Deutsche Spezialität: Die ganze Fußballwelt hält Spiele um Platz drei für überflüssig. Die ganze Welt? Nein, in Deutschland ist man ganz vernarrt in die unwichtigste Begegnung eines Turniers. Das liegt vorrangig am schönen Abschluss des »Sommermärchens« 2006. Heute vor 19 Jahren kam beim deutschen Ende des Heimturniers alles zusammen: 3:1 gegen Portugal, Doppeltorschütze Bastian Schweinsteiger, der Abschied von Oliver Kahn. Damals wie heute Spielort: Stuttgart.
Ergebnis: Deutschland beendet das Finalturnier der Nations League auf Rang vier. Gegen Frankreich unterlag die DFB-Auswahl 0:2 (0:1). Am Abend (21 Uhr) ermitteln Spanien und Portugal den Sieger des Wettbewerbs.
Erste Hälfte: Die DFB-Elf begann wie ein Team, das nach dem schwachen Auftritt gegen Portugal etwas gutzumachen hatte. »Jetzt reiße ich mich komplett am Riemen, gebe alles und gehe auch körperlich komplett rein in die Zweikämpfe«, hatte etwa BVB-Boss Hans-Joachim Watzke gefordert. Und die Deutschen taten, wie angemahnt. Zahlreiche Chancen fanden ihren Weg nicht ins französische Tor: Nick Woltemade (2. Minute und 43.), Pascal Groß (2.), Niclas Füllkrug (5.), Karim Adeyemi (6.) scheiterten, Florian Wirtz traf nur den Pfosten (37.). Einen vermeintlichen Strafstoß nahm Schiedsrichter Ivan Kružliak nach Ansicht der Videobilder zurück und zeigte Adeyemi Gelb wegen seiner Flugeinlage (35.). Und die Franzosen? Defensiv löchrig und offensiv zusammenhangslos kamen sie dennoch zu Chancen und eine starke Aktion genügte ihnen zur Führung: Kylian Mbappé wackelte Joshua Kimmich im Strafraum aus und traf ins lange Eck (45.).
Vive la indifferénce: Weniger begeistert als Frankreichs Nationalcoach Didier Deschamps konnte man vor diesem »kleinen Finale« nicht sein. »Das Spiel ist nun mal da, wir werden es bestreiten«, konstatierte der 56-Jährige höflich das Unwiderlegbare. Er sprach noch von einer »speziellen Situation« und handelte dementsprechend: Gleich acht Neue standen gegenüber dem 4:5-Feuerwerk gegen Spanien in der Startformation. Sie spielten Fußball, weil sie mussten. Dem Auftritt der ersten 45 Minuten nach dürften sie mit den Gedanken bei der Familie, der Klub-WM oder bereits im Urlaub gewesen sein. Für die 1:0-Führung genügte es dennoch.
Zweite Hälfte: Früh stand der Unparteiische erneut im Mittelpunkt, und dieses Mal war seine Aufgabe kniffliger. War dem Treffer des eingewechselten Deniz Undav ein Foul von Füllkrug an Adrien Rabiot vorausgegangen? Kružliak entschied sich gegen die Anerkennung des Treffers. Deutschland war weiterhin bemüht, aber limitiert. Die Franzosen mussten kaum noch vertikale Pässe verteidigen, auch bei Standardsituationen fehlten die Überraschungen. Stattdessen rollte Konter auf Konter auf das Tor von Marc-André ter Stegen zu, der eine exzellente Leistung zeigte. Einmal musste die ins Nationalteam zurückgekehrte Nummer eins aber doch noch hinter sich greifen: Robin Koch spitzelte den Ball unabsichtlich an Abwehrkollege Jonathan Tah vorbei, sodass Mbappé freie Bahn hatte. Der Kapitän der Équipe Tricolore legte uneigennützig quer zum eingewechselten Michael Olise, und der Bayern-Profi musste nur noch einschieben (84.).
Debütant Nummer 18: In der 65. Minute wechselte Julian Nagelsmann den 18. Neuling seiner Nationaltrainerzeit ein. Für Tom Bischof, gerade einmal 19 Jahre alt, sind es turbulente Tage. Sein Vertrag in Hoffenheim läuft am 30. Juni aus, danach kann er ablösefrei zum FC Bayern München gehen. Der Rekordmeister will ihn aber schon zur Klub-WM mitnehmen, die für die Münchner am kommenden Sonntag beginnt. Über eine Abstandszahlung sind sich die beiden Klubs aber bislang nicht einig geworden. Notfalls würde der Wechsel also erst im Juli erfolgen. Bei der am Mittwoch startenden U21-Europameisterschaft steht er nicht im Aufgebot – aus Rücksicht auf die Klub-WM. Es sind komplizierte Zeiten im Fußball.
Die Qualitätsfrage: Sicher fehlten Bundestrainer Nagelsmann bei diesem Turnier einige Stammkräfte. Aber es ist nicht zu übersehen, dass es weiterhin zahlreiche Problempositionen gibt und die zweite Reihe keine Impulse, sondern eher einen Qualitätsabfall auslöst. Hart gesagt: In Nagelsmann Nations-League-Kader waren Profis dabei, die zumindest derzeit nichts im Dunstkreis der Nationalmannschaft zu suchen haben.
Mehrfachtäter: In der mehr als 117-jährigen Länderspielgeschichte des DFB wurde bislang nur ein Spiel um Platz drei verloren, jenes bei der Weltmeisterschaft 1958. Der Gegner hieß: Frankreich. Die zweite Niederlage gab es heute. Sollten sich beide Teams im vorletzten Spiel der WM 2026 erneut gegenüberstehen, dann wäre das, Stand jetzt, erneut ein Grund zur Freude für die deutsche Nationalmannschaft.