Nie ohne meine Baskenmütze: Der Linkenpolitiker Marcel Bauer musste am Donnerstag gleich zweimal den Bundestag verlassen, weil er seine Kopfbedeckung nicht absetzen wollte.
Zuerst bat Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) Bauer, die Mütze abzusetzen. Sie begründete das mit der »Gepflogenheit im Haus«. Der Abgeordnete ging, kam aber später zurück – wieder mit Baskenmütze. Als er sich erneut weigerte, sich von dem Kleidungsstück zu trennen, verwies Parlamentsvizepräsidentin Andrea Lindholz (CSU) ihn der laufenden Plenarsitzung.
In den Zugangs- und Verhaltensregeln des Bundestags heißt es nur: »Die Kleidung und das Verhalten müssen der Würde des Hauses entsprechen.« Ob eine Baskenmütze gegen diese Würde verstößt? Keine Kopfbedeckungen zu tragen, sei eine »parlamentarische Gepflogenheit«, sagt eine Sprecherin des Bundestags dem SPIEGEL. Auf Instagram sagte Bauer:
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Bauer war nicht der Einzige, der in der Sitzung mit seiner Kleidung auffiel. Seine Parteikollegin Stella Merendino, die vor der Wahl als Krankenpflegerin gearbeitet hatte, hielt ihre erste Bundestagsrede im blauen, kurzärmligen Kasack. Er hoffe, »dass wir die Kollegin nie dienstlich in ihrer Dienstkleidung treffen müssen, sondern nur als Abgeordnete«, sagte Bodo Ramelow (Linke), der die Sitzung leitete. Merendino hatte unter anderem über die Missstände im Gesundheitssystem gesprochen.
Nicht immer geht es so entspannt zu, wenn Outfits in Parlamenten nicht den Standards entsprechen. Fußballtrikots, Sneaker oder (fehlende) Krawatten sorgten bereits für kritischere Töne oder gar Eklats. Ein Rückblick.
Der Turnschuh-Protest
In weißen Turnschuhen legte Joschka Fischer im Dezember 1985 seinen Amtseid als hessischer Umweltminister ab. Damals war das Outfit des ersten grünen Landesministers ein Affront. Auch Fischer verriet später, dass er lieber etwas anderes getragen hätte. »Die strahlend weißen Turnschuhe waren mir peinlich«, sagte er 2017 im ZDF.
Seine Parteikollegen hätten ihn aber gebeten, »ein Protestsymbol« zu zeigen. Ein Politiker der Grünen, damals bekannt für ihre Brüche mit den Konventionen, könne schließlich nicht in Lederschuhen und Anzug erscheinen. »Die Mehrheit war der Meinung, das muss sein. Dem hab’ ich mich gebeugt«, so Fischer.
Zu den weißen Sneakern von Nike trug der Grünenpolitiker ein graues Hemd und ein Tweed-Sakko. Die brachten es nicht annähernd zu der gleichen Berühmtheit wie seine Schuhe. Inzwischen stehen die Sneaker im Deutschen Ledermuseum in Offenbach , neben Mokassins aus Nordamerika oder Stiefeln aus dem Römischen Reich.

