Vom Kellner zum Kläger: Ein ehemaliger Jurastudent hat vor dem Landesarbeitsgericht München einen Sieg errungen – man kann sagen, ihm ist ein arbeitsrechtlicher Triumph gelungen: Sein ehemaliger Arbeitgeber, eine Gaststätte, muss ihm 100.000 Euro Schadensersatz zahlen.
Der Grund: Der ehemalige Student und heutige Rechtsreferendar war fristlos gekündigt worden, nachdem er versucht hatte, einen Betriebsrat zu gründen. Ob gegen die Entscheidung des LAG München (Aktenzeichen: 11 Sa 456/23) Nichtzulassungsbeschwerde eingereicht wurde, ist nicht bekannt. Die Revision hat das Gericht nicht zugelassen.
Das Nachrichtenportal »Legal Tribune Online« (»LTO«) hatte zuerst über den Fall berichtet .
36 Klageanträge: Trinkgeld, Gläsergeld, Wäschegeld
Der Jurist war in der Gaststätte als Kellner auf Minijob-Basis tätig. Nachdem er erste Schritte zur Gründung eines Betriebsrats unternommen hatte, wurde er zunächst nicht mehr zum Dienst eingeteilt und später in die Küche versetzt. Als er sich weigerte, die neue Tätigkeit anzunehmen, kündigte ihm der Arbeitgeber fristlos. Parallel meldete die Gaststätte Insolvenz an, und das Geschäft wurde von einer neuen Gesellschaft übernommen. Der Student erweiterte daraufhin seine Klage auch auf den Geschäftsführer der insolventen Gaststätte persönlich.
Insgesamt stellte der Jurist 36 Klageanträge gegen seinen Arbeitgeber: Diese reichten von Schadensersatz für entgangene Trinkgelder und Naturallohn über die Nachzahlung von sogenannten Gläsergeldern – pauschalen Abzügen für zerbrochene Gläser – bis zu Ansprüchen auf Annahmeverzugslohn und Wäschegeld für die Reinigung der Arbeitskleidung.
Arbeitgeber muss sich schriftlich entschuldigen
Das LAG München sah die Kündigung als rechtswidrig an und entschied, dass der Arbeitgeber den Studenten durch die Kündigung und die vorherige Behandlung diskriminiert habe. Das Gericht befand, dass die Versetzung in die Küche und die anschließende Kündigung allein dazu dienten, den Studenten an der Betriebsratsgründung zu hindern.
Der Arbeitgeber muss deshalb nun den gesamten Verdienstausfall seit August 2021 ersetzen. Dazu gehören auch entgangene Trinkgelder von 100 Euro pro Schicht sowie vergünstigte Speisen und Getränke, die der Student nach jeder Schicht hätte konsumieren können.
»Die Verurteilung zur Entschuldigung ist für mich völlig neu.«
Michael Fuhlrott, Fachanwalt für Arbeitsrecht aus Hamburg
Neben Schadensersatz sprach das Gericht dem Studenten auch Annahmeverzugslohn zu. Zudem wurde der Arbeitgeber verpflichtet, sich schriftlich bei dem Studenten zu entschuldigen. »Die Verurteilung zur Entschuldigung ist für mich völlig neu. Das Gericht sieht hierin wohl eine Art des immateriellen Schadensersatzes. Das ist eine Rechtsfolge, die ich so bislang noch nicht in einer arbeitsgerichtlichen Entscheidung gesehen habe«, sagt der Hamburger Arbeitsrechtler Michael Fuhlrott. Die Entscheidung, so Fuhlrott, »betritt in Teilen arbeitsrechtliches Neuland. Warum das Landesarbeitsgericht daher die Revision zum Bundesarbeitsgericht nicht zugelassen hat, verwundert.«
Sechs Monate bezahlten Urlaub
Das Gericht erkannte entgangene Trinkgelder als ersatzfähigen Schaden an, was in der arbeitsrechtlichen Literatur bislang umstritten ist. Außerdem entschied das Gericht, dass der Geschäftsführer der insolventen Gaststätte persönlich haftbar gemacht werden kann. Die Haftungsbeschränkung der GmbH wurde durchbrochen, da die Kündigung vorsätzlich und unter Verletzung von Schutzgesetzen erfolgt sei.
Darüber hinaus verurteilte das Gericht den Arbeitgeber, dem Studenten sechs Monate bezahlten Urlaub zu gewähren. Hintergrund war, dass der Arbeitgeber den Studenten nicht über seine Urlaubsansprüche informiert hatte, wodurch diese nicht verfallen konnten.
100.000 Euro – ist das nicht ein bisschen viel?
»Die hohe Summe beeindruckt zunächst, insbesondere da es sich um ein geringfügiges beziehungsweise Teilzeitarbeitsverhältnis gehandelt haben soll«, sagt der Arbeitsrechtler Fuhlrott. Und weiter: »Unterliegt ein Arbeitgeber im Prozess, hat dieser zwar grundsätzlich entgangenen Lohn zu zahlen. Bei einem mehrjährigen Rechtsstreit können durchaus hohe Summen zusammenkommen, zumal nicht nur Gehalt, sondern etwa auch Boni nachzuzahlen sind. Wie sich dies aber im vorliegenden Fall bei dem vergleichsweise geringen Gehalt erklärt, bleibt zunächst offen.«
Auf der Karriereplattform LinkedIn schrieb der Rechtsreferendar zum Verfahren: Vier Jahre lang habe er »Tausende Stunden aufgewendet an Auswertung der Rechtsprechung, Gesetzesmaterialien, Aufsätzen, Kommentaren, Dissertationen, um meine Argumentation in dieser erstaunlich präzedenzarmen Materie zu stählern«.