Gegenangriff aus Kiew: Pistorius will Manifestschreiber in die Schranken weisen

vor 22 Stunden 1

Verteidigungsminister Boris Pistorius hat sich die perfekte Bühne ausgesucht, um das Friedensmanifest von SPD-Linken zurückzuweisen. Russlands Präsident Wladimir Putin sei der Aggressor in diesem Krieg, antwortete Pistorius aus Kiew seinen Parteifreunden, die eine Wiederannäherung an Russland gefordert hatten.

Putin verweigere jede Friedensverhandlung. „Putin sabotiert sie und unterläuft sie sogar, indem er seine Angriffe auf die Zivilbevölkerung der Ukraine massiv erhöht“, betonte Pistorius im ZDF in einer Schalte aus der ukrainischen Hauptstadt. „Wie man sich in dieser Phase eine engere Zusammenarbeit mit Russland auch nur vorstellen kann, ist völlig befremdlich.“

Dabei will es Pistorius aber offensichtlich nicht belassen. Den Konflikt mit den Manifest-Schreibern um den früheren Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich und den Außenpolitiker Ralf Stegner möchte der Verteidigungsminister nicht aussitzen oder verschleiern. Zusammen mit dem außenpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Adis Ahmetovic, erwägt er einen Gegenangriff auf dem SPD-Parteitag Ende Juni in Berlin.

Europäische Sicherheit vor Russland

Die Vorstandsmitglieder des SPD-Bezirks Hannover, der halb Niedersachsen abdeckt, schwor Ahmetovic am Freitag noch einmal auf die neue Russland-Politik der SPD nach der Zeitenwende ein, erfuhr der Tagesspiegel aus Teilnehmerkreisen. Demnach soll die SPD weiter fest an der Seite der Ukraine stehen. Auch soll es eine europäische Sicherheitsarchitektur weiterhin nicht mit, sondern vor Russland geben, solange Russland an seiner imperialistischen Außenpolitik festhalte.

Ich erwarte, dass unser Text gelesen und nicht karikiert wird.

Ralf Stegner

Außerdem soll sich die SPD für eine multilaterale, europa- und völkerrechtskonforme deutsche Außenpolitik einsetzen. Auch Ahmetovic sieht die SPD als Friedenspartei, als Voraussetzung dafür sieht er neben Diplomatie auch militärische Stärke.

In der SPD Hannover gibt es nach Tagesspiegel-Informationen Überlegungen, diese Grundzüge der neuen SPD-Außenpolitik nach der Zeitenwende auf dem Parteitag in Berlin noch einmal per Initiativantrag zu bekräftigen, um eine Rückkehr des russlandfreundlichen Kurses zu verhindern. Eine Entscheidung für einen Initiativantrag stand am frühen Freitagabend aber noch aus. Dass ein solcher Schritt erwogen wird, hatte am Freitag in Berlin bereits die Runde gemacht, nachdem „Politico“ darüber berichtete.

Bei den Schreibern des Manifests sorgen bereits diese Gedankenspiele für Ärger. „Ich halte nichts von Basta-Politik“, sagte Stegner dem Tagesspiegel. Es werde nicht gelingen, mit einem Initiativantrag die Debatte in der SPD über Friedenspolitik abzuwürgen. „Unser Manifest haben binnen weniger Tage 7000 Parteimitglieder unterschrieben“, betonte Stegner.

Er fühlt sich vom Lager um Pistorius, Ahmetovic und Parteichef Lars Klingbeil missverstanden. „Ich erwarte, dass unser Text gelesen und nicht karikiert wird.“ Er sei weder Pazifist noch Putin-Freund. Zugleich warnt Stegner die Parteispitze, die Friedenspolitik den Populisten von AfD und BSW zu überlassen. „Wir wollen eine Debatte eröffnen, nicht abschließen – nach einem Wahlergebnis von 16 Prozent bei der Bundestagswahl ist das mehr als angebracht“, sagte er.

Entscheidung auf dem Parteitag?

Noch ist unklar, wie die Sache auf dem Parteitag ausgetragen wird. In der Parteiführung ist man sich aber sicher: Kommt es tatsächlich zu einer Abstimmung, hat das Lager um Mützenich und Stegner keine Chance.

Doch ganz unabhängig davon, wie die Delegierten die Sache sehen: Bei den Bürgerinnen und Bürgern und auch bei den Mitgliedern in den Ortsvereinen stößt das „Manifest“ durchaus auf positive Resonanz. Auch das spüren sie derzeit in der Parteiführung. Der Text provoziert Debatten, in denen die SPD wenig zu gewinnen hat. Auch das ist ein Grund, warum der Ärger über das Papier so groß ist.

Im Lager der SPD-Falken spürt man, dass es durchaus argumentativen Aufwand braucht. Im ZDF erinnerte der Seeheimer Pistorius auch an die Ikone der Parteilinken, Willy Brandt, um die Manifest-Schreiber als weltfremd zu diskreditieren. Dieser habe auch aus einer Position der Stärke heraus – sprich mit einer hochgerüsteten Bundeswehr im Rücken – seine Entspannungspolitik mit der Sowjetunion gestaltet.

Ralf Stegner teilt diese Analyse im Grundsatz. Mit der Politik, die Pistorius darauf folgen lässt, kann er trotzdem nichts anfangen. Um diplomatische Verhandlungen aus einer Position der militärischen Stärke zu führen, „müssen wir nicht fünf Prozent der Wirtschaftsleistung in Rüstung stecken“, sagte er.

Kompromisslinie bei der Wehrpflicht

In der Wehrpflicht-Debatte sucht Pistorius hingegen einen Kompromiss mit den Skeptikern in den eigenen Reihen. Wie der Tagesspiegel erfuhr, arbeitet das Verteidigungsministerium an einem Gesetzentwurf, um einen freiwilligen Wehrdienst – und in einer möglichen zweiten Stufe – auch die Wehrpflicht wieder einzuführen.

Eine automatische Rückkehr zur Wehrpflicht, falls nicht genug junge Leute freiwillig zur Bundeswehr gehen, soll es aber nicht geben. Stattdessen soll der Bundestag der Wiedereinführung wohl zustimmen müssen. Zuerst hatte darüber das „Handelsblatt“ berichtet.

Dass es keinen Automatismus geben soll, hält Ralf Stegner für eine „womöglich begehbare Brücke“. „Die Entscheidung muss beim Bundestag liegen“, betonte er. Er halte nichts von Blankoschecks.

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