Führerschein machen: Treffen sich zwei schlechte Schüler und ein Lehrer in einer Fahrschule

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Alexandra Holscher, Christian Santos und Sven Scharf

Alexandra Holscher, Christian Santos und Sven Scharf

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Der Erwerb des Führerscheins wird immer teurer – und schwerer. Der Fragenkatalog für Fahrprüfungen ist mittlerweile auf etwa 1200 angestiegen. Gleichzeitig hat die Verkehrsdichte vielerorts zugenommen. Entsprechend sind die Durchfallquoten sowohl bei der theoretischen als auch bei der praktischen Prüfung hoch. Dennoch möchten immer noch die meisten Menschen in Deutschland autofahren dürfen.

Bei manchen Fahrschülerinnen und -schülern ist der Weg zum Führerschein steiniger und länger als bei anderen. So wie bei Alexandra Holscher, 40, aus Hamburg. Sie hat seit Herbst 2024 nach 20 Jahren, drei theoretischen und acht praktischen Prüfungen den Führerschein endlich in der Tasche. Lokale und überregionale Zeitungen sowie der öffentlich-rechtliche Rundfunk haben über Holschers Odyssee berichtet.

Der Fahrlehrer Christian Santos, der sie am Ende zum Erfolg begleitet hat, ist zufällig der gleiche, der auch SPIEGEL-Redakteur Sven Scharf im zarten Alter von 42 Jahren und nach zwei erfolglosen Prüfungen unter einem anderen Lehrer zur Fahrerlaubnis führen soll. In einer Hamburger Fahrschule kam es zu einem Dreiergespräch über Ängste und Selbstzweifel, die richtige Atmung und falsche Ansprüche, über Kosten und unnötige Kommentare aus dem Umfeld. Weil Sven Scharf und sein Fahrlehrer Christian Santos sich bei den Fahrstunden duzen, haben sie das auch in diesem Gespräch getan.

Sven Scharf: Frau Holscher, Sie haben zwei Kinder. Wie groß war die Angst, dass die den Führerschein vor Ihnen erwerben?

Alexandra Holscher: Meine Kinder sind drei und sieben Jahre alt und lenken ihre Kinderfahrzeuge schon besser als ich. Ich glaube und hoffe, dass die vielleicht eine gewisse Grundbegabung haben, die mir leider fehlt. Ich musste mir den Führerschein hart erarbeiten. Das räumliche Denken zum Beispiel gehört definitiv nicht zu meinen Stärken.

Scharf: Dito. Einparken ist mein größter Horror, besonders rückwärts. Mein Gehirn ist nicht in der Lage abzuspeichern, in welche Richtung ich das Steuer drehen muss, wenn ich beim Rückwärtsfahren lenke.

Holscher: So lange wie bei mir wird es bestimmt nicht dauern. Ich habe insgesamt 20 Jahre gebraucht. Wirklich hart am Führerschein gearbeitet habe ich aber erst im Alter von 36 bis 39 in dieser Fahrschule hier in Hamburg. Den ersten Versuch habe ich mit 19, 20 in Heidelberg gestartet, da bin ich dreimal durch die praktische Prüfung gefallen.

Scharf: Und dann?

Holscher: Ich habe gedacht, der Führerschein ist einfach nichts für mich. Ich bin dann nach Düsseldorf gezogen und hatte dort das Gefühl, den Führerschein nicht mehr zu brauchen. Relevant wurde die Frage erst wieder hier in Hamburg, als ich mein erstes Kind bekommen habe – und den großen Hund.

Scharf: Wie viele Versuche hat es in Hamburg noch bis zum Führerschein gebraucht?

Holscher: Fünf.

Scharf: Woran lag es?

Holscher: Früher in Heidelberg hatte ich das Fahrvermögen nicht, war auch noch zu gedankenlos. Ich glaube, für den Straßenverkehr war es gut, dass ich es damals nicht geschafft habe. Hier in Hamburg, viele Jahre später, war es dann das genaue Gegenteil: Ich war zu verkopft, habe mir zu viele Gedanken gemacht und dazu dann auch eine gewisse Angst vor dem Fahren entwickelt. Ich bin zusammengezuckt, wenn Gegenverkehr kam, hatte beim Einparken Sorge, dass ich einen Fußgänger erwische.

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Scharf: Mögen Sie verraten, wie viel Geld Sie der Führerschein am Ende gekostet hat?

Holscher: Mehr als 10.000 Euro. Ich musste allein die Theorieprüfung insgesamt dreimal machen, weil sie zwölf Monate nach dem Bestehen nicht mehr gültig ist. Und jedes Mal musste ich wieder in den Unterricht gehen, die Fragen neu lernen. Das ist natürlich ein gewisser Druck. Und teuer ist es auch: neu anmelden, zwischendurch wieder Fahrstunden nehmen, um eine gewisse Routine zu behalten.

