Fußball-EM in der Schweiz: Lasst doch die Vergleiche sein - Kommentar

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Start der Fußball-EM in der Schweiz Unvergleichlich!

Wenige Tage vor dem Start der Fußball-EM verlieren die Schweizer Gastgeberinnen 1:7 gegen eine Jungenmannschaft. Daraus wurden schnell Schlagzeilen. Ein Sieg vor einiger Zeit interessierte niemanden. Was uns das sagen sollte.

27.06.2025, 14.09 Uhr

 Die Übungsgegner fehlen

Die Schweizer Spielerin Svenja Fölmli: Die Übungsgegner fehlen

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Michael Buholzer / KEYSTONE / dpa

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Nur wenige Tage vor Beginn der Europameisterschaft im eigenen Land haben die Schweizer Nationalspielerinnen ein Testspiel verloren, 1:7, sie waren völlig chancenlos.

Droht der Schweiz ein Turnier zum Vergessen – ausgerechnet vor einer EM-Rekordkulisse bei den Frauen? Fast 600.000 Tickets sind bereits verkauft. Und jetzt diese Niederlage.

Allerdings haben die Schweizerinnen gegen eine Mannschaft aus dem Männerbereich verloren, genauer gesagt gegen eine U15-Mannschaft, deren Spieler bisher nicht einmal alt genug sind, um sich ein Bier zu kaufen. Es waren Buben.

Normalerweise müsste man sich jetzt trotzdem zurücklehnen und sagen: »Na dann, egal!«

Tests zwischen Fußballerinnen und jungen Kickern gehören seit langer Zeit zur Normalität und enden fast immer mit Niederlagen für die Frauen. Der Grund ist einfach: Biologie.

Ist das wirklich eine Information? Oder befeuert man nur Spott?

Man könnte also über diese Nachricht hinwegsehen. Doch große Medien melden das Ergebnis, auch der SPIEGEL gehört dazu. Was bezweckt man damit eigentlich? Echte Information, obwohl die sportliche Relevanz eigentlich nicht gegeben ist? Oder befeuert man nur den Spott, der sich bald nach der Nachricht über die Schweizer Spielerinnen im Internet ergießen wird?

»Deswegen verdient ihr 20-mal weniger als Männer«, ist noch einer der harmlosen Sprüche, die sich im Internet finden lassen.

Die meisten Fußballerinnen dürften allerdings noch weniger verdienen. Und ganz nebenbei: Die meisten Fußballerinnen (vermutlich 99,9 Prozent) fordern gar nicht gleiche Gehälter wie die Männer. Wenn überhaupt, dann werden Turnierprämien von gemeinnützigen Verbänden diskutiert oder in Deutschland zuletzt Mindestlöhne in Vereinen gefordert – ein Minimum an Absicherung für alle, um sich besser auf den Fußball konzentrieren zu können. Denn selbst bei dieser EM mit den besten Spielerinnen des Kontinents wird es einige geben, die neben dem Fußball noch einer anderen Arbeit nachgehen müssen.

Das ist aber nicht der Hauptgrund, warum selbst Topfußballerinnen gegen junge Männer verlieren. Es sind körperliche Unterschiede. Selbst junge Männer sind im Schnitt größer, schwerer und verfügen über mehr Muskelmasse. Sie sprinten schneller, schießen härter, springen höher.

Und das gilt auch für die meisten anderen Sportarten.

Australian Open 1998: Karsten Braasch, Kettenraucher und Nummer 203 der Herren-Weltrangliste, forderte die Weltstars Serena und Venus Williams heraus – und siegte locker, obwohl er bereits zwei Radler intus hatte und beim Seitenwechsel zur Zigarette griff. 6:1 gegen Serena, 6:2 gegen Venus.

Venus Williams (l.) mit ihrer Schwester und Karsten Braasch

Venus Williams (l.) mit ihrer Schwester und Karsten Braasch

Foto: David Gray / REUTERS

Im Tennis kassieren Frauen und Männer trotzdem nahezu identische Prämien – und niemand käme ernsthaft auf die Idee, permanent die Leistungen zu vergleichen.

Der Fußball der Frauen war verboten, und das hat bis heute Folgen

Nur im Fußball scheint das anders: Vielleicht, weil der Sport jahrzehntelang eine reine Männerdomäne war? Oder weil der Männerfußball in Europa als Sportart unangefochten an der Spitze steht – und Frauen nun auf mehr Sichtbarkeit drängen? Und weil sie diese gelegentlich öffentlich einfordern, obwohl die Nachfrage nach Männerfußball noch immer größer ist? Zu berücksichtigen ist jedoch auch, dass Fußball von Frauen in Deutschland und vielen anderen Ländern jahrelang verboten war und die Folgen bis heute zu spüren sind.

Fußballerinnen könnten zwar auf Testspiele gegen Jungen verzichten und sich damit dem Spott entziehen. Doch sie haben kaum eine Wahl. Die Strukturen im Fußball der Frauen sind nach wie vor so schwach, dass es an passenden Gegnerinnen mangelt. Eine Mannschaft aus dem Ausland einfliegen? Kaum möglich, wenn der halbe Kader Urlaub nehmen muss und die Kosten das Budget sprengen.

Also bleibt oft nur der Test gegen männliche Nachwuchsteams – in der Hoffnung, dass der körperliche Unterschied noch nicht zu groß ist. Meist sind es 15-Jährige, von denen es in den Fußballzentren genügend Talente gibt.

Inzwischen sind die Frauenteams dazu übergegangen, die Tests zumindest hinter verschlossener Tür abzuhalten. Trotzdem sickern die Ergebnisse immer wieder durch.

Das bedeutet jedoch nicht, dass die Fußballerinnen etwas verheimlichen wollen, was eigentlich jeder wissen sollte. Man möchte lediglich den damit verbundenen Spott vermeiden.

Nicht schlechter, nicht besser, einfach anders

Der Frauenfußball ist deswegen auch nicht schlechter als der Männerfußball. Er ist auch nicht besser, nur weil er durch sehr viel weniger Geld womöglich bodenständiger ist.

Er ist einfach anders. Natürlich kann man ihn ignorieren, es gibt keine Einschalt- und Lesepflicht – auch jetzt nicht bei der EM.

Man kann sich aber auch darauf einlassen. Man kann über die Leistungen von Frauen im Sport staunen, ohne sofort zu überprüfen, ob es da nicht einen Mann gegeben hat, der das messbar besser konnte.

Eine Studie hat gezeigt: Werden Spielszenen anonymisiert, bewerten Zuschauer die Qualität von Frauen- und Männerfußball nahezu identisch. Es ist also nicht der Sport selbst, der weniger »wert« ist, sondern die Wahrnehmung, die oft durch Stereotype geprägt ist.

Als die Schweizerinnen noch vor der deutlichen Niederlage eine andere U15-Mannschaft 2:1 schlugen, interessierte das übrigens niemanden. Es passte wohl nicht ins Bild.

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