Fischer bei seiner Vereidigung 1985: »Die strahlend weißen Turnschuhe waren mir peinlich«
Foto: Heinz Wieseler / picture alliance / dpaAuch modisch am rechten Rand
Im Juni 2012 erschienen die Abgeordneten der rechtsextremen NPD (heute Die Heimat) in Oberteilen von Thor Steinar zu einer Sitzung des Sächsischen Landtags. Die Marke gilt als Erkennungsmerkmal für Neonazis. Als der NPD-Politiker Andreas Schorr ans Rednerpult trat, zog er sein Sakko aus – und stand mit dem Rücken, auf dem der Markenname prangte, direkt vor dem damaligen Landtagspräsidenten Matthias Rößler (CDU). Zuvor hatten die Abgeordneten die Shirts unter einem Sakko oder einer Jacke versteckt.
Rößler hatte wenige Wochen zuvor mitgeteilt, dass das Tragen von »szenetypischer Bekleidung« wie Thor Steinar gegen die Hausordnung des Landtags verstoße. Er unterbrach die Sitzung und forderte die Fraktion auf, die Oberteile zu wechseln. Als die Abgeordneten sich weigerten, schloss er sie aus der laufenden und den kommenden drei Parlamentssitzungen aus.
Die NPD-Politiker gingen rechtlich dagegen vor. Doch der Verfassungsgerichtshof bestätigte die Entscheidung des Landtagspräsidenten. Der Partnerlook der Abgeordneten sei eine »offensichtlich geplante Aktion«, die die Kleidungsstücke »provokativ zur Schau stellen« sollte. Das widerspreche der parlamentarischen Ordnung.

NPD-Abgeordnete in Thor Steinar-Shirts (Juni 2012): »Offensichtlich geplante Aktion«
Foto: Steffen Giersch / dpaSchleichwerbung im Bundestag?
Es war ein trauriger Tag für Fans des FC Bayern München: Am Vorabend hatte das Team in der Champions League 0:3 beim FC Barcelona verloren. Die CSU-Abgeordnete und heutige Forschungsministerin Dorothee Bär wollte offenbar zeigen, dass sie weiter hinter ihrem Verein steht – und trug bei der Bundestagssitzung im Mai 2015 ein Trikot des deutschen Rekordmeisters unter ihrem Blazer.
Dem Linkenabgeordneten Alexander Ulrich gefiel das gar nicht. Er reichte eine Beschwerde wegen Verstoßes gegen die Kleiderordnung beim Bundestagspräsidium ein. Laut »Bild am Sonntag« ging es ihm aber nicht um den Fußballklub, sondern um das Logo der Telekom, das auf dem Bayerntrikot zu sehen war. Bär sagte der Zeitung, Ulrichs Verhalten sei »ganz schön kleingeistig für eine Partei, die immer den Wert der Toleranz predigt«.
Schon 2014 hatte Bär mit ihrer Kleiderwahl für Aufsehen gesorgt, als sie ein Dirndl im Bundestag trug. Die Grünenpolitikerin Sylvia Kotting-Uhl schrieb auf X, damals Twitter: »Die Bayern finden’s passend, der Rest der Welt rückständig.« Unter dem Hashtag #dirndlgate entbrannte ein Social Media-Streit. Mit teils intellektuell angehauchten Beiträgen : »Nicht was wir anhaben, sondern was wir tun, vielmehr was wir sind–darauf kommt es an!«, zitierte damals Kotting-Uhls Kollegin Tabea Rößner den Philosophen Henry David Thoreau.

Bayern-Fan Bär: erst Tracht, dann Trikot
Foto: Florian Hahn / picture alliance / dpaKeine Krawatte? Kein Posten!
Eigentlich sollten Andrej Hunko (Linke, heute BSW) und Sven-Christian Kindler (Grüne) im Januar 2011 als Schriftführer im Bundestag sitzen. Aber als sie ankündigten, keine Krawatte tragen zu wollen, wurden sie einen Tag vor der Sitzung von der Liste der Schriftführer gestrichen.
Wenige Wochen zuvor hatte Hunko in einem Brief an Jens Koeppen (CDU), den Obmann der damals 41 Schriftführer und Schriftführerinnen im Bundestag, einen angeblichen »Krawattenzwang« im Parlament kritisiert . Demnach soll Koeppen mitgeteilt haben, dass nur noch Schriftführer mit Schlips eingeteilt werden würden. »Der von Ihnen gewünschten Kleiderordnung werde ich nicht nachkommen«, schrieb Hunko. Das habe sowohl politische als auch persönliche Gründe. Den Begriff »Würde des Hauses« aus den Zugangs- und Verhaltensregeln, auf den sich offenbar auch Koeppen stützte, bezeichnete er als »diffus«.
Statt Hunko erschien Alexander Süßmair schließlich als Schriftführer für die Linke – ebenfalls ohne Krawatte. Für ihn sprang Agnes Alpers ein. Sie trug aus Solidarität mit ihren Parteikollegen einen knallroten Schlips.

