Dionysis Savvopoulos: Der Bob Dylan Griechenlands

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Dionysis Savvopoulos faszinierte mit seiner Poesie und Politik, er war eine Ikone der 68er-Bewegung. Nun ist der griechische Liedermacher gestorben.

23. Oktober 2025, 16:24 Uhr

Dionysis Savvopoulos Nachruf
Kaum jemand war politisch so voller Leidenschaft und besang die Zeit so voller Melancholie wie Dionysis Savvopoulos. © [M] Andreas Neumeier/​imago images

Im Jahr 2004 hätte ich am liebsten die Kavallerie geschickt, damit sich Deutschland bei Griechenland entschuldigt: Der Moderator, der die Abschlussfeier der Olympischen Spiele in Athen kommentierte, stellte einen Musiker als "Dieter Bohlen Griechenlands" vor. Der Mensch, der mit dem deutschen Sänger und Produzenten verglichen wurde, war Dionysis Savvopoulos – unser "Nionios"!

Savvopoulos war der Liedermacher der 68er-Bewegung in Griechenland – jener Generation, die nach dem Zweiten Weltkrieg unter der Brutalität der rechten Militärdiktatur und der kulturellen Dominanz dogmatischer Kommunisten verkümmerte. 1963, kaum 20-jährig, zog er von seiner Geburtsstadt Thessaloniki nach Athen. 1966 erschien seine erste Platte Fortigó ("Der Lastwagen"), die ihn sofort berühmt machte: Kaum ein Schüler oder eine Schülerin in Griechenland sang nicht den Song über die libertinäre Sinnefoúla ("Das Wölkchen"), kaum ein Student oder eine Studentin zitierten nicht Vietnam ye ye (nach Bob Dylans It Ain’t Me Babe). Bis heute ist ein Lagerfeuer am Strand ohne Dimosthenous Lexis ("Demosthenes' Wort") schlicht undenkbar.

Es folgten: eine Verhaftung samt Folter, eine weitere erfolgreiche Platte, der Aufbau experimenteller Progressive-Rock-Ensembles und zahllose Auftritte in Athener Underground-Clubs. Um 1970 war Savvopoulos der Barde "der Jungs mit dem langen Haar und den schwarzen Klamotten", wie er sie selbst besang.

Savvopoulos fand seine eigene Sprache

Dionysis Savvopoulos faszinierte nicht nur wegen der feinen, enigmatischen Poesie seiner Lieder, der Kraft und Melancholie, die sich in seiner Musik abwechselten, und seiner unverwechselbar heiseren Stimme. Er faszinierte auch, weil die Abfolge seiner Lieder wie die Erzählung seines Lebenswerks wirkt – ja, teils wie eine Ideen- und Kulturgeschichte Griechenlands. Er ist der Künstler, der die meisten geflügelten Worte in die Alltagssprache überführt hat.

Eines davon hängt mit zwei weltberühmten griechischen Komponisten zusammen: Mikis Theodorakis und Manos Hadjidakis. Beide hatten ihre unverwechselbare Sprache gefunden – der eine politisch-episch, der andere lyrisch-apollinisch. Unter diesen Titanen litt Savvopoulos, bis er um 1970 in zwei Platten – beziehungsweise in zwei Liedern, die jeweils eine ganze LP-Seite füllten – seine eigene Stimme fand. Ballos ("Tanz") und Mávri Thálassa ("Das Schwarze Meer") atmen etwas Dionysisch-Revolutionäres, Ursprünglich-Anarchisches und Volkstümliches. Sie elektrisierten die alternative Jugend der Zeit: E-Gitarre neben Dudelsack, Querflöte neben Bass, Cello neben Tamburin und entfesseltem Stimmengewirr.

Savvopoulos hatte seine eigene Sprache gefunden, verortet im imaginären Raum des Schwarzen Meers. Von da an konnte er sich künstlerisch alles erlauben. Er war gewissermaßen der Bob Dylan, der Wolf Biermann Griechenlands.

Leidenschaft und Melancholie

1983, im Zenit seiner Karriere, erschien die Platte mit einem seiner populärsten Lieder, As kratísoun i chorí ("Der Tanz soll weitergehen"). Eine zielgerichtete Vertonung völkisch-neuorthodoxer Ideen, wie sie etwa griechische Philosophen wie Stelios Ramfos und Christos Giannaras vertraten – eine konservative Auslegung ihrer Gedanken, eine Rückbesinnung, und doch künstlerisch brillant. Elf Jahre später vertonte er in Presthláves den griechischen Nationalismus in der sogenannten "Makedonien-Frage".

In seinen letzten Jahren schrieb Savvopoulos nur noch wenig, und manche seiner politischen Äußerungen wirkten befremdlich. Und doch bleibt bis heute seine Musik – die eines Künstlers, der die Liebe so zart, die Politik so leidenschaftlich und die Zeit so melancholisch besingen konnte. Am Dienstag ist Dionysis Savvopoulos im Alter von 80 Jahren in Athen gestorben.

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