So lang wie die beiden Männer in ihrem silbernen Lieferwagen mit dem italienischen Kennzeichen müssen sonst nicht viele warten an der deutschen Grenze zu Österreich an der Inntalautobahn bei Kiefersfelden. Das Überprüfen der Papiere dauere in dem Fall, sagt ein Sprecher der Bundespolizei. Mit den vielen Menschen, die neben dem Auto in dem hohen grauen Zelt stehen und ihrerseits die Grenzkontrollen in Augenschein nehmen, hat das demnach aber nichts zu tun. Unter anderem der neue Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) in einer ebenfalls neuen Polizei-Jacke sowie Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder haben da öffentlichkeitswirksam Posten bezogen, um Deutschlands neue Härte an der Grenze zu demonstrieren.
Die zeige bereits Wirkung, betont Dobrindt. In den sieben Tagen seit seiner schnellen Anordnung, die Grenzen engmaschiger zu kontrollieren und auch Asylsuchende direkt in die Nachbarländer zurückzuweisen, hat es demnach um 45 Prozent mehr Zurückweisungen gegeben als in der Woche davor. Die absoluten Zahlen waren jedoch gering. In ganz Deutschland hat die Bundespolizei seit Dobrindts Weisung demnach 739 Versuche der illegalen Einreise unterbunden, die Woche davor waren es 511. Damals hätten noch 44 Menschen ein Asylgesuch formuliert und seien zunächst alle im Land geblieben. In der vergangenen Woche hingegen habe man von 51 Asylsuchenden 32 zurückgewiesen. Die anderen hätte zu jenen „vulnerablen Gruppen“ wie Schwangeren oder Schwerkranken gehört, die nicht sofort zurückgewiesen würden.
Man wolle die „Logik der Schleuser und der kriminellen Banden brechen“, sagt Dobrindt
Hier am schon 2015 eingerichteten festen Kontrollposten an der Inntalautobahn bedeutet eine Zurückweisung, dass die jeweiligen Menschen nicht mehr in die Bundespolizeiinspektion im gut 30 Kilometer entfernten Rosenheim gebracht werden müssen. Stattdessen setzen die Bundespolizisten sie in Kiefersfelden in den nächsten Zug hinüber nach Kufstein. Den österreichischen Kollegen melden sie jeden dieser Passagiere vorher an. Aber die Österreicher wollen von solchen Zurückweisungen wenig wissen. Bei Weitem nicht in jedem Fall stehen sie dann auch am Kufsteiner Bahnhof, um die Migranten zurückzunehmen.
„Wir sperren Deutschland nicht ab und wir schließen auch nicht die Grenzen“, sagt Dobrindt. Aber man wolle „die Logik der Schleuser und der kriminellen Banden brechen“, die Migranten für 5000 oder 10 000 oder 20 000 Euro versprächen, sie ins deutsche Sozialsystem zu bringen. Umfragen in Deutschland hätten „ein Höchstmaß an Zustimmung für die Maßnahmen“ ergeben. „Es braucht keine extreme Haltung, die Demokraten sind in der Lage, die Probleme zu lösen“, zeigte sich Söder zuversichtlich.
Umsetzen soll diese Maßnahmen vor allem die Bundespolizei. Die habe statt zuvor 11 000 nun 14 000 Beamte dauernd an den Grenzen im Einsatz. Zuletzt habe man etwa an der Grenze zu Tschechien Hubschrauber eingesetzt, um die Beamten schnell und für die Schleuser unerwartet von einem kleinen Übergang zu einem anderen zu bringen, erklärte der Innenminister. Nach Angaben aus der Bundespolizei wurden insgesamt etwa 50 zusätzliche Kontrollstellen an der 3800 Kilometer langen Grenze zu den neun Nachbarn eingerichtet.
Schon zuvor war die Zahl von Asylgesuchen an den Grenzen sehr gering. An der deutsch-österreichischen Landgrenze etwa suchten im März nur 32 Einreisende um Asyl an, nachdem die Bundespolizei sie ohne Pass oder gültiges Visum aufgegriffen hatte, also gerade einmal eine Person am Tag. An der Grenze zur Schweiz waren es 84, zu Polen 41 und zu Frankreich 40. Für alle deutschen Landgrenzen zusammen listet die polizeiliche Eingangsstatistik insgesamt 283 solcher Fälle auf, also etwa neun am Tag – unter den knapp 4600 im März erfassten unerlaubten Einreisen. Zum Vergleich: Im März des Vorjahres wurden an den Landgrenzen noch fast fünfmal so viele Asylgesuche gestellt.
Noch ist unklar, ob die neue Regelung vor dem Europäischen Gerichtshof Bestand haben wird
Dieser starke Rückgang wirft einerseits die Frage auf, ob sich der Aufwand für die Kontrollen lohnt. Und andererseits, ob Dobrindts Weisung, dass auch Asylsuchende an den Grenzen zurückgewiesen werden können, rechtlich Bestand haben kann. Nach EU-Recht müsste Deutschland die Asylgesuche zuvor prüfen – eine Regel, die Dobrindt unter Verweis auf Artikel 72 im Vertrag über die Arbeitsweise der EU umgehen will. Ob diese Ausnahmebestimmung hier wirklich greift, hat der Europäische Gerichtshof noch nicht entschieden. Nach seiner bisherigen Rechtsprechung müsste die Bundesregierung aber nachweisen, ob eine solche Abweichung vom EU-Recht wirklich nötig ist – angesichts der geringen Zahlen könnte das vor Gericht schwierig werden.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) kritisiert die Arbeitsbedingungen für die Beamtinnen und Beamten. In den vergangenen Jahren seien Kontrollstellen abgebaut worden. „Oft wird nur in Provisorien gearbeitet“, sagt Sven Hüber, Erster Polizeihauptkommissar bei der Bundespolizei und stellvertretender Chef der GdP. Zudem müssten die Polizisten Zwölf-Stunden-Schichten leisten – also viele Überstunden. Es sei fraglich, wie lange dies durchzuhalten sei. Gewerkschaftschef Andreas Roßkopf forderte zudem, dass der Innenminister bei juristischen Unsicherheiten die rechtliche Verantwortung übernehmen müsse.
Im Bundestag stößt die Grenzpolitik der schwarz-roten Koalition auf harte Kritik. Merz und Dobrindt stießen die Nachbarländer vor den Kopf, warnt die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Irene Mihalic. Dabei komme es so sehr wie nie auf europäische Geschlossenheit an. Aber auch für die Polizei entstehe eine schwierige Lage. „Bundespolizistinnen und Bundespolizisten können den Weisungen des BMI rechtlich nicht vertrauen.“ Beamtinnen und Beamte würden etwa „damit alleingelassen“, zu entscheiden, wer zu den vulnerablen Gruppen gehöre, die vom Einreisestopp ausgenommen sind – kranke Personen und schwangere Frauen etwa. Die Grenzpolitik sei der nächste Akt im „Chaosstadl“ der Regierung.