AfD: „Die Einschüchterung ist schon längst stark spürbar“

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SZ: Herr Cremer, der einstige Bundeskanzler Willy Brandt hat es rückblickend mal als seinen größten Fehler bezeichnet, dass er von 1972 an eine ganze Generation von jungen Beamtenanwärtern vom Verfassungsschutz überprüfen und teils mit Berufsverboten belegen ließ.

Hendrik Cremer: Ja, da hatte Willy Brandt recht, leider. Mehr als drei Millionen Berufsanfänger wurden damals durchleuchtet, alles wegen Linksextremismus-Verdachts … Der sogenannte Radikalenerlass damals ging in seiner praktischen Anwendung extrem weit, er wurde von den Behörden auch drakonisch angewendet, das ist aus dem Ruder geraten. Diese Erfahrung hat dazu geführt, dass der Staat heute deutlich mehr Zurückhaltung übt – und auch, dass er jetzt so sehr zögert, wenn es um die AfD geht.

Muss man nicht fürchten, dass das wieder aus dem Ruder laufen könnte, wenn die Behörden jetzt anfangen, jeden Bewerber erst mal misstrauisch zu beäugen? Immerhin: Auch Beamte dürfen in ihrem Privatleben denkende, politisch interessierte Menschen sein.

Aus meiner Sicht droht eher das Gegenteil. Also: dass der Staat heute in einer zu großen Stille verharrt und die verfassungsrechtliche Treuepflicht – das heißt die Pflicht der Beamten, durch ihr gesamtes Verhalten für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten – nur noch schwach einfordert und nicht mehr ernst genug nimmt. Dabei ist die Gefahr wirklich groß.

Ein Unterschied zu damals ist vielleicht: Anders als in den Jahren nach 1972, als es gegen echte oder vermeintliche Kommunisten ging, haben sich inzwischen auch etliche Gerichte eingeschaltet und klar gesagt, dass es auch Grundrechte und eine Meinungsfreiheit der Betroffenen gibt – was der Staat respektieren muss.

Schon klar, deshalb sind die juristischen Hürden für eine Entlassung aus dem Staatsdienst heute höher als in den 1970er-Jahren. Mein Eindruck ist dennoch: Die Gefahr, die von der AfD ausgeht, wird im öffentlichen, auch medialen Diskurs noch lange nicht angemessen abgebildet.

Der Jurist Hendrik Cremer forscht seit Jahren zum Rechtsextremismus in Deutschland.
Der Jurist Hendrik Cremer forscht seit Jahren zum Rechtsextremismus in Deutschland. (Foto: Anke Illing)

Wieso?

Weil sich die AfD über die Jahre immer weiter radikalisiert hat. Die Gerichte verlangen heute einen individuellen Nachweis der Verfassungsfeindlichkeit in jedem Einzelfall. Aber so schwer ist dieser Nachweis gar nicht, denn ein Eintreten für die AfD des Jahres 2025 läuft der verfassungsrechtlichen Treuepflicht eben auch viel klarer entgegen als in früheren Jahren. Die AfD hat sich zu einer rechtsextremistischen, nationalvölkischen Partei entwickelt.

Die Frage ist doch: Kann man das so pauschal über jedes Parteimitglied sagen?

Es gibt in der Partei inzwischen keinen Richtungsstreit mehr, wie es das anfangs noch gab. Seit dem Parteitag im Juni 2022 gibt es keine nennenswerten Stimmen mehr, die sich gegen Björn Höcke und dessen Positionen wenden würden, es gibt auch keine Opposition mehr im Bundesvorstand. Dabei hatte der Bundesvorstand 2017 noch ein Parteiausschlussverfahren gegen Höcke eingeleitet, damals wurde er noch in einem 60-seitigen internen Papier sinngemäß als Neo-Nationalsozialist eingeschätzt.

Kann man nicht trotzdem zugestehen, dass es heute auch Grautöne gibt – und dass die Gerichte also recht haben, wenn sie darauf bestehen, dass nicht jedes AfD-Mitglied automatisch unter einen Bann zu stellen ist wie Höcke?

Die Parteimitglieder wählen sich ihre Führung, die den Kurs der Partei bestimmt. Wie dieser Kurs aussieht, ist dann schon ein wichtiger Indikator dafür, wie verfassungstreu auch einfache Mitglieder sind. Und noch ein zweiter Aspekt kommt hinzu und kommt mir in der gegenwärtigen Debatte auch etwas zu kurz. Die couragierten Demokraten in unseren Behörden, die sich rechtsextremen Bestrebungen entgegenstellen, befinden sich heute schon im Kreuzfeuer von Attacken durch die AfD. Diese Beamten müssen wir schützen.

