Es gibt nichts zu gewinnen, in dem Konflikt zwischen Thailand und Kambodscha, aber es gibt Opfer. Mehr als 30 Tote bereits auf beiden Seiten der Grenze, 13 davon Zivilisten. Dazu viele Verletzte, zudem sind mehr als 130 000 Menschen auf der Flucht, über 200 000 wurden aus den Grenzgebieten evakuiert. In beiden Ländern haben die Menschen Angst und keine Ahnung, worum eigentlich gekämpft wird. Oder ob der Konflikt bald endet.
Beide Armeen eröffneten in den Morgenstunden des Sonntags wieder das Feuer. Das kambodschanische Verteidigungsministerium teilte mit, dass Thailand eine Reihe von Punkten entlang der Grenze beschossen und Bodenangriffe durchgeführt habe. Es gab schweren Artilleriebeschuss auf historische Tempelanlagen. Die thailändische Armee wiederum erklärte, kambodschanische Streitkräfte hätten am frühen Sonntag Schüsse, auch in die Nähe von Zivilwohnungen, abgefeuert und seien dabei, Langstreckenraketenwerfer zu mobilisieren.
Es wird also auch am vierten Tag der Kampfhandlungen darüber diskutiert, wer angefangen hat. Und das, obwohl Donald Trump noch in der Nacht auf Sonntag auf seinem eigenen sozialen Netzwerk gepostet hatte, dass er mit den Vertretern beider Länder gesprochen und einen Waffenstillstand verlangt habe, „um den Krieg zu BEENDEN, der momentan tobt“. „Wir sind zufällig auch gerade mit beiden Ländern dabei, einen Handelsdeal zu vereinbaren“, schrieb der US-Präsident noch. Einen solchen Deal wolle er aber nicht, mit keinem der beiden Länder, solange sie kämpfen.
Es geschah genau das Gegenteil von dem, was Trump sich wünschte
Das klang schon arg nach einem genervten Papa, der seinen ungezogenen Kindern die Ohren langzieht. Weder in Phnom Penh noch in Bangkok lässt man sich gerne auf diese Weise belehren. Vielleicht geschah gerade deshalb das Gegenteil von dem, was Trump sich wünschte, um seinen Traum vom Friedensnobelpreis wahrzumachen. Kambodscha erklärte zwar, es schließe sich der Forderung Trumps nach einem Waffenstillstand uneingeschränkt an, feuerte aber Stunden später wieder Raketen ab. Thailand erklärte, es sei dem US-Präsidenten dankbar, könne aber keine Gespräche aufnehmen, solange Kambodscha seine Zivilisten ins Visier nehme.
„Wir haben ein bilaterales Treffen zwischen unseren Außenministern vorgeschlagen, um die Bedingungen für einen Waffenstillstand und den Rückzug der Truppen und Langstreckenwaffen festzulegen“, sagte Thailands Interims-Premierminister Phumtham Wechayachai den Reportern in Bangkok, bevor er in die betroffenen Gebiete aufbrach. „Ich habe dem ehrenwerten Präsidenten Donald Trump deutlich gemacht, dass Kambodscha mit dem Vorschlag für einen sofortigen und bedingungslosen Waffenstillstand zwischen den beiden Streitkräften einverstanden ist“, schrieb wiederum der kambodschanische Premierminister Hun Manet auf Facebook.
Inwieweit er oder sein Vater, Hun Sen, diese Frage zu entscheiden hat, steht auf einem anderen Blatt. Auch Phumtham Wechayachai ist im Grunde nicht der richtige Ansprechpartner, in Thailand hat die Armee das Sagen. Die rief am Wochenende das Kriegsrecht in einigen Provinzen aus, um einfacher arbeiten zu können.
Zuletzt war der Konflikt 2008 eskaliert – auch jetzt geht es wieder um den Tempel Preah Vihear
Nachrichtenagenturen berichteten, dass am Sonntag in diversen Provinzen Granatenbeschuss zu hören war. Es wurde aber nicht klar, auf welcher Seite der mehr als 800 Kilometer langen Grenze sie abgefeuert wurden und wo sie einschlugen. Das Grenzgebiet zwischen beiden Ländern besteht teilweise aus dichten Wäldern; wo genau das eine Land aufhört und das andere anfängt, lässt sich schwer sagen. Auch das ist ein Auslöser für diesen Konflikt, der seit Jahrzehnten immer wieder hochkocht.
