Die diesjährige Freiburger Kadertiefe sorgt für namhafte Härtefälle. Die SC-Sportchefs sehen darin trotz aller Unzufriedenheit einen Grund für das bisher erfolgreiche Saisonfinale, das sich auch im Königsklassen-Kracher gegen Frankfurt fortsetzen soll.

Zwei, die aktuell wenig spielen: U-21-Nationalspieler Merlin Röhl und SC-Kapitän Christian Günter (r.) IMAGO/Steinsiek.ch
SC-Rekordtorjäger Nils Petersen sieht sich "schon als Freiburg-Fan mit Schal im Bernabeu sitzen". Das erklärte der frühere Angreifer vorige Woche in seiner kicker-Kolumne. Ein Grund, warum er seinen Ex-Kollegen erstmals in der Vereinshistorie den ganz großen Wurf zutraut: "Wenn man sich die Bank anschaut, hat dieser Kader in der Breite an brutaler Qualität gewonnen."
Das Gedränge im 27-Mann-Aufgebot führt schon seit längerer Zeit zu namhaftem Personal, das den Anpfiff jeweils nur von einem Bankplatz aus erlebt. Allen voran: Kapitän Christian Günter. Das Freiburger Urgestein, das vor einigen Jahren noch bundesligaweite Dauerbrenner-Bestmarken aufstellte, stand in den vergangenen sechs Partien nur einmal in der Startelf und kam zuletzt beim 2:1 in Kiel als Joker.
Makengo verdrängte jüngst den Kapitän
Ansonsten schmorte Günter viermal über die komplette Distanz auf seinem Beobachterposten neben der Seitenlinie. Der Franzose Jordy Makengo hat derzeit hinten links die Nase vorn und dürfte bei vollständiger Fitness auch am Samstag im Königsklassen-Finale gegen Frankfurt beginnen.
Neben Günter saßen zuletzt auch U-21-Nationalspieler und Mittelfeldjuwel Merlin Röhl, Stoßstürmer Michael Gregoritsch, der in den beiden vergangenen Saisons jeweils zweitstellig getroffen hatte und sogar beide etatmäßigen Rechtsverteidiger. Statt Lukas Kübler oder Kiliann Sildillia startete zuletzt Innenverteidiger-Eigengewächs und U-21-Nationalspieler Max Rosenfelder rechts in der Viererkette. Zudem sind Spieler wie der über viele Jahre als Sechser gesetzte Nicolas Höfler oder Acht-Millionen-Euro-Winterzugang Niklas Beste nur Ergänzungskräfte.
Das hatten wir vorige Saison nicht, da konnte wir vor allem hinten raus kaum noch personell variieren."
SC-Sportdirektor Klemens Hartenbach
Bei aller Unzufriedenheit, die bei den genannten Profis naturgemäß vorherrscht, begrüßt Klemens Hartenbach die aktuellen Härtefälle, über die sich auch Trainer Julian Schuster im April schon gefreut hatte, ausdrücklich. "Das ist ein Grund für die erfolgreiche Lage", erklärt der Freiburger Sportdirektor im Gespräch mit dem kicker: "Das Trainerteam hat viele Alternativen und kann auch aufgrund von Trainingsleistungen Veränderungen vornehmen. Das hatten wir vorige Saison nicht, da konnten wir vor allem hinten raus kaum noch personell variieren."
Auch deshalb verspielte der SC die dritte Europacup-Teilnahme in Serie und rutschte in den letzten Saisonminuten noch auf Platz zehn ab. Was inzwischen, so komisch es auf den ersten Blick klingen mag, die derzeitige Lage aber wohl auch begünstigt hat. Ohne Europapokal fiel die Belastung geringer aus, es gab mehr Erholungspausen. Auch deshalb kann Schuster nahezu aus dem Vollen schöpfen. Neben den langzeitverletzten Daniel-Kofi Kyereh (Aufbau nach Kreuzbandriss) und Bruno Ogbus (Aufbau nach Achillessehnenriss) fehlt derzeit nur Eren Dinkci (muskuläre Probleme).
Günni gibt Vollgas auf dem Trainingsplatz, ist natürlich unzufrieden, wenn er nicht spielt, aber er torpediert dann nicht das gemeinsame System."
Sportvorstand Jochen Saier über Kapitän Günter
Die 21 verbliebenen Feldspieler sorgen für ein hohes Niveau im Konkurrenzkampf. "Es gibt Druck auf dem Trainingsplatz und Druck in der Kabine, das ist nicht ohne", sagt Sportvorstand Jochen Saier im kicker-Gespräch: " Dadurch sind aber alle an der Kante und der Julian und sein Trainerstab haben die Qual der Wahl."
Wie man damit umgeht, wenn man das Rennen um die elf Startplätze und womöglich auch die fünf Jokermandate nicht gewinnt? Auch in diesem Bereich geht Kapitän Günter voran. "Günni gibt Vollgas auf dem Trainingsplatz, ist natürlich unzufrieden, wenn er nicht spielt, aber er torpediert dann nicht das gemeinsame System. Das ist die ideale Konstellation, da ist Günni ein absolutes Vorbild", lobt Saier den Spielführer, dem dafür auch schon Trainer und Ex-Mitspieler Schuster Komplimente gemacht und gleichzeitig eingeräumt hatte, dass solche Entscheidungen nicht spurlos an ihm vorbeigingen.
Jetzt soll dieser Zusammenhalt trotz unterschiedlicher Rollen, Spielanteile und persönlicher Stimmungslagen nach zuletzt 13 Punkten aus fünf Partien noch einmal zum Erfolg führen. Am Samstag gegen die Eintracht. Ein Champions-League-Ticket für die ganze Mannschaft wäre schließlich auch für die Unzufriedenen sicher ein annehmbarer Trostpreis.
Carsten Schröter-Lorenz