Filmfestival Cannes 2025: Schauspiel spielt Regie, samt Kindern berühmter Leute

vor 6 Stunden 1

Wenn ein Regisseur sich vor einem Filmemacher verneigen will, der nicht nur ihm viel bedeutet, kann er seine Gedanken in ein filmisches Essay packen oder ein Biopic drehen. Richard Linklater wählte für „Nouvelle Vague“, seine Hommage an Jean-Luc Godard, die im Wettbewerb antritt, eine dritte Variante: Er rekonstruiert als Spielfilm den Dreh von Godards Debüt „Außer Atem“.

Wir schreiben also das Jahr 1960, Godard sitzt mit François Truffaut, Claude Chabrol und Suzanne Schiffman im Kino und schimpft. Seine Freunde können die Tirade schon mitsprechen, er soll endlich selbst einen Film drehen und seine Theorien umsetzen. Für die Rolle des Godard hat Linklater den jungen Franzosen Guillaume Marbeck angeheuert, und obwohl der in den gesamten 105 Minuten nicht einmal die Sonnenbrille abnimmt, gelingt ihm eine Verkörperung fernab vom Klischee. Selbst die vielen Zitate, die das Drehbuch ihm in den Mund legt („Kurzfilme sind das Anti-Kino“), lässt er so lässig fallen, als bestelle er gerade einen Drink im Café. Die größte Zeit folgen wir Godard mit seinen Hauptdarstellern Jean-Paul Belmondo und Jean Seberg durch Paris, treffen nebenbei Jean-Pierre Melville und Roberto Rossellini. Hätte man das nicht auch als Dokumentarfilm drehen können? Gewiss, aber nur mit ästhetischen Abstrichen. Linklater will das Gefühl einfangen, das dieser Film transportierte. Das hat er getan.

Kristen Stewart präsentiert ihr Regiedebüt

Wo Gordard in Cannes am liebsten Filme sah, nämlich im Debussy-Saal des Festivalpalastes, präsentierte Kristen Stewart in einer Nebenreihe ihr Regiedebüt „The Chronology of Water“. Fünf Jahre lang hat sie an der Verfilmung des gleichnamigen Romans von Lidia Yuknavitch gearbeitet, die den Missbrauch in ihrer Familie beschreibt und erzählt, wie sie ihren Dämonen als Schriftstellerin entkommen konnte. Stewart gelingt es, für das literarische Stilmittel des Bewusstseinsstroms eine adäquate Umsetzung in Bildern zu finden. Dabei zeigt sie sich vor allem im Schnitt als Autorenfilmerin, denn wie Blinzeln schieben sich in die lineare Erzählung kleine Erinnerungssprünge. Und wenn Lidia im Erzählstrom an Kreuzwege gelangt, blitzt kurz Zukünftiges auf, überlappt als Möglichkeit die Gegenwart. Eine ambitionierte Entscheidung für ein Debüt, die Stewart mit sicherer Hand ausführt. Gleich zwei Figuren mit Pophintergrund hat sie für ihren Film gewinnen können. Kim Gordon, legendäre Bassistin und Sängerin der Band „Sonic Youth“, lümmelt als Lidias Mutter depressiv in Sesseln. Und Earl Cave, Sohn des Sängers Nick Cave, darf den schluffigen Liebhaber Patrick spielen, an dessen Entscheidungsarmut die Beziehung zerbricht.

DSGVO Platzhalter

An Nachwuchs berühmter Künstler mangelt es diesem Festival nicht, auch Wes Anderson hat für „The Phoenician Scheme“ Mia Threapleton, Tochter der Schauspielerin Kate Winslet, für die Hauptrolle gewinnen können. An der Seite von Benicio del Toro spielt sie die Tochter eines skrupellosen Geschäftsmanns, die eigentlich Nonne werden will, kurz vorm Gelöbnis aber vom Vater ins Familiengeschäft geholt wird.

Für Andersons symmetrische Kulissen, von Tunneln in der Wüste bis zu pittoresk abgestürzten Flugzeugen im Dschungel, sorgte das Potsdamer Studio Babelsberg. Anderson liefert solide Erwartbares, und man ist ihm dankbar dafür, dass er Threapleton genug Platz lässt, um es mit del Toro aufzunehmen. Sie ist ein warmer Lichtblick in den sonst gern unterkühlten Figurenensembles des Amerikaners.

DSGVO Platzhalter

Deutlich hitziger geht es im Wettbewerbsbeitrag „Eddington“ von Ari Aster zu. Joaquin Phoenix gibt einen konservativen Kleinstadtsheriff in New Mexico, der sich mit Pedro Pascal als progressivem Bürgermeister anlegt.

Das Ganze spielt im Mai 2020, die Corona-Pandemie beginnt gerade um sich zu greifen, und Amerika zerfleischt sich zwischen Verschwörungstheorien und Black-Lives-Matter-Demos. Das hätte eine tiefgründige Analyse zu den Ursprüngen der jetzigen Situation sein können. Aber Aster wählt leider den leichten Weg und führt mit zynischem Humor die Figuren auf jeder Seite als doppelmoralische Schweinehunde vor. Am Ende entlädt sich alles in einer brutalen Gewaltorgie. Das ist so deprimierend wie die Nachrichten.

Gesamten Artikel lesen