Wie meinen Sie das?

„Ist das gerecht?“ – Interview-Podcast mit Ronen Steinke

:„Eine Partei kann verfassungswidrig sein und gleichzeitig legal handeln“

Ist es gerecht, eine Partei zu verbieten? Warum die Hürden für ein mögliches AfD-Verbot so hoch sind – und welche Probleme das mit sich bringt. Darüber spricht die ehemalige Verfassungsrichterin Gabriele Britz in der aktuellen Podcastfolge.

Die AfD übt mancherorts etwa Druck auf Schulen aus. Die berüchtigten „Meldeportale“ sind ein Beispiel dafür. Lehrkräfte, die sachlich über Rechtsextremismus aufklären, sollen online gemeldet und auf diese Weise eingeschüchtert werden. Und jetzt stellen Sie sich vor, wie sich die Stimmung an einer solchen Schule weiterentwickelt, wenn AfD-Anhänger auch noch ins Lehrerzimmer einziehen. Wie der angstfreie Diskurs, die demokratische Bildung erstickt wird! Das müssen wir verhindern.

Solange die AfD eine legale Partei ist, müssen natürlich Wortmeldungen und Argumente ihrerseits möglich bleiben ...

… aber doch nicht mit solchen Methoden! Ich gebe Ihnen noch ein weiteres Beispiel. Im Sommer 2019 hat die AfD die Suspendierung des Kommandeurs des Zentrums Innere Führung der Bundeswehr gefordert. Dieser Kommandeur hatte lediglich darauf hingewiesen, dass die AfD in ihrem damals noch offiziell so genannten, rechten „Flügel“ eindeutig extremistische Positionen vertrat.

Würden Sie das schon als Einschüchterung werten? Wenn die AfD sich gegen den Vorwurf des Rechtsextremismus verwahrt?

Die Einschüchterung ist schon längst stark spürbar, in vielen Teilen des Staatsapparats, in dem wir dringend weiter unsere Beamtinnen und Beamten mit Rückgrat brauchen. Das merkt man sogar an Universitäten. Sie können dort in der Lehre Rassismus, Antisemitismus et cetera thematisieren.

Schwierig wird es, wenn die drei Buchstaben auftauchen, also A-f-D. Dann gibt es bei den Lehrenden oftmals die Sorge, dass ihnen eine kritische Thematisierung der AfD als Verstoß gegen ihre parteipolitische Neutralitätspflicht ausgelegt werden könnte. Und dass sie zur Zielscheibe werden für aggressive AfD-Leute. So verstummen Menschen. Diese Entwicklung hat schon begonnen.

Beamte haben die Pflicht, sich in ihren Äußerungen politisch zu mäßigen. Bedeutet das, dass sie auch bei Kritik an der AfD Grenzen beachten müssen?

Der Polizeipräsident von Oldenburg, Johann Kühme, hat 2019 gesagt, er schäme sich dafür, wenn AfD-Politiker Muslime als Kopftuchmädchen titulieren oder die Zeit des Nationalsozialismus als Vogelschiss in der tausendjährigen Geschichte verharmlosen würden. Daraufhin hat die AfD ihm vorgeworfen, dass er die mit seinem Amt verbundene Neutralitätspflicht verletze.

Ist da nichts dran?

Nein, Mäßigung bedeutet nicht ein Verbot, Gefahren für die Demokratie zu benennen. Kühme hat sich nicht einschüchtern lassen, sondern er hat in einem Interview mit der Nordwest-Zeitung 2023 noch ausgeführt, dass die AfD die Wahrheit verdrehe, um Ängste in der Bevölkerung zu schüren. Kühme hat in seinen Warnungen daran erinnert, dass es schon mal eine Partei, die NSDAP, gab, die die freiheitlich-rechtsstaatliche Demokratie in Deutschland zerstören konnte, sodass sie sich den Staat und damit einhergehend die Polizei einverleiben konnte.

Gegen diese scharfe Kritik hat die AfD allerdings geklagt. So wie sie auch gegen den Verfassungsschutz klagt, der sie als „gesichert rechtsextrem“ bezeichnen wollte.

Ja, aber sämtliche Polizeipräsidenten in Niedersachsen haben sich hinter den Kollegen aus Oldenburg gestellt, und auch der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, hat sich geäußert und Kühme den Rücken gestärkt. Es gebe zu viele „Wegducker im Land“, die lieber kein Risiko eingehen würden, hat Voßkuhle gesagt. Das finde ich treffend. Die Polizei, das sind auch Menschen. Die dürfen wir nicht alleinlassen.

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