Christian Santos: Der Führerschein ist in den vergangenen Jahren noch mal deutlich teurer geworden. Ich habe Schüler, die haben wesentlich mehr bezahlt.

Scharf: War es gut angelegtes Geld, Frau Holscher?

Holscher: Ja, das war es auf jeden Fall. Ich bin selbstständig und musste berufliche Kooperationen teilweise absagen, weil ich nicht mobil war. Klar war es viel Geld. Aber lieber habe ich für 10.000 Euro einen Führerschein, als bei 7000 Euro aufgehört zu haben und keinen zu haben.

Scharf: In welchen Situationen wissen Sie es jetzt besonders zu schätzen, einen Führerschein zu haben?

Holscher: Wenn ich etwas mit meinen Kindern unternehmen und einfach unabhängig losfahren kann und mein eigener Chef im Auto bin, unabhängig von Bus, Bahn, U-Bahn, Taxi und Wetter.

Scharf: Ich habe mir übrigens vorgenommen, mir meine Kosten niemals auszurechnen. Dann würde ich wahrscheinlich weinen. Christian, warum ist die Fahrschule so teuer geworden?

Santos: Die Kosten für die Fahrschulen haben sich vermehrt. Die Miete in Hamburg ist gestiegen, die Fahrzeugkosten, die Versicherungsbeiträge, die Leasingverträge für die Autos – alles ist teurer geworden. Auch die Personalkosten sind in den vergangenen Jahren gestiegen.

Scharf: Wirkt sich das auf die Nachfrage aus?

Santos: Nein, wir haben eher zu viele Schüler als zu wenige.

»Natürlich ist es für den Prüfling angenehm, wenn der Prüfer eine positive, eine freundliche Ausstrahlung hat.«

Christian Santos

Scharf: Christian, ist es ein Trend, dass immer mehr Menschen ihren Führerschein im mittleren Lebensalter machen?

Santos: Ja, besonders in der Großstadt. Im Dorf sind Leute oft auf Autos angewiesen, um mobil zu sein. Auch in kleineren Städten machen viele früh den Führerschein. In großen Städten gibt es viele Möglichkeiten, von A nach B zu kommen. Da ist die Verkehrsinfrastruktur teils so gut, dass viele den Führerschein gar nicht oder erst spät machen.

Scharf: Wie willst du verhindern, dass ich auch acht Prüfungen benötige?

Santos: Wir arbeiten systematisch an deinen Schwierigkeiten. Wir beide wissen, wo du noch Probleme hast. Wir machen das ganz entspannt, bis du so weit bist.

Scharf: Hamburg hat laut dem ADAC die höchste Durchfallquote Deutschlands bei der praktischen Prüfung, fast 50 Prozent. Was macht es hier so schwierig?

Santos: Es gibt viele Baustellen, die sich teils wöchentlich verändern. Dazu eine hohe Verkehrsdichte. Interessanterweise hat Hamburg bundesweit aber die beste Quote bei der Theorieprüfung.

»Ein Fahrlehrer kennt seinen Schüler, aber nicht seinen Prüfling.«

Christian Santos

Scharf: Worauf kommt es bei einer praktischen Prüfung vor allem an?

Santos: Zu einem Drittel auf die Verkehrsdichte, die Verkehrsführung und Baustellen. Ein Drittel ist der Stressfaktor in der Ausnahmesituation Prüfung, und das letzte Drittel kommt von der Fahrschule: Wie gut wirst du vorbereitet?

Holscher: Und du weißt bei einer Prüfung auch nie, was andere Verkehrsteilnehmer machen. Wer kommt dir entgegen, machen andere Fehler, auf die du reagieren musst?

Santos: Das ist der Faktor X, ja.

Scharf: Wie gut hast du Frau Holscher denn vorbereitet? Sie ist auch bei dir durch zwei Prüfungen gefallen.

Santos: Wenn eine Schülerin oder ein Schüler in der Prüfung aufgrund von Nervosität falsche Entscheidungen trifft, kann ein Lehrer leider wenig machen. Es gibt diesen Spruch: »Ein Fahrlehrer kennt seinen Schüler, aber nicht seinen Prüfling.« Und das stimmt.

Scharf: Welche Rolle spielt der Prüfer? Viele berichten, dass es teilweise willkürlich wirkt, ob die Prüfung bestanden wird oder nicht.

Santos: Willkür gibt es meiner Erfahrung nach nicht. Die Prüfer haben die gleichen Maßstäbe. Aber natürlich ist es für den Prüfling angenehm, wenn der Prüfer eine positive, eine freundliche Ausstrahlung hat. Das kann die Nerven beruhigen.

»Ich habe mich bei den Prüfungen teils gefühlt wie auf der Schlachtbank.«

Scharf: Christian, warum hat sich deiner Einschätzung nach Frau Holscher so schwergetan?

