Friendly Fire: »Befreiungsschlag« nennt man das, was Dänemarks Emma Færge in der 66. Spielminute vorhatte: Einfach weg mit dem Ball, alle Kraft in den Schuss hineinlegen, sich kaum groß um die Richtung scheren. Was konnte schon Schlimmes passieren? Nun ja. Færges Klärungsversuch kam nicht weit, er traf Mitspielerin Emma Snerle mit voller Wucht am Kopf. Den freien Ball nahm Jule Brand auf, die Matchwinnerin des deutschen Auftaktspiels schlug noch einen ihrer bewährten Haken und bediente dann Lea Schüller, die bequem zu ihrem zweiten Turniertor einschieben konnte. Deutschland jubelte, Snerle lag noch immer am Boden. Für sie ging es nach dem Wirkungstreffer nicht weiter.

Emma Snerle musste beim Verlassen des Platzes gestützt werden
Foto: Matthias Hangst / Getty ImagesDas Ergebnis: 2:1 (0:1) gewinnen die deutschen Fußballerinnen gegen Dänemark. Das war erneut ein hartes Stück Arbeit, aber eines, das den Viertelfinaleinzug in Gruppe C mit nunmehr sechs Punkten nahezu garantiert: Wenn Polen am Abend gegen Schweden nicht gewinnt, ist der Einzug unter die letzten Acht sicher. Hier geht es zum Spielbericht.
Zu zwölft auf dem Platz: Giulia Gwinns Diagnose war der deutschen Kapitänin ein schwacher Trost. Nach der Verletzung beim Auftaktsieg gegen Polen hatte es Innenbandriss geheißen, immerhin nicht zum dritten Mal in der Karriere das Kreuzband. Bei der EM wird Gwinn dennoch nicht mehr auf dem Platz stehen – zumindest nicht in persona. Ihr Trikot mit der Nummer sieben schaffte es trotzdem mit den Kolleginnen aufs Mannschaftsfoto, dazu trugen die deutschen Spielerinnen ein Tape mit Gwinns Initialen und ebenjener Rückennummer am Handgelenk. Die Botschaft war klar: Das deutsche Team fühlte sich seiner verhinderten Anführerin weiter nahe.

Für dich, GG7: Die DFB-Spielerinnen grüßten Giulia Gwinn
Foto: Alexander Hassenstein / Getty ImagesZu früh gefreut: Janina Minge übernahm die Kapitänsbinde, Carlotta Wamser erbte die Rechtsverteidigerposition, anderswo tauschte Bundestrainer Christian Wück nicht. Das leuchtete ein, der Auftakt gegen Polen war ordentlich gelungen, Wamser an der Entstehung der deutschen Treffer jeweils beteiligt. Um die letzte Nervosität zum Start in die Europameisterschaft abzulegen, hätte sich ein frühes Tor angeboten. Und das fiel auch, scheinbar: Auf der rechten Seite beschäftigte Jule Brand zwei Gegenspielerinnen, fand dann Klara Bühl an der Strafraumkante. Die fackelte nicht lange, traf (18. Minute) – und musste sich drei Minuten später trotzdem ärgern: Weil Sjoeke Nüsken sowohl im Abseits als auch im Blickfeld der dänischen Torhüterin Maja Bay Østergaard stand, wurde der Treffer mit Verspätung einkassiert. Auch ohne Ballberührung hatte Nüsken das Spielgeschehen beeinflusst.
Abwehrlöcher, selbst gestanzt: So offenbarte sich die Kehrseite der anfänglichen deutschen Offensivfreude: Die DFB-Abwehr zu überspielen, ging viel zu leicht. Eine Kopfball-Verlängerung, schon war Dänemarks Offensivstar Pernille Harder unterwegs in den deutschen Strafraum. Sarai Linder stoppte die Frau vom FC Bayern München gekonnt, doch schon die nächste Aktion der deutschen Elf wurde zum Bumerang. Jule Brand und Linda Dallmann versuchten sich nach einem Eckball an einem Konter, aber vertändelten den Ball. Schüller arbeitete mit zurück, doch vom Schienbein der Angreiferin flipperte der Ball vor die Füße von Amalie Vangsgaard, die den Ball mit viel Überzeugung in die kurze Ecke drosch (28.). Erstmals im Turnier fand sich Deutschland im Rückstand wieder.

Amalie Vangsgaard, Pernille Harder: Die Däninnen jubelten zuerst
Foto: Denis Balibouse / REUTERSDer VAR sorgt für Überstunden: 17.000 deutsche Fans hatten Karten für die Partie in Basel ergattert, und die wollten gerne mehr sehen als 70 Prozent Ballbesitz ohne echte Großchancen. Kurz vor der Pause war es beinahe so weit. Aktivposten Bühl ließ mal wieder eine Flanke gen Strafraum fliegen, Frederikke Thøgersen wehrte die Hereingabe mit der Hand ab. So weit, so unstrittig – nur: War Thøgersen bei ihrem Missgeschick bereits im Sechzehner, oder fand das Handspiel vor der Linie statt? Wieder musste der VAR ran, und wieder erfolgte die Entscheidung zu dänischen Gunsten: Freistoß für Deutschland, nicht Elfmeter. Dafür sieben Minuten Nachspielzeit, um die VAR-Pausen zu kompensieren. »Bei so vielen Unterbrechungen ist es auch schwer, einen Spielfluss zu kreieren«, ärgerte sich Schüller nach dem Spiel.

Noch einmal alles in Zeitlupe: Schiedsrichterin Catarina Ferreira Campos hielt mehr als einmal Rücksprache mit dem VAR-Team
Foto: Ryan Browne / Shutterstock / IMAGOSN9 statt GG7: Den Elfmeter, den sich die DFB-Elf so gewünscht hatte, gab es dann nach der Pause doch noch. Katrine Veje brachte Dallmann bei der Ballannahme zu Fall, Schiedsrichterin Catarina Ferreira Campos zeigte auf den Punkt. Eigentlich wäre nun der Moment für Gwinn gekommen, doch die Kapitänin war bekanntermaßen verhindert. So schnappte sich Nüsken den Ball – und versenkte ihn links unten. »Das war nicht meine Entscheidung, das war die Entscheidung von ihr, dass sie sich das Ding nimmt«, erklärte Bundestrainer Wück nach dem Spiel.
Mentalitätsmonster? Außerdem hatte Wück am Ende ordentlich Lob übrig für die Resilienz seines Teams, das – ähnlich wie nach der Gwinn-Verletzung im ersten Gruppenspiel – den Widrigkeiten des Spielverlaufs trotzen konnte. »Mentalität. Ich glaube, genau dieses Stichwort hat die deutsche Mannschaft immer ausgezeichnet«, sinnierte der Bundestrainer. Das zurückgenommene Tor, der nicht gegebene Elfmeter, »das macht was mit einer Mannschaft«. Gegen Schweden geht es am Samstag (21 Uhr, TV: ZDF) um den Gruppensieg. Auch das wird ein Gegner zum Auf-die-Zähne-beißen.