Agnes Alpers (links) bei einer Bundestagssitzung im Januar 2011 im Schriftführer-Dresscode
Foto: Rainer Jensen / dpa2014 berichteten mehrere Medien, darunter der SPIEGEL, dass der Krawattenzwang für Schriftführer abgeschafft worden sei. Der Bundestag teilte daraufhin mit : »Weder gibt es einen ›Krawattenzwang‹ im Plenarsaal des Deutschen Bundestags, noch hat es einen Beschluss im Präsidium gegeben, die bisherigen Regelungen für die Schriftführer bei der Sitzungsleitung aufzugeben.« Der Konflikt war danach nicht erneut Thema.
Bothmer hat die Hosen an
1970 betrat die Abgeordnete Lenelotte von Bothmer (SPD) den Plenarsaal des Bonner Bundestags im Hosenanzug. Das löste einen Eklat aus. Der damalige Bundestagsvizepräsident Richard Jaeger (CSU) sagte, er werde niemals eine Frau in Hose ans Rednerpult lassen.
Einige Parlamentarierinnen hätten sich daraufhin verbündet, erzählte die Journalistin Inge von Bönninghausen 2021 der ARD . Liselotte Funcke, Abgeordnete der FDP, habe die Aktion initiiert. Sie selbst wollte aber keine Hose anziehen, ihre Figur erschien ihr nicht passend. Also musste noch einmal Bothmer ran. Als sie ein halbes Jahr später im Hosenanzug ans Rednerpult trat, hätte die Presse »sofort die Kameras auf mich gerichtet«, erinnerte sich die SPD-Politikerin, die 1997 starb.
Es folgte ein historischer Shitstorm. »Da kriegte ich Briefe von überall her«, sagte Bothmer. »Einer schrieb: ›Nächstens kommen sie wohl oben ohne‹, was ja völlig verrückt war, denn angezogener als in diesem Ding konnte man gar nicht sein.«

Aktion 1 von 2: Im April 1970 trug Lenelotte von Bothmer erstmals einen Hosenanzug im Bundestag
Foto:AP / ullstein bild
T-Shirt-Politik
Anders als Kopfbedeckungen sind Meinungsbekundungen über Kleidungsstücke im Bundestag nicht erlaubt . Wohl deshalb mussten mehrere Abgeordnete der Linken 2010 den Plenarsaal verlassen, nachdem sie in Protest-Shirts zu einer Debatte erschienen waren.
Auf den Oberteilen der Parlamentarier war ein durchgestrichenes Ortsschild mit der Aufschrift »Stuttgart 21« zu sehen. Mit dem umstrittenen Bauprojekt waren damals viele Menschen in Deutschland unzufrieden; daran hat sich bis heute wenig geändert.

Protest der Linken gegen Stuttgart 21
Foto: Tobias Kleinschmidt / dpaSieben Jahre später protestierten drei Grünenabgeordnete auf ähnliche Weise für die Freilassung des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel. Er war zu diesem Zeitpunkt knapp zwei Wochen in der Türkei inhaftiert. Erst nach rund einem Jahr kam Yücel wieder frei.

»Free Deniz«-Shirts der Abgeordneten Kühn, Mutlu und Janecek
Foto: Tobias Schwarz / AFP»Free Deniz« stand auf den weißen T-Shirts der Abgeordneten Chris Kühn, Özcan Mutlu und Dieter Janecek, dazu ein Foto des Journalisten. Nach einer Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel waren die Politiker aufgestanden und hatten die Oberteile präsentiert. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) verwies auf die Hausordnung und bat sie, die T-Shirts auszuziehen – oder den Saal zu verlassen. Sie entschieden sich für Letzteres.