
Jubelnde Bayern-Spieler: »Haben große Fortschritte gemacht, seit Kompany da ist«
Foto:Tom Weller / dpa
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Joshua Kimmichs Blick ging nach links, doch sein rechter Arm verriet, was er wirklich plante. Bayerns Spielmacher stand in der Hälfte des FC Chelsea, gleich würde ihm der Schiedsrichter den Ball zuwerfen, nachdem der Unparteiische zuvor versehentlich einen Pass geblockt hatte. Kimmichs Augen täuschten vor, dass er diesen Schiedsrichterball nach links passen würde, doch sein rechter Arm winkte seinen Teamkollegen Michael Olise hinaus bis an den Spielfeldrand, weg vom Gegenspieler.
Kimmich passte tatsächlich nicht in die Blickrichtung (links), sondern in die Armrichtung (rechts) zu Olise. Augenblicke später stand es 1:0. Es war der erste von drei Bayern-Treffern beim Münchner Auftakt zur Champions-League-Saison. 3:1 (2:1) schlugen sie das englische Topteam, sie vergaben dabei gute Gelegenheiten auf weitere Treffer. Aber zwei Tore von Harry Kane und die Kimmich-Finte genügten gegen den Premier-League-Klub.
Bayerns Ehrenpräsident Uli Hoeneß hatte kürzlich verkündet, die Bayern wären die TSG Hoffenheim dieser Königsklassenspielzeit. Er meinte: ein krasser Außenseiter.
Kaum zu verteidigen
Aber in der Form wie gegen Chelsea zählen die Bayern zum engeren Favoritenkreis auf den Titel. Sie sind derzeit sogar besser, als sie eigentlich sein dürften. Schließlich fehlt ihnen der neben Harry Kane wichtigste Offensivspieler: Jamal Musiala. Der fällt seit seinem Wadenbeinbruch Anfang Juli aus.
Dass man das am Mittwochabend leicht vergaß, zeigt, wie gut die Bayern derzeit spielen. Dem Team und vor allem Trainer Vincent Kompany ist es gelungen, Musialas Fehlen nicht nur aufzufangen, sondern eine Offensive zu entwickeln, die kaum zu verteidigen ist. Auch nicht für englische Spitzenteams, die mit ihren Investments auf dem Transfermarkt überhaupt der Auslöser des schrägen Hoeneß-Vergleichs waren.

Bayerns Spielmacher Kimmich: Extrem gut
Foto: Ulrik Pedersen / DeFodi Images / IMAGOWie hervorragend die Bayern in eigenem Ballbesitz derzeit spielen, erkennt man, wenn man Mittelfeldchef Kimmich zuhört.
»Ich fand das Tor extrem«, hatte er über den zweiten von sechs Treffern gegen Leipzig zum Ligaauftakt gesagt. Gemeint war, wie viele Spieler an jenem Treffer beteiligt gewesen waren. Sehr, sehr gut habe sich dieser Spielzug für die Münchner auf dem Platz angefühlt.
Und beim 5:0-Sieg gegen den Hamburger SV am Samstag lief der Ball vor dem zweiten Treffer über 27 Stationen, mehr als eine Minute lang spielten sich die Bayern den Ball zu, erst gemächlicher, dann immer schneller, wie eine Waschmaschine, die in den Schleudergang schaltet.
Doch das waren Leipzig und der HSV. Chelsea hatte jüngst mehr als 300 Millionen Euro für neue Spieler ausgegeben. Im Sommer gewann das Team die neuartige Klubweltmeisterschaft in den USA.
»Die Energie im Team ist eine besondere.«
Joshua Kimmich
Und jetzt war auch dieser Klubweltmeister in München weitgehend chancenlos.
Als sich die Bayern nach fast 70 Minuten den Ball hin und her spielten, begleiteten die Fans jeden Ballkontakt mit »Hey«-Rufen. »Hey« für »Hey« kombinierte sich der FC Bayern vors Tor und erzielte beinahe das 4:1, Olises Schuss ging knapp neben das Tor.
»Die Energie im Team ist eine besondere«, sagte Kimmich nach der Partie. Nie habe er das Gefühl gehabt, dass das Spiel kippen könnte. Er hätte auch sagen können, dass er die Mannschaft extrem findet.
Nichts ist improvisiert, alles einstudiert
Ohne Musiala ist das Bayern-Spiel ein anderes. Wo der 22-Jährige den Ball annimmt und an Gegenspielern vorbeitanzt, kombinieren die Münchner nun häufiger direkt. Statt den Ball anzunehmen, wird er prallen gelassen, schnell, präzise. Die Abläufe sind dabei von schablonenhafter Klarheit.
Nichts von dem, was man derzeit auf dem Platz beobachte, sei improvisiert, so war es dieser Tage aus dem Innern der Bayern-Kabine zu hören. Alles sei haarklein einstudiert, die Bewegungen, die Passoptionen.
Das Trainerteam um Kompany hat es innerhalb von Wochen geschafft, Musiala zumindest für den Moment zu ersetzen.

Trainer Kompany, Stürmer Kane: »Große Fortschritte gemacht«
Foto: Anna Szilagyi / EPA»Wir haben große Fortschritte gemacht, seit Kompany unser Trainer ist«, sagte Stürmerstar Kane am Abend. Das Team sei besser darin geworden, Gegner einzuschnüren, sie nicht mehr kontern zu lassen.
Natürlich würden Mannschaften mit Spielern, wie Chelsea sie habe, immer zu gefährlichen Momenten kommen, sagte Kane. Aber viele Chancen habe man nicht zugelassen. Es war genau genommen eine einzige.
Spiele wie dieses gegen Chelsea haben die Bayern in Kompanys erster Saison längst nicht immer gewonnen. Aber in der Champions League warten größere Gegner. Wie es mit der Münchner Konteranfälligkeit gegen Kaliber wie Barcelona, Liverpool oder Paris aussieht, bleibt abzuwarten.
Zumal sich der sportliche Erfolg in der Königsklasse in dieser Saison nicht nur auf dem Rasen entscheiden wird, sondern auch auf den Münchner Massageliegen. Denn Bayerns Kader ist auch nach der Ausleihe von Nicolas Jackson verdächtig klein für ein Spitzenteam.
Man verfüge über eine Topmannschaft, »wenn alle gesund bleiben und fit sind«, sagte Kimmich am Mittwochabend. Es sei »essenziell«, dass sich niemand verletzte, »in dieser Saison mehr denn je«. Gegen Chelsea hatten die Bayern zwei Spieler weniger auf der Ersatzbank als der Gegner, und das, obwohl dort bereits Talente wie Cassiano Kiala oder David Daiber saßen.
Bald sollte der Münchner Kader aber gerade im Angriff verstärkt werden. Musiala teilte Anfang des Monats mit, dass er noch in diesem Jahr zurückkehren wolle.