein Einzugsgebiet ist als „Flutallee“ bekannt. Trotzdem wurde in Kerr County kein Alarmsystem installiert, trotz mehrfacher Diskussionen über Jahrzehnte hinweg. Die Steuerzahler hätten die Kosten gescheut, sagte Bezirksrichter John Kelly, der auch die Verwaltung des Bezirks leitet. Das Parlament von Texas werde sich nun in einer Sondersitzung mit dem Thema befassen, versprach am Sonntag Gouverneur Greg Abbott, ein Republikaner ganz auf Trump-Kurs.
Nur zu gern würden sich die Texaner angesichts dieser Vorgeschichte nun an Wundern festhalten. Zwei Mädchen seien lebend von einem Baum gerettet worden, berichteten Lokalmedien am Sonntag unter Berufung auf Einsatzkräfte. Die Meldung der spektakulären Rettung verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Aber sie erwies sich als erfunden. „Wie alle wollten wir, dass diese Geschichte wahr ist“, schrieb Louis Amestoy, Verleger der Zeitung The Kerr County Lead, als er die Geschichte zurückzog und eine Warnung der Behörden anfügte, sich vor unbestätigten Informationen zu hüten, die Aufarbeitung und Rettungseinsätze erschwerten.