Grundsteuer: 6544 Prozent Aufschlag

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Wenn Horst Ziegler auf seine Streuobstwiese blickt, schwankt er zwischen Freude und Verdruss. Klar, da sind die 20 Bäume, Äpfel, Birnen, Kirschen, Zwetschgen, alles dabei. Ein grünes Idyll, zwischen seinem Wohnhaus in Esslingen-Kimmichsweiler und einem Landschaftsschutzgebiet gelegen.

Da ist aber auch das seit Januar geltende baden-württembergische Grundsteuermodell, der Anlass für seinen Verdruss. Als der 83 Jahre alte Rentner den Grundsteuerbescheid für seine Streuobstwiese öffnete, dachte er: Das kann nicht wahr sein! Statt wie bisher 78 Euro soll er dieses Jahr 5183 Euro bezahlen, ein irrwitziger Aufschlag von 6544 Prozent. Die selbst bewirtschaftete Grünfläche wird nun bewertet wie das Grundstück, auf dem sein Haus steht. „Dabei ist das nicht mal Bauerwartungsland und macht mir nur Arbeit.“

Im Südwesten gibt es 1,4 Millionen Einsprüche gegen die bisher verschickten Grundsteuerbescheide. In den allermeisten Fällen wird angezweifelt, dass das Landesgrundsteuergesetz verfassungsgemäß ist. Bei 125 000 Einsprüchen geht es um den Verdacht auf falsch berechnete Grundstücksgrößen oder andere Bemessungsfehler.

In Summe ist das für die Landesregierung ein Problem. Das in einem Schlager besungene Bild vom schwäbischen Häuslebauer („schaffe, schaffe, Häusle baue“) bilde die Realität zwar längst nicht mehr ab. Heute können sich viele schon die Miete kaum noch leisten. Aber Eigentum hat weiter einen hohen Stellenwert.

Die Regierung in Stuttgart wollte es ganz besonders gut machen

Dabei wollte es die grün-schwarze Koalition besonders gut machen bei der vom Bundesverfassungsgericht geforderten Reform der Grundsteuer. Man beschloss ein eigenes Modell, allein Größe und Bodenrichtwert des Grundstücks bestimmen die Höhe der Grundsteuer. Den Bodenrichtwert legen Gutachterausschüsse an Ort und Stelle fest, entscheidend ist die Lage des Grundstücks. Was darauf steht, spielt keine Rolle. Viele Länder dagegen wenden das Bundesmodell an, dessen Berechnung komplexer ist. Aber auch da gibt es Einsprüche.

Eine Reform kann naturgemäß nicht nur Gewinner hervorbringen. Zumal die Kommunen auf das Grundsteueraufkommen nicht verzichten wollen. Der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann reagierte auf Kritik daher leicht genervt: „Wenn jemand mehr bezahlen muss, hat er – von Ausreißern abgesehen – bisher zu wenig gezahlt.“ Man müsse erst mal ein Jahr abwarten, wie sich das Gesetz auswirke.

Der Eigentümerverein Haus und Grund Württemberg hält es dagegen für verfassungswidrig. Und der Mieterbund Baden-Württemberg beklagt eine Entlastung der Unternehmer zulasten der Wohnkosten. In Ravensburg etwa steige der Anteil der Eigentümer von Wohngrundstücken am Gesamtaufkommen der Grundsteuer von 54 auf 70 Prozent.

Nun blicken alle auf die Gerichte, ob das Landesgesetz verfassungsgemäß ist. Sollte es gekippt werden, „haben wir ein Riesenproblem“, sagt Jochen Rupp, der Landeschef der Deutschen Steuergewerkschaft. „Ich will mir gar nicht ausmalen, was das für die Arbeitsbelastung der Finanzämter bedeuten würde.“

Der Rentner Horst Ziegler dagegen hofft, dass sein Einspruch Erfolg hat – oder gleich das ganze Gesetz überarbeitet werden muss.

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