Ursula von der Leyens Amtszeit läuft noch bis zum Jahr 2029, aber das Zahlenwerk, das sie an diesem Mittwoch vorstellen wollte, reicht weit darüber hinaus. Die Kommissionspräsidentin wertet den Haushaltsplan für die Jahre 2028 bis 2034, genannt „Mehrjähriger Finanzrahmen“ (MFR), wohl bereits als eine Art Vermächtnis an die Europäische Union. Er soll der EU die Möglichkeit geben, Antworten zu geben auf die neue geopolitische Lage – die Bedrohung durch Russland, die Konkurrenz durch China, die Loslösung von den USA. Die Union soll sich selbst verteidigen können, ihre Wirtschaft modernisieren und schneller auf internationale Krisen reagieren können.
Eine große Reform des Haushalts hatte die Präsidentin angekündigt, aber selbst innerhalb ihrer Kommission war der Entwurf des neuen Budgets am Mittwoch so umstritten, dass sich von der Leyens Auftritt Stunde um Stunde verzögerte. Sie brauchte Einstimmigkeit unter ihren 26 Kolleginnen und Kollegen. Den letzten Zahlen zufolge, die am Mittwoch an die Öffentlichkeit drangen, wurde über ein Gesamtvolumen von 1,7 Milliarden Euro in den sieben Jahren ab 2028 diskutiert. Das wäre eine halbe Billion mehr als im Zeitraum zwischen 2021 und 2027. Das Budget würde damit 1,2 statt bislang 1,1 Prozent des Bruttonationaleinkommens ausmachen, das in Europa erwirtschaftet wird. Allerdings standen der EU in der vergangenen Periode zusätzlich 800 Milliarden Euro aus dem Corona-Wiederaufbaufonds zu. Diese Schulden sollen ab 2028 zurückgezahlt werden, was den Haushalt mit jährlich 20 bis 30 Milliarden belasten wird.
Die Verteilungskämpfe dürften erbittert geführt werden
Der Mehrjährige Finanzrahmen bildet eine Obergrenze für die Ausgaben der Europäischen Union und ist Grundlage für die jährlichen Budgets. Die Verhandlungen über den Entwurf der Kommission werden die EU bis mindestens Ende nächsten Jahres beschäftigen. Die Mitgliedstaaten müssen ihn einstimmig verabschieden, das Europaparlament mit absoluter Mehrheit. Und die Verteilungskämpfe dürften erbittert geführt werden.
Heftiger Widerstand zeichnet sich bereits aus der Landwirtschaft ab. Von der Leyen verfolgte den Plan, die Töpfe zur Förderung von Landwirtschaft und strukturschwachen Regionen zusammenlegen. Es sind bislang die beiden größten Posten im EU-Haushalt. Um Geld aus diesem Topf loszueisen, sollen die 27 Regierungen Pläne vorlegen, wofür genau das Geld verwendet wird. Es könne nicht sein, dass 90 Prozent der EU-Ausgaben bereits viele Jahre vorab vergeben seien, findet von der Leyen. Das weckt die Befürchtung, am Ende könnte weniger Geld für den ländlichen Raum zur Verfügung stehen. Einige Hundert Bauern protestierten bereits am Mittwoch in Brüssel.
Berlin lässt wissen: Der Spielraum für eine Erhöhung ist „begrenzt“
Vertreter der Europäischen Volkspartei (EVP) und der Sozialdemokraten im Europaparlament haben bereits erkennen lassen, die beiden Töpfe müssten erhalten bleiben, mindestens im bestehenden Umfang – andernfalls werde man gar nicht mit der Kommission verhandeln. Von der Leyens Pläne, so hieß es, würden eine Renationalisierung der Europäischen Union bedeuten – zulasten der EU und auch zu Lasten der Regionen.
Widerstand ist auch unter den Mitgliedstaaten zu erwarten. Sie finanzieren den EU-Haushalt zu mindestens zwei Dritteln und müssten deshalb mehr Geld nach Brüssel überweisen. Ein Viertel der nationalen Beiträge bringt, als stärkste Wirtschaftsmacht Europas, Deutschland auf. Die Bundesregierung hat bereits erkennen lassen, der Spielraum für eine Erhöhung sei „begrenzt“.
Skeptisch sieht die deutsche Regierung auch die Vorschläge der Kommission, die Eigenmittel der EU – Zolleinnahmen und ein fixer Anteil an der Mehrwertsteuer – zu erweitern. Es schade der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen, so heißt es in Berlin, eine Abgabe für Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 50 Millionen Euro zu erheben. Die Kommission will sich zudem einen Anteil an den nationalen Tabaksteuern sichern und schlägt eine Abgabe auf Elektroschrott vor, der nicht für das Recycling gesammelt wird.
Neue gemeinschaftliche Schulden kommen in dem Plan nicht vor. Es ist jedoch zu erwarten, dass die Debatte darüber bei den Beratungen über den Mehrjährigen Finanzrahmen wieder beginnen wird. Während der deutsche Kanzler Friedrich Merz bremst, plädiert der französische Präsident Emmanuel Macron dafür. Anders seien die epochalen Aufgaben, die auf die EU zukämen, gar nicht zu bewältigen: die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit, der ökologische Wandel der Wirtschaft, vor allem aber die hohen Verteidigungsausgaben. Hinzu kommt das viele Geld, das die EU aufbringen muss, um die Ukraine in ihrem Überlebenskampf gegen Russland zu unterstützen. Die Hilfen sollen im neuen Budget verstetigt werden.
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán zeichnete die Konfliktlinien am Mittwoch bereits vor: Die Ukraine werde mit diesem „schockierenden“ Budget massiv unterstützt – auf Kosten der europäischen Landwirtinnen und Landwirte.