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In Großbritannien radikalisiert sich die Rechte, während Starmers eigene Partei ihm die "letzte Chance" ausruft. Da kommt der Trump-Besuch zur rechten Zeit.
16. September 2025, 19:20 Uhr
Es erscheint erst einmal schwer vorstellbar, aber: Wenn der britische Premierminister Keir Starmer ab Dienstagabend Donald Trump zu dessen Staatsbesuch auf der Insel willkommen heißt, könnte das für den Labour-Chef ausnahmsweise mal eine politische Wellness-Behandlung werden. Denn Starmer wird derzeit von gleich zwei Seiten angegriffen, und zwar heftig. Von rechts, auf der Straße. Und von links, im Parlament.
Wahrscheinlich weit über einhunderttausend Menschen marschierten am Samstag durch London. Auf der Demokundgebung nahe der Downing Street gab es nicht nur "Wichser!"-Sprechchöre: Elon Musk rief per Video die aufgepeitschte Menge mehr als nur indirekt dazu auf, die britische Regierung mit Gewalt zu stürzen. Zugleich überbringen vor allem Parteilinke dem Premier in Zeitungen und Fernsehsendungen ganz unverhohlen die Botschaft, dass seine "letzte Chance" angebrochen sei.
Was ist los im Königreich? Warum diese Drastik?
Zunächst zu den Angriffen von rechts: Was sich auf der Insel abspielt, ist eine gefährliche Radikalisierung, deren Ende wahrscheinlich noch nicht erreicht ist. Ganz grundsätzlich speist sie sich aus der Spannung zwischen einer großen linken Mehrheit im Parlament und einer inzwischen knappen rechten Mehrheit in den Wählerumfragen.
Gefühle von Unfairness und Herabsetzung
Binnen eines guten Jahres nach der letzten Parlamentswahl
hat sich die Anti-Establishment-Partei "Reform UK" des Ex-Brexit-Anführers
Nigel Farage von einer Nischenpartei in eine regelrechte Konterrevolutionsbewegung
verwandelt, vor allem entlang der Themen Einwanderung und Nationalstolz. Wären heute
Wahlen, würde Reform vermutlich eine Mehrheit der Sitze im Unterhaus gewinnen. Farages
Partei holt, grob gesagt, vor allem enttäuschte Ex-Wähler der Konservativen und
solche aus der Mittelschicht ab.
Für die frustrierte Arbeiterschicht und viele zornige Nichtwähler hingegen ist Tommy Robinson der Hauptmobilisator. Robinson, mit bürgerlichem Namen Stephen Yaxley-Lennon, ist ein mehrfach vorbestrafter Ex-Fußball-Hooligan, Mitbegründer der inzwischen aufgelösten English Defence League sowie ehemaliges Mitglied der rechtsextremen British National Party (BNP). Die BNP verließ Robinson 2005, nach eigenem Bekunden, wegen des Rassismus der Partei. Er organisierte am Wochenende die "Unite The Kingdom"-Demonstration, bei der er auch unzweifelhaften Extremisten eine Bühne bot.
Allerdings: Was die meisten Menschen auf die Straße nach Westminster trieb, war nicht die Unterstützung von Extremisten. Ihre Motive lassen sich eher zusammenfassen mit wachsenden Gefühlen von Unfairness und Herabsetzung. Das schildert im Gespräch mit der ZEIT beispielsweise Martin Moreland, der aus der Grafschaft Leicestershire zur Demonstration angereist ist. Klar, er habe "gemischte Gefühle" gegenüber Tommy Robinson, sagt er. "Aber seine Vergangenheit ist seine Vergangenheit." Zu der gehöre eben auch, dass Robinson auf den organisierten Missbrauch minderjähriger Mädchen durch die sogenannten Grooming-Gangs und den wachsenden Islamismus in seiner Heimatstadt Luton aufmerksam gemacht habe, lange bevor die Mainstream-Medien diese Themen behandelt hätten, sagt Moreland.
Sein ganzes Leben lang sei er Labour-Wähler gewesen: "Sie haben sich um die Leute gekümmert, die in Fabriken gearbeitet haben, in Kohleminen", sagt Moreland. Das tue die Partei von Keir Starmer aber schon lange nicht mehr, im Gegenteil.
Für seine Sicht auf die Regierung verweist Moreland auf den Fall einer Mutter, die nach dem Mord
an drei Mädchen vergangenen Sommer in Southport auf X geschrieben hatte,
man solle Hotels mit Asylbewerbern von ihr aus anzünden. Online hatte
zuvor die Falschmeldung die Runde gemacht, bei dem Täter habe es sich um
einen Migranten gehandelt, der gerade erst per Schlauchboot nach
Großbritannien gekommen sei. Die Frau erhielt für den Post, den sie nach
vier Stunden löschte und bereute, eine Gefängnisstrafe von 31 Monaten,
von denen sie zehn Monate absaß. "Ich habe genug von einer
Labour-Regierung, die Leute wegen Meinungsäußerungen einsperrt", sagt Moreland.
Zum
emotionalen Thema Migration sagt er: "Einwanderung ist gut für das Land, wir
brauchen sie für unseren Gesundheitsdienst, für den Maschinenbau, für die
Wissenschaft." Aber der Punkt, sagt Moreland, den viele Leute hier teilten, sei doch
nun mal, dass die Massenzuwanderung nach Großbritannien außer Kontrolle geraten
sei. Und Tommy Robinson habe eben den Mut gehabt, die Probleme, die daraus
erwachsen seien, früh anzusprechen.