Erneut ging es auch um den Preah-Vihear-Tempel, der im Grenzgebiet liegt. Der alte Khmer-Hindu-Tempel aus dem 11. Jahrhundert wurde bereits 1962 eigentlich Kambodscha zugesprochen. Er liegt dicht umwaldet in den Bergen um Dongrak. Schön sieht er aus, mythisch und alt, wenn auch nicht besonders gepflegt. Bangkok besteht darauf, dass der Tempel auf dem Gebiet des thailändischen Königreichs liegt, wie andere auch.
Der Streit eskalierte zuletzt 2008, als Kambodscha den Tempel in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufnehmen lassen wollte. Ende Mai dieses Jahres kam es dann wieder zu Schusswechseln, bei denen ein kambodschanischer Soldat getötet wurde. Die Truppen auf beiden Seiten wurden verstärkt. Außerdem beschuldigte die königlich thailändische Armee ihre Konterparts, neue Landminen zu verlegen, wodurch thailändische Soldaten verletzt worden seien. Phnom Penh bestreitet das und beschuldigte Bangkok am Samstag eines „vorsätzlichen, unprovozierten und ungesetzlichen militärischen Angriffs“. Es gehe darum, „die Souveränität Kambodschas weiter zu verletzen“.
In Thailand hat der Streit bereits innenpolitische Konsequenzen
Zudem kam es zu Zusammenstößen in der thailändischen Küstenregion Trat und der kambodschanischen Provinz Pursat –einer neuen Front, die mehr als 100 Kilometer entfernt von den anderen Konfliktpunkten liegt. Phnom Penh forderte am Samstag die internationale Gemeinschaft auf, Thailands „Aggression“ zu verurteilen und eine Ausweitung seiner militärischen Aktivitäten zu verhindern. Bangkok wiederum erklärte, man wolle den Streit auf bilateraler Ebene lösen.
Dort allerdings hat der Streit schon vor Wochen politische Opfer gefordert: Premierministerin Paetongtarn Shinawatra hatte in einem Telefonat mit Kambodschas starkem Mann Hun Sen versucht, die Sache zu bereinigen. Die unterwürfige Art, in der die Premierministerin sich Hun Sen gegenüber in dem Telefonat äußerte und wie abfällig sie über einen Armee-Kommandanten sprach, kosten sie nun sehr wahrscheinlich ihr Amt. Derzeit ist sie suspendiert und fungiert noch als Kultur-Ministerin, doch in Bangkok glaubt niemand, dass sie die Untersuchung wegen „unethischen Verhaltens“ überstehen und wieder zurückkehren wird.
Dass Paetongtarn bei Hun Sen anrief – und nicht bei seinem Sohn Manet –, sagt wiederum viel über die Machtverhältnisse in Kambodscha aus: Hun und Manet Sen haben ihre Macht so weit ausgebaut, dass es quasi keine offene Opposition und keine freie Presse mehr gibt. Verlässliche Informationen sind aus dem Land schwer zu bekommen.
Thaksin Shinawatra, der Vater der suspendierten Premierministerin, ist wiederum eine wichtige Figur in der thailändischen Politik geblieben. Beide Männer können nicht von der Macht lassen, auch wenn sie ihre Kinder bereits im höchsten Amt installiert haben. Hun Sen, 72, und Thaksin Shinawatra, 76, waren einst so eng befreundet, dass sie sich als Brüder bezeichneten. Was Hun Sen nun dazu getrieben hat, diese Freundschaft zu verraten und das Telefonat mit der Premierministerin öffentlich zu machen, bleibt ein großes Rätsel dieses Konflikts.
Sicher scheint zu sein, dass es weniger um die Grenzsicherung geht als um Machterhalt. Da hilft es auch nicht, wenn Donald Trump, 79, sich einschaltet. Auf der Strecke bleiben Tote und Hunderttausende Vertriebene, auf beiden Seiten. Am Sonntagnachmittag meldete immerhin die staatliche Nachrichtenagentur von Malaysia, dass Hun Manet und Phumtham Wechayachai, beide offiziell Staatschefs ihrer Länder, sich am Montag in Kuala Lumpur treffen wollen, um einen Frieden direkt miteinander zu verhandeln. Den müssen sie dann nur noch den wahren Machthabern zu Hause schmackhaft machen.