Bevor sich Felix Banaszak seinem neuen Wahlkreis widmen kann, hat er eine Telefonschalte mit dem Bundesvorstand der Grünen. Mit dem Handy vor dem Gesicht und Kopfhörern in den Ohren läuft der Partei-Chef durch die hübsch sanierten Gassen von Brandenburg an der Havel. Es gibt viel zu besprechen, etwa die jüngsten Enteignungsforderungen des Sprechers der Grünen Jugend. Banaszak muss die Probleme im Bund lösen, erst danach ist Brandenburg dran.
Doch künftig will der 35-Jährige mehr Energie in das Bundesland stecken, in dem seine Partei im Herbst mit gerade einmal 4,1 Prozent aus dem Landtag geflogen ist. Ein Absturz, der die Partei strukturell nachhaltig erschüttert hat. Mehr als 50 Mitarbeiter mussten entlassen werden, zehn Abgeordnete gingen verloren. In dieser Lage will der Grünen-Chef seinen Parteifreunden helfen und ein Wahlkreisbüro eröffnen – 479 Kilometer entfernt von seinem Duisburger Wahlkreis.
Es ist ziemlich sicher das erste Mal, dass ein Bundestagsabgeordneter aus Nordrhein-Westfalen ein Büro in Brandenburg eröffnet. Banaszak hat seinen Plan vorab extra von der Bundestagsverwaltung absegnen lassen.
„Das ist der Beginn eines kleinen Abenteuers“, sagt er am Montagmittag in einem kleinen Bürozimmer der Altstadt von Brandenburg vor einer Handvoll lokaler Mitglieder. Etwa 110 Grüne verzeichnet der Kreisverband in der mit 75.000 Einwohnern drittgrößten Stadt Brandenburgs. Deren Arbeit soll in Zukunft präsenter werden, Banaszak will dabei mithelfen.
Banaszak sieht Parallelen zwischen dem Ruhrpott und dem Osten
Der Duisburger sieht Parallelen zwischen seiner Heimat und der Havelstadt. Die Einkommen eher niedrig, die AfD stark, dazu kriselnde Stahlfabriken, zwei Städte mit Transformationsschmerzen. Trotzdem habe er lange gezögert, seine Idee des Zweitbüros umzusetzen.
Bei seiner Vorstellung im Kreisverband legt Banaszak Wert darauf, dass sein Engagement nicht als Aufbauhilfe Ost 2.0 verstanden wird. Im Bundesvorstand ist er – neben Vize-Parteichef Heiko Knopf – für die Ostpolitik mitverantwortlich, zuletzt habe er mehrere Bücher über den Osten gelesen: Jessy Wellmer, Ilko-Sascha Kowalczuk, Steffen Mau. Banaszak hat sich vorbereitet.
Ich bin Wessi durch und durch.
Grünen-Chef Felix Banaszak bei seiner Vorstellung in Brandenburg
Der Parteivorsitzende schlägt an diesem Nachmittag demütige Töne an. „Ich bin Wessi durch und durch“, sagt Banaszak. Er hoffe aber, dass er durch das Büro mehr von den Lebensrealitäten aus Brandenburg für seine Arbeit mitnehme. Vom Osten lernen, aber auf Augenhöhe – so versteht der Grünen-Chef seinen Stil.
Dahinter steckt ein größerer Plan. Die verpatzten Ostwahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg haben seine beiden Vorgänger weggespült. Fallen die Grünen im kommenden Jahr auch in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt aus dem Landtag, könnte es auch Banaszak und seine Co-Chefin Franziska Brantner eng werden.
Denn verlieren die Grünen auch hier, wären sie keine gesamtdeutsche Partei mehr. Die Erzählung der neuen Volkspartei müsste man endgültig begraben, von einem Kanzlerkandidaten ganz zu schweigen. „Es ist mehr zu verlieren als zu gewinnen im nächsten Jahr“, sagt auch Banaszak. Er weiß: besonders bei den Ostwahlen wird es entscheidend sein, wie stark die Grünen im Bundestrend sind.
Die Partei, die westdeutsch dominiert ist, muss stärker lernen, gesamtdeutsch zu denken.
Grünen-Chef Felix Banaszak will seine Partei verändern.
In der Parteizentrale ist der Osten deshalb in den Fokus gerückt worden: Die klammen Ost-Landesverbände werden finanziell unterstützt, zudem will die Partei ihren Sound für die ostdeutsche Wählerschaft verändern. Mehr Alltagsnähe, mehr Augenhöhe, mehr Empathie. „Das ist im ganzen Land richtig, aber in Ostdeutschland entscheidend“, sagt Banaszak.
Ein erster strategischer Aufschlag soll an diesem Dienstag veröffentlicht werden, zudem bekommt die Partei einen Ostbeirat mit externen Ostdeutschen. Im Herbst soll es eine erste Ostkonferenz geben. „Die Partei, die westdeutsch dominiert ist, muss stärker lernen, gesamtdeutsch zu denken“, sagt Banaszak. In Brandenburg will er selbst das lernen.
Doch wie kommt der Westdeutsche Banaszak in Brandenburg an? „Felix ist beliebt bei uns“, sagt der Landesvorsitzende Clemens Rostock. Er glaubt, das liegt auch mit Banaszaks Ruhrpott-Biografie zusammen. „Das ist ja ein bisschen der Osten im Westen“, sagt Rostock.
© Felix Hackenbruch
Auch der Kreisvorsitzende Ronny Patz ist begeistert. Er hofft auf einen prominenten Lobbyisten für den Wahlkreis, etwa für die Sanierung der maroden Havelbrücken.
Patz sieht aber auch die Chance, dass sich durch Banaszaks Besuche in Brandenburg der Kurs der Grünen verändern könnte. „Was den Leuten im Alltag unter den Nägeln brennt, müssen wir als Partei noch besser draufhaben“, sagt der 42-Jährige. In Pendlerstädten wie Brandenburg dürfe man keinen Kulturkampf gegen das Auto führen, direkt an der Havel macht sich die Partei dafür stark, einen Park mit mehreren Hundert Wohnungen zu bebauen.
Doch wie häufig Banaszak tatsächlich in Brandenburg vorbeischauen wird, lässt er bei seiner Vorstellungstour offen. Bis die Grünen wieder im Potsdamer Landtag sitzen, will er aber unterstützen. Zunächst soll sein Beitrag eine Stelle für 15 bis 20 Stunden sein, damit das Grünen-Büro in der Havelstadt häufiger geöffnet hat.
Und auch sein Format „Bier mit Banaszak“, bei dem er Bürgerinnen und Bürger in eine Kneipe einlädt, will er aus Duisburg nach Brandenburg importieren. Dafür müsse aber noch eine Location gefunden werden, sagt Banaszak: „Es muss eine Kneipe sein, aus der man als Grüner nicht hinausgeprügelt wird.“