Doku über Schiedsrichter: Da sagt der Schiri doch glatt „Boah!“

vor 16 Stunden 2

Florian Exner macht aus seinem Herzen keine Mördergrube. Als der Frankfurter Stürmer Hugo Ekitiké am 19. August 2024 in der ersten Pokalrunde gegen Eintracht Braunschweig mit einem feinen Lupfer das 3:0 für Frankfurt macht, entfährt dem Schiedsrichter ein bewunderndes „Boah!“ Gleich danach zeigt er Mitgefühl mit den Spielern des chancenlosen Zweitligisten: „Natürlich bitter, dass die jedes Ding reinmachen.“

Exners Kommentare sind nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Zumindest nicht unmittelbar. Der 34 Jahre alte Schiedsrichter, der in der Saison 2024/25 zum ersten Mal in der Ersten Bundesliga pfeifen darf, kommuniziert via Headset mit seinen Assistenten. Ständig vergewissern sie sich, wie die jeweils anderen die Situation einschätzen. Sie verständigen sich darüber, ob ein Foul eine Gelbe Karte verdient hat. Und in der Entscheidungsfindung erstaunlich lässig auch darüber, wie lang die Nachspielzeit sein sollte.

Zu wenig fachliche Führung

Angesichts des Spielstands von 4:1 hält sich das Aufregerpotential in Grenzen. Aber es ist doch bemerkenswert, wie locker sich Exner gibt. Nicht nur angesichts seines jungen Alters und seiner Position als Nachwuchskraft, die sich erst noch beweisen muss auf höchster Ebene. Sondern vor allem, weil Exner weiß, dass er Material für die Dokumentation „Unparteiisch“ liefert, die den Alltag von Profischiedsrichtern nachzeichnet. Nachdem 2023 eine erste fünfteilige Staffel – vor allem im Stream – erfolgreich war, hat der NDR bei Reinhold Beckmanns Produktionsfirma Beckground TV eine zweite Serie von diesmal sechs in etwa halbstündigen Folgen in Auftrag gegeben.

Gegenüber der Staffel von 2023 wurde der Regisseur ausgetauscht, statt Tom Häussler trägt Tom Ockers die Verantwortung. Wichtiger ist der Wechsel auf dem Posten des DFB-Schiedsrichterchefs. Knut Kircher hat zum 1. Juli 2024 Lutz Michael Fröhlich als Geschäftsführer der DFB Schiri GmbH abgelöst. Die zweite Staffel thematisiert die enorme Bedeutung dieses Wechsels nicht, dabei war die sehr diskret vorbereitete Personalie Kirchers ein Zeichen dafür, für wie gravierend die DFB-Führung die Krise ihrer Schiedsrichtergilde hielt. Fröhlich stand im Ruf, ein netter, aber konfliktscheuer Kommunikator zu sein, dem die selbstbewussten Schiedsrichter auf der Nase herumtanzten. Der „Kicker“ zählte die Defizite auf: zu wenig fachliche Führung, zu geringe Beachtung des Leistungsprinzips, zu viele klare Fehlentscheidungen, zu wenig Selbstkritik.

„Unparteiisch - Deutschlands Elite-Schiedsrichter“ARD

Man muss um diese Zusammenhänge wissen, um das Auftreten Kirchers in „Unparteiisch“ richtig zu deuten. Der einstige Spitzenschiedsrichter, der in der Zwischenzeit als Führungskraft bei Mercedes AMG Karriere gemacht hatte und nicht mehr Teil des ausgeprägten regionalen Klüngelwesens beim DFB gewesen war, gibt sich in der Doku kernig und ostentativ leistungsorientiert: „Kann ich es allen recht machen? Nein! Will ich es allen recht machen? Nein! Will ich Wettbewerb? Ja!“

Sympathisch kommt er nicht rüber, sondern ziemlich verkniffen, ganz anders als Alex Feuerherdt, Medienchef der DFB-Elite-Schiedsrichter, oder als Peter Sippel, Sportlicher Leiter der Erstliga-Schiedsrichter; die beiden geben in kurzen Interviewschnipseln ihre einfühlsamen Einschätzungen der porträtierten Referees zum Besten. Sie sprechen über deren herausforderndes Leben als Leistungssportler, die im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Exner wiederum bekennt frank und frei, er googele sich selbst. Und ihm schwant, dass er das in Zukunft wohl seltener tun sollte, weil sich über Erstligaschiedsrichter noch mehr Negatives ergießt.

Einzige Frau unter den Profischiedsrichtern

Außer Exner stehen Fabienne Michel und Felix Brych in seiner letzten Saison im Mittelpunkt von „Unparteiisch“. Brych wird in seiner langen Reha nach einem im November 2023 erlittenen Kreuzbandriss begleitet und auch beim vorübergehenden Scheitern am obligatorischen Leistungstest. Brych, den viele Zuschauer auf dem Platz als herrisch wahrgenommen haben, gibt tiefe Einblicke in sein Seelenleben. Es handelt sich um die stillen Höhepunkte der Reihe: Wie er sehr reflektiert von Versagensängsten berichtet, die er durch seinen Leistungswillen habe bekämpfen wollen. Und auch davon, wie er sich in den letzten Jahren seiner Karriere geöffnet habe, weil sich seine bis dahin verschlossene Art auch auf das Leben außerhalb des Fußballplatzes übertragen habe.

Mit welchen Widerständen Michel als einzige Frau unter den Profischiedsrichtern im deutschen Männerfußball zu kämpfen hat, wird entgegen der Ankündigung der ARD zumindest in den ersten drei Folgen der neuen Staffel nicht wirklich thematisiert. Das Bekenntnis, als Kind schon mal geschummelt zu haben, um zu gewinnen, ist der tiefste Blick in ihre Seele, den sie gewährt. Auf dem Platz agiert sie souverän, wenn sie etwa dem Heidenheimer Trainer Frank Schmidt nach einer nicht weiter dramatischen Fehlentscheidung sagt, das entspreche nicht ihrem Anspruch an die eigene Arbeit.

Es ist interessant zu sehen, wie viel die Schiedsrichter mit Trainern und Spielern reden, mal beschwichtigend, mal pädagogisch („Schau mir in die Augen, wenn ich mit dir rede“), mal deftig, immer klar in der Ansage. Durch den Einsatz einer Bodycam während des Gastspiels der Bayern in Bochum nimmt der Zuschauer unmittelbar die Perspektive Exners im kurzen Zwiegespräch mit Harry Kane ein.

So beeindruckend ein solcher embedded journalism die Herausforderungen für die Schiedsrichter vor Augen führt, bleibt die große Schwäche der Dokuserie, dass sie die Mauern der DFB-Welt zu keiner Zeit hinter sich lässt. Der Verdacht, dass die immer wieder betonte Bereitschaft zur Selbstkritik eine höhere Form der Selbstinszenierung ist, drängt sich auf. Interviews mit Ehemaligen, mit Beobachtern und Kritikern hätten der Sache gutgetan. Es hätte ja nicht gleich Manuel Gräfe sein müssen.

Die ersten drei Folgen von Unparteiisch – Deutschlands Elite-Schiedsrichter sind von Freitag an in der ARD-Mediathek zu sehen und am 18. August um 23.15 Uhr im Ersten.

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