Es geht voran, und das ohne Streit. Das sollte die Botschaft sein nach der ersten Sitzung des schwarz-roten Koalitionsausschusses Ende Mai. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) lobte die „wirklich sehr gute Atmosphäre“, Finanzminister und SPD-Chef Lars Klingbeil pries die „Koalition der Möglichmacher“. CDU/CSU und SPD wollen sich von der Ampel abheben durch weniger öffentlichen Streit und mehr Geschlossenheit. Als wie schwierig sich das in der Praxis erweist, hat sich über Pfingsten gezeigt. „Wir müssen wirklich an die Substanz des Systems gehen“, sagte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann der Deutschen Presse-Agentur. „Wir können nicht wie in den vergangenen Jahren einfach nur irgendwelche neuen Sanktionen ankündigen, die dann in den Jobcentern vor Ort nicht umgesetzt werden können“, mahnte er. Die Reaktion aus der SPD ließ nicht lange auf sich warten.
Nach den Debatten um Zurückweisungen an den Grenzen belastet damit ein weiteres Streitthema das Bündnis von Union und SPD: das Bürgergeld – und damit die Grundsatzfrage nach der Zukunft des Sozialstaats. Dabei hatten sich Union und SPD im Koalitionsvertrag noch auf eine gemeinsame Linie verständigt: Das Bürgergeld sollte zu einer neuen „Grundsicherung für Arbeitssuchende“ weiterentwickelt werden. Linnemann erklärte nun, ihm gehe es vor allem um Sanktionen für Menschen, die trotz Arbeitsfähigkeit zumutbare Jobangebote ablehnen. „Wenn jemand nachweislich wiederholt einen zumutbaren Job nicht annimmt, obwohl er offenkundig arbeiten kann, dann muss der Staat davon ausgehen, dass derjenige nicht bedürftig ist. Und dann bekommt er auch kein Bürgergeld mehr“, sagte er.
Die Ausgaben für das Bürgergeld sind zuletzt gestiegen
Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Dagmar Schmidt sprach daraufhin von „Attacken auf den Sozialstaat“. Dieser sei kein Kostenfaktor, „den man einfach nach Kassenlage zusammenstreicht“, sagte Schmidt, die zuständig für Arbeit und Soziales ist. Die Sozialsysteme im Land seien das solidarische Fundament des Zusammenhalts in der Gesellschaft. „Und statt die Realitäten vieler Menschen zu ignorieren, die aufgrund von schwierigen Lebenslagen, Krankheit, Arbeitslosigkeit oder anderer Hürden diese Unterstützung brauchen, könnte man sich auch Gedanken darüber machen, wie man die Hürden abbaut und zielgerichtet und nachhaltig auf dem Weg in Arbeit unterstützt“, forderte sie.
Tatsächlich sind die Ausgaben für das Bürgergeld zuletzt gestiegen: Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit beliefen sie sich zuletzt auf knapp 47 Milliarden Euro – im Vergleich zu rund 43 Milliarden im Vorjahr und etwa 37 Milliarden im Jahr davor. Rund 2,9 Millionen sogenannte Bedarfsgemeinschaften – Haushalte, in denen Bürgergeld bezogen wird – sind derzeit bei der Bundesarbeitsagentur registriert. „Das Bürgergeld soll Menschen, die erwerbsfähig und leistungsberechtigt sind, in Beschäftigung bringen und ihnen den Lebensunterhalt sichern“, heißt es auf der Website des Bundesarbeitsministeriums. Doch genau diese Zielsetzung hält der CDU-Politiker Linnemann für gescheitert. Schon im vergangenen Jahr forderte er, damals noch in der Opposition, einen harten Umgang mit sogenannten Arbeitsverweigerern.
Kritik kommt nicht nur aus der SPD, sondern auch aus den eigenen Reihen
Auch der Vizevorsitzende der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), Christian Bäumler, kritisierte den jüngsten Vorstoß Linnemanns. Das Bürgergeld sei für Carsten Linnemann „eine politische Obsession“. Sanktionen seien richtig, reichten aber nicht aus. „Unser Ziel muss es sein, Menschen in Arbeit zu bringen, nicht sie verhungern oder obdachlos werden zu lassen“, sagte Bäumler. Die vollständige Streichung der Grundsicherung dürfe nur die letzte Möglichkeit sein. Aktuell können Jobcenter Bürgergeldempfängern, die zumutbare Arbeit verweigern, den Regelsatz für zwei Monate vollständig streichen.
Neuer Streit bahnt sich auch nach der Ankündigung von Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) an, die Bundespolizei mit Tasern auszurüsten. Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD) äußerte Zweifel daran, „ob der Einsatz weiterer Geräte wie Taser wirklich sinnvoll ist“. Gerade in Hochstresssituationen könne „die Auswahl des geeigneten Einsatzmittels zu einer erheblichen Erhöhung der Komplexität im Einsatz führen“, sagte sie den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
Außenpolitisch zeigen sich derweil Friktionen zwischen CSU und SPD. Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Adis Ahmetovic, warf der CSU vor, die kritische Linie von Außenminister Johann Wadephul (CDU) gegenüber der israelischen Kriegsführung im Gazastreifen zu konterkarieren. „Uns irritiert, dass die CSU versucht, dem eigenen Unionsminister das Regieren zu erschweren. Wir sollten lieber gemeinsam verantwortungsvolle Außenpolitik betreiben“, sagte Ahmetovic der Süddeutschen Zeitung.