Indien und Kanada: „Ein großer diplomatischer Fehler“

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„Modi nicht zu G-7-Gipfel in Kanada eingeladen“ titelte die pakistanische Tageszeitung Dawn in dieser Woche. Man darf ruhig Gehässigkeit hineindeuten in diese Zeilen. Gerade erst wurde die kriegerische Totaleskalation zwischen den verfeindeten Bruderstaaten Indien und Pakistan abgewendet. Beide verkaufen sich als Sieger.

Die Times of India drückte es zurückhaltender aus: Eine Teilnahme Modis am G-7-Gipfel sei unwahrscheinlich, erstmals seit sechs Jahren. Er habe noch keine offizielle Einladung für den Gipfel erhalten, sei aber auch nicht geneigt, daran teilzunehmen. Erst müssten sich die Beziehungen verbessern. Es werden außerdem Sicherheitsbedenken angeführt, die ausgeräumt werden müssten, sollte Modi in Zukunft nach Kanada reisen. Es klingt ein wenig, als sage jemand, er habe keine Lust auf eine Party, auf die er nicht eingeladen ist.

Streit über Indiens Umgang mit Sikh-Separatisten

Das Treffen der G-7-Vertreter findet dieses Jahr vom 15. bis 17. Juni in Kananaskis statt, einer Bergregion in Alberta, die einfacher zu sichern ist als vergangene Treffen. Da Indien kein Mitglied der G7 ist, war Modis Teilnahme in der Vergangenheit stets auf Einladung erfolgt. Seine Anwesenheit belegte Indiens Status als aufstrebende Macht, die fünftgrößte Volkswirtschaft mittlerweile – auch wenn das Pro-Kopf-Einkommen auf die Bevölkerung umgerechnet weiter deutlich unter dem der G-7-Vollmitglieder Deutschland, Frankreich, Italien, Japan, Kanada, den USA und Großbritannien liegt.

Nun aber hat Kanada turnusmäßig den Vorsitz übernommen, und die Beziehungen zwischen Ottawa und Delhi haben sich in den vergangenen Jahren massiv verschlechtert, um es zurückhaltend zu formulieren. Im vergangenen Jahr war der Sikh-Separatist Hardeep Singh Nijjar vor einem Kulturzentrum in Surrey, British Columbia, erschossen worden. Sikhs sind eine Minderheit in Indien, einige von ihnen wollen ein unabhängiges Khalistan abspalten. Die kanadische Regierung, damals noch vertreten durch Justin Trudeau, wollte Narendra Modi auf dem G-20-Treffen in Delhi im September 2023 auf den Verdacht ansprechen, der indische Geheimdienst sei für den Mord verantwortlich. Modi ließ seinen Kollegen abblitzen.

Daraufhin informierte Trudeau das kanadische Parlament öffentlich über den Vorgang, es folgte eine Eskalation diplomatischer Maßnahmen. Vertreter beider Länder wurden aus dem jeweils anderen Land einbestellt und ausgewiesen und Trudeau in den indischen Medien, die nach mehr als zehn Jahren Modi-Regierung weitgehend auf Linie gebracht sind, mit Häme überschüttet. Ottawa beschuldigt die indische Regierung mittlerweile offen, eine regelrechte Kampagne gegen die Sikh-Separatisten in Kanada zu führen. Das dürfte der Hintergrund sein, wieso Narendra Modi dieses Jahr wohl nicht eingeladen wurde.

Für Modi ist es ungünstig, wenn seine Glaubwürdigkeit wieder zum Thema wird

Für Modi ist nicht nur der Vorgang, sondern der Zeitpunkt ungünstig. Die Opposition in Delhi kritisiert Modis Regierungsstil scharf. Jairam Ramesh, Sprecher der Kongress-Partei, schrieb auf X, dass die Nichteinladung Indiens „ein weiterer großer diplomatischer Fehler“ sei, nachdem man schon erlaubt habe, dass die USA zwischen Indien und Pakistan vermitteln. Delhi dementiert, dass US-Außenminister Rubio oder gar Donald Trump den Waffenstillstand erwirkt haben. Narendra Modi sprach außerdem nur von einer Pause der Kampfhandlungen mit Pakistan.

Dass der Vorwurf des staatlich beauftragten Mordes aus Kanada nun wieder hochkocht, schwächt Modis Argumentationslinie, die den Angriff auf Ziele in Pakistan mit dem Terroranschlag in Pahalgam begründete, bei dem im April 26 hinduistische Touristen erschossen wurden.

Die indische Regierung behauptet, mindestens zwei der Täter seien Pakistaner, und wertet es als Akt des Staatsterrorismus. Islamabad dementiert. Und obwohl es keinen Zweifel gibt, dass Terrorismus in Pakistan ein riesiges Problem ist, was die indische Perspektive glaubhaft erscheinen lässt, ist es für Delhi und den hindunationalistischen Hardliner Modi ungünstig, wenn seine Glaubwürdigkeit wieder zum Thema wird.

Nicht das Bild, das Indien von sich als neuer Weltmacht abgeben möchte

Beide Regierungen haben Delegationen nach Washington entsandt, um ihre Sicht der Dinge darzulegen. Den Pakistanern geht es vor allem darum, den ausgesetzten „Indus Waters Treaty“ wieder in Kraft zu setzen, der es Indien verbietet, den Zufluss aus dem Himalaja zu den drei wichtigen Strömen Pakistans dauerhaft zu unterbrechen. Indien wiederum will das Thema Terrorismus besprechen und Pakistan klar als Täter definieren.

Die indische Delegation wird von Shashi Tharoor angeführt, einem Schriftsteller und Politiker, der schon Stellvertreter von Kofi Annan bei den Vereinten Nationen war – und bis heute eine wichtige Figur in der Kongress-Partei ist. Dass die Delegation von einem Mitglied der Opposition geleitet wird, ist ein Signal der Einigkeit der indischen Politiker in dieser Sache.

Was bleibt, ist, dass die vergangenen Wochen für Modi und die BJP-Regierung einen Rückschlag darstellen. Bei den Angriffen auf Pakistan wurden indische Kampfjets abgeschossen, was Delhi zunächst dementierte, und dann doch einräumte. Wenn eine Intervention durch die USA nötig war, bedeutet das, dass Indien nicht in der Lage war, einen Krieg abzuwenden. Und sollte Modi darüber hinaus nicht zum G-7-Treffen eingeladen sein, während die Staatsoberhäupter Brasiliens, Mexikos, Südafrikas, Australiens und der Ukraine anreisen, wäre das nicht das Bild, das Modi von sich und Indien als neuer Weltmacht abgeben möchte.

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