Santos: Vieles hat sie schon erwähnt. Schwierig war es für sie auch, sich immer wieder neu zu motivieren.

Holscher: Das stimmt.

Santos: Da habe ich mehr unterstützt als bei allem anderen. Ich habe versucht, dafür zu sorgen, dass sie motiviert bleibt, weiter an sich glaubt. Es gab eine Prüfung, bei der sie direkt davor zu mir sagte: »Egal, was passiert, ich höre danach auf.« Ich wollte aber nicht, dass sie aufgibt, weil ich wusste, sie kann es. Sie scheiterte nur an ihren Ängsten respektive am Druck, den sie sich selbst gemacht hat.

Holscher: Ich habe mich bei den Prüfungen teils gefühlt wie auf der Schlachtbank. Der Druck war irgendwann so groß, dass ich dachte, ich kann das alles nicht mehr. Ich habe einmal die ersten Minuten der Prüfung so gezittert, dass ich das Lenkrad kaum halten konnte.

Santos: Sie musste realisieren, dass sie es besser kann, als sie es in den Prüfungen zeigt. Wenn es darauf ankam, hat Alex Fehler gemacht, die sie in den Fahrstunden nicht gemacht hat, gerade in den ersten Minuten. Die musste sie überstehen.

Scharf: Warum war die letzte Prüfung dann erfolgreich?

Holscher: Ich war unter anderem bei der Hypnose und hab ein Stressmanagement-Training absolviert. Ich habe mir Atemübungen angeeignet, um mir beim Entspannen zu helfen. Das hat mir geholfen, die ersten paar Minuten der Prüfung zu überstehen, ohne zusammenzubrechen. Als die vorbei waren, bin ich dann relativ ruhig gefahren.

Scharf: Ich selbst bin auch schon zweimal durch die praktische Prüfung gefallen – und ebenfalls in einem Alter, in dem die meisten Mitmenschen eine Fahrerlaubnis besitzen. Ich könnte mir vorstellen, dass Sie ähnlich viele blöde Sprüche gehört haben wie ich.

Holscher: Ja, klar. Ich habe versucht, das als Motivation zu nutzen. Richtig geärgert hat mich, wenn Leute gesagt haben: »Autofahren ist vielleicht einfach nichts für dich.« Das war Unsinn. Ich habe geglaubt, dass ich es kann.

Diese beiden haben viel gemeinsame Zeit im Auto verbracht

Diese beiden haben viel gemeinsame Zeit im Auto verbracht

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Scharf: Welche Tipps haben Sie für mich, damit es keine acht Versuche braucht?

Holscher: Ein Wort: Selbstakzeptanz. Man muss ein Verständnis für die eigenen Schwächen entwickeln und sich nicht dafür verteufeln, dass man durch eine Prüfung gefallen ist. »Ich bin nicht mein Führerschein, das ist nur ein Thema von ganz vielen in meinem Leben. Die Frage ist nicht, ob es klappt, sondern nur, wann es klappt.« Das habe ich mir immer wieder gesagt.

Scharf: Wurde es in einer Ihrer Prüfungen auch mal gefährlich?

Holscher: Ja. Ich bin mal links abgebogen, wo man nicht abbiegen durfte. Außerdem habe ich einem anderen Auto einen Spiegel abgefahren und einmal das Fahrschulauto beschädigt, weil ich mit dem Radkasten am Bordstein entlanggefahren bin.

Santos: Zu viel Nachdenken hilft beim Autofahren nicht. Man hat in vielen Situationen nur eine Sekunde Zeit. Man muss reagieren, kann nicht überlegen. Eine falsche Entscheidung, und die Prüfung kann zu Ende sein.

Holscher: Noch ein Tipp: sich vorher überlegen, wie man in bestimmten Situationen reagieren will. Ich war in meiner erfolgreichen Prüfung auf der Autobahn rechts auf der Spur hinter einem Lkw. Der Fahrstreifen neben mir war einigermaßen voll. Ich habe nicht überholt, weil es nicht nötig war. So konnte ich beim Überholen auch keinen Fehler machen.

Santos: Es ist zwar wichtig und richtig, vorsichtig zu fahren, aber es darf nichts ins Ängstliche abrutschen. Man darf den Verkehr nicht unnötig aufhalten. Wenn an einer Kreuzung niemand da ist, braucht man nicht zu warten.

Holscher: Am Ende ist die Prüfung ein reines Showfahren. Da werden Sachen erwartet, die man nie wieder machen muss und die im Alltag auch kein Fahrer macht.

Scharf: Einiges hier hat mir Mut gemacht, anderes weniger. Vielen Dank für das Gespräch. Christian, meine Fahrstunde läuft offiziell schon, lass uns loslegen.

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